«Manchmal ergibt die Logik des Fussballs keinen Sinn», eröffnete Richterin Joséphine Contu Aobrizio (50) die Urteilsverkündung im Verfahren gegen den früheren Präsidenten des Weltfussballverbands Fifa, Joseph Blatter (86), und den Ex-Fussballstar und einstigen Uefa-Präsidenten Michel Platini (67) mit einem Zitat des ehemaligen argentinischen Nationalspielers Gabriel Batistuta (53).
Denn sowohl Sepp Blatter als auch Michel François Platini sind auf der ganzen Linie freigesprochen worden. Bei der Zahlung von zwei Millionen Franken plus Sozialversicherungsbeiträgen in der Höhe von 229’126 Franken hatte aus Sicht des Bundesstrafgerichts in Bellinzona alles seine Richtigkeit gehabt. Blatter und Platini sollen sich 1998 mündlich auf ein Beraterhonorar von einer Millionen jährlich geeinigt haben, worauf auch Zeugenaussagen hindeuten.
Der 1999 schriftlich verfasste Vertrag, der Platini nur ein Jahreshonorar von 300’000 Franken zugesteht, soll der schlechten Finanzlage der Fifa geschuldet gewesen sein. 300’000 Franken hätten ja auch nicht dem damaligen Wert des einstigen Ballkünstlers entsprochen.
Platini soll dann eben 2011 bloss die Differenz eingefordert haben – das wären 700’000 Franken, für vier Jahre also 2,8 Millionen Franken. Dass der einstige Präsident des Europäischen Fussballverbands Uefa nur zwei Millionen forderte erkläre dieser damit, dass er sich im Betrag geirrt habe – um 800’000 Franken.
Ob es einen Tipp gab, war dem Gericht egal
Die Beweise, aufgrund derer die Bundesanwaltschaft (BA) das Verfahren gegen Blatter eröffnet und später auf Platini ausgeweitet hat, sind laut der mündlichen Urteilsbegründung durch die Richterin korrekt erhoben worden. Der Betrag von zwei Millionen sei aus den Unterlagen herausgestochen. Ob es nun den ominösen Tippgeber gab, der die BA auf die Zahlung hingewiesen habe oder nicht, sei unerheblich, denn so wie sich die Situation für das Gericht darstellt, war es folgerichtig, dass die BA das Verfahren eröffnet hat.
Doch dann hat die Bundesanwaltschaft den «Smoking Gun», also den rauchenden Colt, nicht gefunden. Sie konnte keine Beweise liefern, die die beiden zweifelsfrei des Betrugs und der anderen Delikte, die die BA ihnen vorwarf, überführte.
Im Zweifel für den Angeklagten
Im Gegenteil: Die eingehende Analyse aller Beweise und die Aussagen der vernommenen Zeugen brachten das Strafgericht zum Schluss, dass die Darstellung der beiden Beschuldigten stimmt und die Vorwürfe des Staatsanwalts des Bundes, Thomas Hildbrand, nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen wurden. Ja, das Gericht hegt gar ernsthafte Zweifel an der Version Hildbrands. Bei der Zwei-Millionen-Zahlung müsse deshalb der Grundsatz «in dubio pro reo», im Zweifel für den Angeklagten, angewandt werden.
So sprach das Strafgericht Blatter für seine Gerichtskosten eine Entschädigung von 82'000 Franken zu und Platini bekommt 141'000 Franken Entschädigung. Sepp Blatter sind zudem noch 20'000 Franken Genugtuung zuerkannt als Wiedergutmachung für das moralische Unrecht das ihm wegen der auch medialen Vorverurteilung entstanden sei. Michel Platini verzichtete ausdrücklich auf eine Genugtuung.
Blatter feierte seinen Sieg
Nach dem vollumfänglichen Freispruch bedankte sich Blatter beim Gericht. Nach der Urteilsverkündung war war er hochzufrieden – und kampfeslustig: «I'm still alive», sagte er umringt von unzähligen Presseleuten, von denen viele aus dem Ausland angereist waren.
Und auch der nicht minder umringte und mehrfach als Europas Fussballer des Jahres ausgezeichnete Platini war hocherfreut, dass die Wahrheit ans Licht gekommen sei. Weit weniger zufrieden war naturgemäss der Staatsanwalt des Bundes, Thomas Hildbrand. Er sagte nach der Urteilsverkündung: «Die Bundesanwaltschaft hat das Urteil der Strafkammer des Bundesstrafgerichts zur Kenntnis genommen.» Sobald ein schriftliche begründetes Urteil vorliege, werde die BA über das weitere Vorgehen entscheiden. Sie hält sich also noch offen, das Urteil an die nächst höhere Instanz weiterzuziehen.
Die geheimen Treffen bleiben rätselhaft
Unklar bleibt weiterhin, was an den unprotokollierten Treffen des früheren Bundesanwalts Michael Lauber (56) mit dem heutigen Fifa-Chef Gianni Infantiono und weiteren Personen im Berner Hotel «Schweizerhof» besprochen wurde und ob Lauber dort den Tipp bekam, die Zwei-Millionen-Zahlung zu untersuchen, oder ob es den Tippgeber nie gab. Doch das war nicht Gegenstand des Verfahrens.
Insofern war es weniger treffend, dass die Richterin auch ein Zitat des vor allem als Fussballtrainer bekannt gewordenen Otto Rehhagel (83) zitierte. Der Deutsche sagte einst: «Im Fussball gibt es längst keine Geheimnisse mehr: Heute kann der Trainer dem Verteidiger sagen, welches Rasierwasser der gegnerische Stürmer verwendet.» – Was aber die Fussballfunktionäre tun, bleibt weiterhin teils ein Geheimnis.