Ihr Ärger über die Sturheit der SBB ist selbst durch das Telefon zu spüren. Sie sei «fähig und fit» gewesen, sagt Martina Renner. Nach der Geburt ihres Sohnes habe sie so schnell wie möglich wieder in den Führerstand gewollt. Eigentlich. Das sei jedoch schwierig gewesen, meint Lokführerin Renner. Sie heisst mit richtigem Namen anders – aus Angst um ihren Job will sie aber anonym bleiben.
Lokführerinnen müssen 200 Stunden Fahrpraxis pro Jahr nachweisen, um ihre Lizenz nicht zu verlieren. Das Problem: «Ab Bekanntwerden» der Schwangerschaft dürfen Frauen nicht mehr arbeiten. Auch nach der Geburt nicht – jedenfalls nicht, solange sie noch stillen. So steht es auf dem entsprechenden Merkblatt der SBB, das dem Beobachter vorliegt.
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Das bedeutet in der Praxis: Wollen junge Frauen nach ihrer Schwangerschaft zurück in den Führerstand, müssen sie erneut eine praktische Prüfung absolvieren – wegen Fehlens der verlangten Fahrpraxis. Zudem kann von ihnen verlangt werden, die theoretische Prüfung vollständig oder teilweise zu wiederholen.
«Erschütterungsrisiken» als Begründung
Bei der Arbeit im Zug könne es zu «Vibrationen» kommen, begründen die SBB das Fahrverbot für die Frauen – es bestünden entsprechende «Erschütterungsrisiken».
Während der Dauer des Stillens respektive des Abpumpens wiederum können die Mitarbeiterinnen nicht auf dem Zug arbeiten, so heisst es auf dem Merkblatt weiter.
Denn: Ein ruhiger, sauberer Ort für das Stillen, wie er gemäss Arbeitsgesetz in so einem Fall verlangt würde, könne «nicht garantiert» werden. Wie auch nicht «die hygienischen Rahmenbedingungen für das Waschen der Utensilien und das Kühlen der Milch».
Lokführerin Martina Renner hält diese Begründung für «vorgeschoben». Tatsächlich sei es den SBB einfach zu mühsam, für stillende Frauen geeignete Bedingungen zu organisieren. Es gebe an vielen Orten Pausenräume, wo es zum Beispiel durchaus möglich sei, abzupumpen. Und Renner muss es wissen; sie hatte sich nach ihrer Schwangerschaft solche speziellen «Stilltouren» erkämpfen können.
Die SBB zeigten sich bei Lösungsvorschlägen generell eher unflexibel, meint Renner. Zum Beispiel auch beim Vorschlag, die betroffenen Frauen alternativ am Simulator fahren zu lassen, damit sie wenigstens ihre Fahrpraxis nicht verlieren würden.
Wenn jahrelange Berufserfahrung nicht mehr zählt
Was Lokführerin Renner in Bezug auf die Fahrpraxisregelung ebenfalls stört: Es spiele keine Rolle, wie lange man vor der Schwangerschaft schon auf dem Beruf gearbeitet habe. «Man muss sich unabhängig von der Erfahrung erneut beweisen, als ob man den Job noch nie gemacht hätte», sagt Renner. Sie erzählt von einer Kollegin, die jahrelang gefahren war. Sie hatte die Auffrischung der praktischen Prüfung, die alle fünf Jahre fällig ist, gerade noch vor der Schwangerschaft bestanden. Trotzdem habe sie nach ihrer Mutterschaftspause die ganze Prüfung noch einmal wiederholen müssen, so die Lokführerin.
«Wenn man als Lokführerin schwanger wird, muss man faktisch nochmals von vorne beginnen», sagt auch Esther Weber. Sie ist seit elf Jahren Lokführerin und engagiert sich als Fachgruppenleiterin Frauen im Lokpersonalverband.
Damit machen die SBB den Beruf für Frauen unattraktiv. Dabei habe es ohnehin wenig Lokführerinnen. Nur rund 7 Prozent des Lokpersonals sind Frauen. Konkret: rund 200 von insgesamt etwa 3000.
Weber findet das besonders stossend, da sich die SBB öffentlich gern als familienfreundliches Unternehmen rühmen.
Merkblatt wird überarbeitet, Stillpassus bleibt
Die Kritik an der SBB-Praxis hat Weber bereits vor einem Jahr gegenüber der «NZZ am Sonntag» geäussert. Seither sei nichts passiert, sagt sie. Obwohl das entsprechende Merkblatt aktuell überarbeitet werde, soll der Passus mit dem Fahrverbot für stillende Frauen weiter bestehen bleiben. Dies bestätigen die SBB auf Anfrage des Beobachters.
Die SBB verweisen auf das unverändert geltende Arbeitsgesetz. Dieses ermögliche «leider keinen Einsatz von stillenden oder abpumpenden Lokführerinnen auf dem fahrenden Zug», schreibt die Medienstelle.
SBB: «Suchen jeweils individuell nach Lösungen»
Man nehme den Passus sehr ernst «zum Schutz der schwangeren oder stillenden Mütter». Die SBB seien sich jedoch der Konsequenzen bewusst – und seien bereit, «auf Basis der Vorgaben gemeinsam mit den Mitarbeitenden jeweils individuell nach Lösungen» zu suchen.
Zum möglichen Verlust der Fahrerlaubnis wegen einer Schwangerschaft schreiben die SBB: «Aufgrund des Sicherheitsaspektes können längere Abwesenheiten – unabhängig davon, was der Grund der Abwesenheit ist, beispielsweise auch bei Krankheiten – mit der Wiederholung von Prüfungen verbunden sein.» Die Mindestfahrpraxis gebe das Bundesamt für Verkehr vor, so die SBB. Sie diene der Sicherheit der Reisenden.