Schweizer Panzerfäuste für die Ukraine
Verletzen Bundesbeamte die Neutralität?

Panzerfäuste aus Beständen der Schweizer Armee sollen über Deutschland in die Ukraine gelangen. Und: Der Bund soll davon wissen – und nichts dagegen tun. Die «Weltwoche» spricht von einem Verstoss gegen das Neutralitätsrecht. Davon wollen die Behörden nichts wissen.
Publiziert: 05.05.2022 um 16:51 Uhr
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Aktualisiert: 06.05.2022 um 06:54 Uhr
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Die ukrainische Armee kann immer wieder Erfolge im Kampf gegen russische Panzer vermelden.
Foto: keystone-sda.ch

Das sorgt für Stirnrunzeln. Tricksen Schweizer Beamte das Kriegsmaterialgesetz aus und verstossen damit gegen die Neutralität des Landes? So soll das Verteidigungsdepartement VBS im April 2300 deutsche Panzerfäuste aus Schweizer Armeebeständen an den deutschen Hersteller Dynamit Nobel Defence GmbH zurückgegeben haben.

Der Grund: angebliche Mängel. Dabei seien die Waffen ein Jahr zuvor noch für tauglich befunden worden.

Das Problem: Der deutsche Rüstungskonzern wolle die Waffen nun in die Ukraine liefern – dies in Absprache mit den Schweizer Behörden. Das zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) habe jedoch auf eine Einsprache verzichtet, berichtet die «Weltwoche» und vermutet eine klare Verletzung des Neutralitätsrechts.

Bund soll von Lieferungen gewusst haben

Das wirkt im ersten Moment irritierend: Noch vor kurzem hatte es das Seco Deutschland untersagt, Munition aus Schweizer Produktion an die Ukraine weiterzugeben. Sogar Verteidigungsministerin Viola Amherd (59) selber soll Bedenken geäussert haben. Solche Lieferungen an einen kriegsführenden Staat seien mit der Schweizer Neutralität kaum vereinbar.

Das aber soll das Bundesamt für Rüstung Armasuisse wie auch das Seco nicht daran hindern, die Lieferung von Panzerfäusten an die Ukraine sogar zu unterstützen.

Die «Weltwoche» berichtet von anonymen Quellen, diskreten Treffen und geheimen Dokumenten, welche die Vorwürfe belegen sollen. So gehe es bei einer ersten Tranche von Panzerfäusten um rund 2300 Stück. Eine zweite Tranche von etwa 2700 Panzerfäusten habe Armasuisse im Sommer 2021 wegen kleinerer Mängel abgelehnt. In der Ukraine hingegen scheint die Mehrzweckwaffe im Kampf gegen russische Panzer voll funktionsfähig zu sein.

Im März soll Deutschland die Ausfuhr der knapp 2700 von der Schweiz abgelehnten Panzerfäuste in die Ukraine abgesegnet haben. Neutralitätspolitisch und neutralitätsrechtlich sei das noch unbedenklich gewesen, urteilt die «Weltwoche». Schliesslich habe Armasuisse die Waffen schon im Sommer 2021 zurückgewiesen. Damals habe das Bundesamt unmöglich wissen können, dass sie dereinst im Ukraine-Krieg eingesetzt werden könnten.

Schweizer Herkunft soll unkenntlich werden

Anders aber bei den 2300 Panzerfäusten, die seit rund einem Jahr im Besitz der Schweizer Armee gewesen seien. Bei Gesprächen zwischen Hersteller Dynamit Nobel und Armasuisse sei die Idee entstanden, die bereits abgenommene erste Lieferung nachträglich als mangelhaft zu deklarieren.

Die Waffen sollten so rasch wie möglich in die Ukraine geliefert werden. Das Seco sei darüber informiert gewesen. Der Hersteller aber habe versichert, alle Hinweise an den Raketenwerfern zu entfernen, die darauf deuteten, dass sich die Waffen im Besitz der Schweizer Armee befunden hatten. Auch das würden Dokumente belegen, schreibt die «Weltwoche».

Weiter keine modernen Panzerabwehrwaffen

Armasuisse bestätigt, dass die gelieferten Panzerfäuste im April alle an den Hersteller zurückgeschafft worden seien. Von einer Lieferung in die Ukraine aber will das Bundesamt nichts wissen.

Dokumente sollen aber zeigen, dass zumindest das Seco über die Pläne informiert worden sei. Dieses aber will für den Waffenexport nicht zuständig sein, weil es sich um Material der Armee handle, wofür einzig das VBS verantwortlich sei.

Beim VBS ist von «konstruierten Zusammenhängen» die Rede. Die ganzen Abläufe seien grösstenteils schon vor Beginn des Ukraine-Kriegs erfolgt. Ein als Beleg mitgeliefertes Schreiben des deutschen Herstellers zur Rücknahme der Waffen datiert allerdings vom 3. Mai – und da war der Krieg schon seit Wochen im Gang.

Als Ersatz für die Panzerfäuste hätten die Deutschen der Schweiz angeboten, 2024 eine modernere Version zu liefern, wird Armasuisse-Sprecher Kaj-Gunnar Sievert zitiert. Das bedeutet gleichzeitig: Die Schweizer Armee hat damit weiterhin keine modernen Panzerabwehrwaffen in ihrem Arsenal.

Von einem Verstoss gegen das Kriegsmaterialgesetz oder der Schweizer Neutralität aber wollen weder das Seco noch das VBS etwas wissen. Richtig sei einzig, dass Armasuisse defektes Material nicht akzeptiert und retourniert habe – mit der Auflage, allfällige Verweise auf die Schweiz zu entfernen. Was dann mit den Waffen weiter geschieht, liege «im Zuständigkeitsbereich der Herstellerfirmen», heisst es beim VBS.

Neutralitätsrechtlich aber will das Verteidigungsdepartement ohnehin keine Probleme sehen, solange die gelieferten Panzerfäuste in der Schweizer Armee gar nie im Einsatz gestanden seien: «Das VBS kann und hat kein Kriegsmaterial an irgendjemanden geliefert. Die Frage der Neutralität der Schweiz stellt sich somit nicht», stellen die Behörden ihren Standpunkt klar. (dba)

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