Schon ist von einer PUK die Rede
Euroturbos attackieren den Bundesrat

Die Regierung bringt die Befürworter des Rahmenvertrags auf die Palme – jetzt wollen Parlamentarier das Verhandlungsmandat einsehen. Und Progresuisse versendet einen Brandbrief an die Bundesräte.
Publiziert: 18.04.2021 um 12:23 Uhr
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Unter Druck: Bundespräsident Guy Parmelin.
Foto: imago images/Andreas Haas
Reza Rafi

Leugnen. Zorn. Verhandeln. Depression. Akzeptanz. Die fünf Phasen der Trauer nach Elisabeth Kübler-Ross lassen sich auch bei den Befürwortern des Rahmenvertrags erkennen.

Vor allem den Zorn dürfte die Landesregierung derzeit spüren, seit sie am Freitag beschlossen hat, nächste Woche einzig Guy Parmelin nach Brüssel zu schicken. Nur hartgesottene Optimisten glauben noch, dass der Bundespräsident, der seit drei Jahrzehnten für die SVP politisiert, nächsten Freitag das Abkommen retten wird.

Wozu war Leu Agosti überhaupt ermächtigt?

In der Aussenpolitischen Kommission (APK) des Nationalrats ist der Ärger unter den Verfechtern des institutionellen Rahmenvertrags gross – nicht zuletzt wegen einer Information der EU-Kommission, die letzte Woche von SRF verbreitet wurde: Demnach soll die Schweizer Unterhändlerin Livia Leu Agosti in den Gesprächsrunden nie eigene Textentwürfe vorgelegt haben. Was so gar nicht zur «Kreativität» passt, für die Aussenminister Ignazio Cassis seine Diplomatin im Oktober gerühmt hatte.

Bereits kursieren Theorien: Hat der Bundesrat Leu Agosti vorsätzlich die Hände gebunden? Wurde ein Durchbruch von höchster Stelle hintertrieben? In der APK ist in dieser Angelegenheit ein Antrag hängig: FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann verlangt parlamentarische Aufklärung. «Der Bundesrat wird aufgefordert, unverzüglich die Details des an Frau Staatssekretärin Livia Leu erteilten Mandates offenzulegen», heisst es im Begehren. Vor allem sei die Frage zu klären, ob Leu überhaupt ermächtigt war, konkrete Textentwürfe zu unterbreiten. Portmann begründet seinen Vorstoss mit dem «aussenpolitischen Schaden» nach mehrjährigem Hin und Her: «Die Aussenpolitischen Kommissionen müssen nun ihren Aufsichtspflichten gegenüber dem Bundesrat nachkommen.»

Progresuisse verschickt Brandbrief an den Bundesrat

Gegenüber SonntagsBlick droht der Antragsteller: «Sollte der Bundesrat nicht gewillt sein, alle Dokumente zu den Verhandlungen den Aussenpolitischen Kommissionen offenzulegen, würde ich nicht ausschliessen, dass sich eines Tages eine PUK über die bundesrätliche Misere beugt.»

Unmut herrscht auch bei Progresuisse. Bei der Befürworter-Gruppe, bei der Ex-CVP-Bundesrätin Doris Leuthard und 250 weitere Köpfe mitmachen, herrscht die Sorge, dass die Regierung bei ihrer Europasitzung am Montag den Stecker zieht. Der designierte Vorstand verschickt am Sonntag einen Brandbrief an die sieben Bundesratsmitglieder.

Die Regierung müsse «alles daransetzen, eine Eskalation mit Brüssel zu verhindern», heisst es in dem Schreiben, das SonntagsBlick vorliegt. Es verlangt, «dass der Bundesrat den Entscheid über das Rahmenabkommen nicht unter sich fällt, sondern Parlament und Volk einbezieht, wie er das eigentlich immer macht». Mit dem Zugang zum 500-Millionen-Markt stehe «zu viel auf dem Spiel». Auch die vom Parlament verabschiedeten Legislaturziele 2019–2023 seien gefährdet.

Freisinnige Parlamentarier machen bei Gantner mit

Unter besonderem Druck steht Bundespräsident Parmelin: Der SVP-Magistrat ist zuständig für Bildung und Forschung – damit für den europafreundlichsten Bereich der Gesellschaft. Ein offener Brief des Thinktanks Reatch vom 9. April dürfte kaum zu seiner Beruhigung beitragen: Den Appell an Parmelin für eine «verlässliche Beziehung mit der EU» unterzeichneten über 650 Schweizer Forscherinnen und Forscher.

In Bundesbern hingegen hoffen Strategen von SP, Die Mitte und FDP auf ein Njet des Bundesrats, weil sie Flügelkämpfe in ihren Parteien fürchten. Im Freisinn ist der Konflikt bereits ausgebrochen: Mit den Nationalräten Marcel Dobler und Christian Wasserfallen sowie Ständerat Martin Schmid sind inzwischen drei Fraktionsmitglieder Alfred Gantners Vereinigung Kompass/Europa beigetreten. Mit dem Zürcher Stadtrat Filippo Leutenegger ausserdem ein prominenter Exekutivpolitiker.

Worin sich alle einig sind: Ein alternatives, nachhaltiges Konzept zum Erhalt der Bilateralen fehlt bislang.

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