Die Insassen des Regionalgefängnisses in Thun müssen näher zusammenrücken. Ein Teil der Häftlinge schläft auf Klappbetten, weil das Gefängnis derzeit aus allen Nähten platzt. 105 Personen waren im März inhaftiert – obwohl die Institution eigentlich nur auf 87 Häftlinge ausgelegt ist.
Jede Berner Institution verfüge über Zusatzkapazitäten, die bei einer sprunghaft ansteigenden Nachfrage in Betrieb genommen werden können, heisst es beim Berner Amt für Justizvollzug auf Anfrage. Dazu gehören etwa an die Wand geschraubte Zusatzbetten in den Zellen, die nun ausgeklappt worden sind.
7 Prozent mehr Inhaftierte
Nicht nur in Thun wirds eng. Die Schweizer Gefängnisse sind voll – teilweise sogar überbelegt. Im März lag die Belegung der Waadtländer und Genfer Anstalten bei über 110 Prozent, in Solothurn bei 106 Prozent. Dies geht aus der Statistik des Schweizerischen Kompetenzzentrums für den Justizvollzug hervor und deckt sich mit den jüngsten Zahlen des Bundesamts für Statistik (BfS).
Die Schweizer Bevölkerung wächst seit Jahren und auch die Straftaten haben letztes Jahr zugenommen. 2023 wurden im Vergleich zum Vorjahr 14 Prozent mehr Straftaten registriert. Die Anzahl Plätze in Gefängnissen wächst nicht entsprechend mit.
Wohl auch deshalb waren Ende Januar in den Gefängnissen hierzulande 94,9 Prozent aller Haftplätze belegt. So viele wie seit 2014 nicht mehr, heisst es beim BfS. Insgesamt 6881 Personen waren Ende Januar inhaftiert, das sind 7 Prozent mehr als vor einem Jahr.
Überlastete Justiz führt zu Platznot
Im Kanton Bern stellt man insbesondere bei der Sicherheitshaft und beim Vollzug von kurzen Strafen eine deutliche Zunahme fest. In Sicherheitshaft sitzt ein, wer angeklagt wurde und auf den Gerichtsprozess wartet. Weil die Justiz heillos überlastet ist, stapeln sich bei den Gerichten die hängigen Verfahren – und viele Betroffenen warten jahrelang im Gefängnis, bis es zum Prozess kommt.
Überlastete Justiz
Als Ausweg aus der Misere prüft der Kanton gemäss «Berner Zeitung» nun die Installation von Containern zur Unterbringung von Gefangenen bei bestehenden Gefängnissen. Diese sind mit Gittern vor den Fenstern geplant. Im Kanton Baselland waren schon vor zehn Jahren solche in Betrieb, um zusätzliche Haftplätze zu schaffen.
Auch Solothurn muss ausbauen
Auch im Kanton Solothurn sind besonders die Untersuchungsgefängnisse voll, in denen primär Personen inhaftiert werden, die noch nicht rechtskräftig verurteilt sind. Man prüfe jetzt, an das Gefängnis in Olten angrenzende Räumlichkeiten umzunutzen, sagt Michael Leutwyler, Amtschef des Amts für Justizvollzug.
Schweizweit befanden sich Ende Januar knapp 2100 Personen in Untersuchungs- oder Sicherheitshaft. Dabei handle es sich um die zweithöchste Zahl seit Beginn der Erhebungen 1988, so der Bund.
Verstoss gegen Menschenrechte
Noch drastischer als in der Deutschschweiz sieht die Situation in Genf und der Waadt aus. Das Genfer Champ-Dollon ist notorisch überfüllt. Im März lebten dort 521 Insassen hinter Gittern. Vorgesehen ist das Gefängnis für knapp 400 Menschen.
Schon seit Jahren klagen Häftlinge dort über Platzmangel. Und erhielten mehrmals juristisch Recht: Das Bundesgericht entschied 2016, dass die Haftbedingungen im grössten Genfer Gefängnis gegen das in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschriebene Folterverbot verstossen. Es hat die Beschwerde eines Strafgefangenen teilweise gutgeheissen, der während 136 Tagen weniger als vier Quadratmeter für sich beanspruchen konnte.
Der Kanton Genf teilt auf Anfrage mit, dass trotz der Überbelegung momentan kein Häftling mit so wenig Platz auskommen müsse. Man halte die Standards ein.
Bei 40 Prozent der Inhaftierten handelt es sich laut den Behörden um solche, die eine Strafe absitzen – und das, obwohl das Gefängnis eigentlich für U-Häftlinge gedacht ist. Der Grund dafür sei, dass es in den anderen Anstalten des Kantons nicht genügend Plätze für den Strafvollzug gebe. Der Kanton hat einen Plan vorgelegt, um das Platzproblem zu lösen. Doch bis die neuen Gefängnisse gebaut sind, wird es Jahre dauern.