Schweizer Bahnifrastruktur
SBB kritisieren Milliardenausgaben für wenige Sekunden Fahrzeitgewinn

Viele der neuen Tunnel und Strecken wurden ohne Bedarfsnachweis geplant – das sei wirtschaftlich problematisch, heisst es bei den SBB. Dadurch entstehen zusätzliche Kosten von sieben Milliarden Franken.
Publiziert: 18.08.2024 um 10:43 Uhr
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Die SBB kritisieren milliardenschwere Ausbaupläne ohne Fahrplankonzept.
Foto: Pius Koller
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Tobias OchsenbeinRedaktor Politik

Es war eine provokante Forderung: Anfang Juni plädierte der ehemalige SBB-Chef Benedikt Weibel (77) für einen sofortigen Stopp aller Bahnausbauten in der Schweiz. Hintergrund sind Investitionen von 25 Milliarden Franken, die das Parlament bereits bewilligt hat, sowie weitere 20 Milliarden, die für 2026 vorgesehen sind.

Weibel bezeichnete diese Summen als grösstenteils verschwendetes Geld. Sein Hauptkritikpunkt: Es gebe keinen Bedarfsnachweis und kein entsprechendes Angebotskonzept, was gegen gesetzliche Vorgaben verstosse. Ohne klare Planung könnten die daraus resultierenden Betriebskosten von bis zu drei Milliarden Franken jährlich die Bahnen ruinieren.

Infrastrukturausbauten mit riesigen Folgekosten

Die SBB als Hauptakteur im öffentlichen Verkehr stimmen Weibel in der «SonntagsZeitung» nun in Teilen zu. SBB-Chef Vincent Ducrot (61) äusserte sich zwar nicht persönlich, liess aber seine Leiterin Fahrplan, Daria Martinoni (52), Stellung beziehen. Sie erklärte, dass ein Baustopp zwar unrealistisch sei, da die Bahnen ohne Ausbauten die steigende Nachfrage nicht bewältigen könnten.

Gleichzeitig betonte Martinoni jedoch die immensen Folgekosten von Infrastrukturausbauten und forderte, mehr über den Nutzen für das Angebot zu diskutieren. Eine gut unterhaltene Infrastruktur und ein stabiler Fahrplan seien unverzichtbare Voraussetzungen für weitere Ausbauschritte.

Die Bundesratsbotschaften zu den Ausbauschritten 2025 und 2035 basierten laut Martinoni zwar auf Angebotszielen und Fahrplanplanungen, doch das Parlament habe darüber hinaus Ausbauten beschlossen, denen kein Fahrplankonzept zugrunde liege. So hat das Parlament in den vergangenen Jahren etliche regionale Projekte ohne Bedarfsnachweis bewilligt, was zu einer massiven Kostensteigerung führen dürfte. Ursprünglich geplante 15,4 Milliarden Franken seien so auf 22,3 Milliarden angewachsen, schreibt die «SonntagsZeitung».

«Nicht weitermachen wie bisher»

Dieser unkontrollierte Ausbau widerspricht den Empfehlungen des Berichts «Zukunft Mobilität Schweiz» von 2017. Dieser forderte, zunächst die Auslastung bestehender Kapazitäten zu maximieren, bevor neue Infrastrukturen gebaut werden. Die Eidgenössische Finanzkontrolle warnte kürzlich ebenfalls vor den Risiken dieses Vorgehens.

Das Bundesamt für Verkehr sieht die Situation anders und hält die Folgekosten der bisherigen Ausbaubeschlüsse für finanzierbar, auch wenn es einräumt, dass einige der teuersten Projekte nicht direkt auf dem Bedarf basierten.

Die SBB-Spitzen betonen, dass die Schweiz nicht einfach weitermachen könne wie bisher. Man müsse sich auf die bessere Nutzung der bestehenden Infrastruktur konzentrieren, statt teure Bauten für wenige Sekunden Fahrzeitgewinne zu realisieren.

Weibel und eine Arbeitsgruppe von Bahnspezialisten plädieren für eine Optimierung des bestehenden Netzes durch Fahrplananpassungen und Digitalisierung. Diese könnten den Verkehr um 25 Prozent steigern, ohne dass teure Ausbauten nötig wären. Das Bundesamt für Verkehr und der Verband öffentlicher Verkehr wiesen diese Vorschläge jedoch scharf zurück.

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