Der Countdown läuft. Im November ist Anpfiff in Katar – Start der Fussball-WM im Emirat. «Es wird grossartig», schwärmte Fifa-Präsident Gianni Infantino, als er vor zwei Monaten das Finalstadion nahe der Hauptstadt Doha besuchte. Er habe auf der ganzen Welt noch nie ein Land gesehen, das so weit im Voraus schon so bereit gewesen sei.
Infantino und die islamische Golf-Monarchie – das ist eine Liebe, die weit über den Fussball hinausreicht. So weit, dass der Fifa-Chef nun seinen Lebensmittelpunkt nach Katar verlegt hat. SonntagsBlick-Recherchen zeigen: Seit Oktober wohnt Infantino überwiegend in Doha. Dort hat er ein Haus für sich und die Familie gemietet. Zwei seiner vier Töchter gehen im Emirat zur Schule.
Im März noch alles bestritten
Gerüchte über einen bevorstehenden Umzug Infantinos nach Katar schwelen schon länger. Die Fifa hatte sie stets bestritten. Noch im letzten März dementierte der Weltfussballverband gegenüber Blick vehement, dass ein Wegzug aus der Schweiz geplant sei.
SonntagsBlick blieb dran. Und stiess nun auf neue Details zum Leben der Infantinos in Katar, darunter auch auf Bilder, die beweisen, dass die Familie ihren Lebensmittelpunkt nun in Doha hat. Aus Respekt vor der Privatsphäre verzichtet die Redaktion darauf, die Aufnahmen zu veröffentlichen.
Konfrontiert mit den Recherchen und nach mehreren Telefonaten hin und her räumt die Fifa ein, dass Gianni Infantino ein Haus in Doha gemietet habe und dass seine Familie neu dort wohne.
Infantino jedoch ist die Sache offensichtlich unangenehm. Die Fifa versucht, die Tragweite herunterzuspielen. In einer ausführlichen Stellungnahme, welche die Fifa nur indirekt zitiert haben will, lässt ein Sprecher verlauten, dass der Präsident weiterhin auch am Hauptsitz in Zürich arbeite. Fifa-Insider berichten aber, dass sich Infantino nur noch sehr selten in Zürich zeige. Das verärgere viele.
«Einzigartige Gelegenheit»
Die Fifa betont, dass ihr Präsident noch immer in der Schweiz Steuern zahle. Er verbringe die Hälfte seiner Arbeitszeit in Doha. Das Haus in der katarischen Hauptstadt ermögliche es ihm, viel Zeit mit der Familie zu verbringen.
Auch Infantino selbst meldet sich zu Wort. Er lässt sich folgendermassen zitieren: «Die Vorbereitung und Durchführung der Fussball-Weltmeisterschaften in Katar sind sowohl für den Fussball und die Fifa als auch für Katar ein Projekt von herausragender Bedeutung.» Es sei eine «einzigartige Gelegenheit», über die Begeisterung für den Fussball Völker und Kulturen aus der ganzen Welt zusammenzubringen. «Für eine Fussball-WM, die in die Geschichte der Region und der Fifa eingehen wird, lohnen sich auch die grössten Anstrengungen.»
Sein neuer Lebensmittelpunkt in Doha zeigt einmal mehr die klebrige Nähe des Fifa-Bosses zum Land auf der Arabischen Halbinsel. Seit Jahren steht Infantino in der Kritik, weil er einen allzu freundschaftlichen Umgang mit dem Emirat und dessen autoritären Herrschern pflegt.
Katar ist ein Staat, in dem die Scharia gilt. Wo Homosexuelle im Gefängnis landen und Menschenrechte mit Füssen getreten werden. Infantino aber sagt, die WM werde ein «Festival der sozialen Integration».
Bis zu 6500 Menschenleben für «acht fantastische Stadien»
In einer Medienmitteilung schrieb die Fifa kürzlich von «acht fantastischen Stadien in ganz Katar», die bereits fertiggestellt seien. Was der Weltfussballverband verschwieg: Gebaut haben die Stadien Arbeitsmigranten unter prekären Verhältnissen. Laut der britischen Zeitung «Guardian» sind im Zusammenhang mit der WM bis zu 6500 Gastarbeiter gestorben. Die Fifa bestreitet die Zahlen und redet von 34 Menschen, die «unmittelbar im Zusammenhang mit dem Stadionbau» ums Leben gekommen seien. Infantino sagt: «Das Erlebnis für die Fans wird grossartig.» Blut und Spiele.
Laut Fifa ist es nötig, dass Infantino regelmässig in Doha ist, um das Turnier mitzuorganisieren. Fifa-Kenner bezweifeln das. Der Präsident habe in erster Linie Repräsentationsaufgaben. Tatsächlich wurden dessen Management-Kompetenzen nach dem Rücktritt von Sepp Blatter 2016 stark beschnitten. Seit den damals vom Fifa-Kongress beschlossenen Reformen ist für die operativen Geschäfte die Generalsekretärin zuständig.
SonntagsBlick hat einen Teil von Infantinos Arbeitsalltag in den Monaten November und Dezember des vergangenen Jahres rekonstruiert. Zu dieser Zeit hielt sich der Fifa-Chef mehrheitlich in der katarischen Hauptstadt auf. Bilder zeigen ihn lachend mit dem Emir von Katar, beim Feiern an einem Formel-1-Rennen in Doha, während Spielen des Arabien-Pokals im Stadion.
Sonderermittler führen Strafverfahren gegen Infantino
Nun fiebert Infantino der WM an seinem neuen Wohnort entgegen – obwohl Ungereimtheiten rund um das Turnier bereits vor mehr als zehn Jahren ans Tageslicht kamen. Die Vergabe an das Emirat war von Bestechungs- und Korruptionsvorwürfen überschattet. Laut Ermittlern sollen Fifa-Funktionäre Schmiergelder kassiert haben, damit sie für die Golf-Monarchie als Gastgeberland stimmten.
Im Visier der Justiz steht auch der mächtigste Mann im internationalen Fussballgeschäft selbst: Gianni Infantino. Zwei Sonderermittler des Bundes führen ein Strafverfahren gegen ihn. Dabei geht es um ominöse Treffen mit dem damaligen Bundesanwalt Michael Lauber, der gegen die Fifa ermittelte, unter anderem wegen Unregelmässigkeiten bei der Vergabe der WM an Katar.
Infantino soll sich mehrmals im Geheimen mit dem obersten Ermittler getroffen haben. Die Vorwürfe gegen den Fifa-Chef: Amtsmissbrauch, Verletzung des Amtsgeheimnisses, Begünstigung. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Die Treffen mit Lauber fanden auf dessen Vorschlag hin in einem Sitzungszimmer des Berner Hotels Schweizerhof statt, im «Meeting Room III». Das Hotel gehört dem Emirat Katar, das Sitzungszimmer liegt Wand an Wand mit dessen Botschaft. Und: Zu einem der Geheimtreffen reiste Infantino im Privatjet eines befreundeten Autokraten an – Scheich Tamim bin Hamad al-Thani, Emir von Katar.