Es wird keine einfache Reise für Guy Parmelin (61). Der Bundespräsident reist am Freitag ohne weiteren Bundesrat zum Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (62) nach Brüssel. Noch immer ist unklar, welche Botschaft der SVP-Bundesrat ihr überbringen soll. Will die Regierung die Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU auf politischer Ebene fortführen? Oder hat sie einen Plan B?
Während sich der Bundesrat heute Mittwoch nochmals über das Dossier beugt, kommen aus der EU-Zentrale klare Signale. Man werde keine Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen übernehmen, sagte die stellvertretende Kabinettschefin der EU-Kommission, Stéphanie Riso (45), laut «Tages-Anzeiger» gegenüber den Botschaftern der EU-Länder. Man sehe trotz Angeboten der EU kein Entgegenkommen der Schweiz.
Harsche Kritik aus Osteuropa
Besonders kritisch äusserten sich am Freitag die osteuropäischen EU-Staaten. Sie stören sich seit längerem daran, dass die Schweiz zwar am EU-Binnenmarkt teilnehmen darf, die Kohäsionsmilliarden aber nach wie vor zurückhält. Diese wären eigentlich für Entwicklungsprojekte in Ost- und Mitteleuropa vorgesehen.
Und noch ein Punkt sorgt im Osten für Ärger: Nach wie vor ist es nämlich so, dass Bürger der 13 «neuen» EU-Ländern aus Ost- und Südosteuropa gegenüber Bürgern der «alten» EU-Länder hierzulande benachteiligt sind. Während ein lettischer Chemielaborant, der in der Schweiz arbeitet, erst nach zehn Jahren eine unbefristete Niederlassungsbewilligung (C-Ausweis) beantragen kann, hat die Köchin aus Deutschland diese Möglichkeit bereits nach fünf Jahren.
Schweiz soll «fair» entscheiden
Jedes Land habe das Recht, die für sich geltenden Regeln und Gesetze zu verabschieden, sagt die tschechische Botschafterin in Bern, Kateřina Fialková. Ihre Erwartung sei aber, dass die Schweiz «fair und nicht diskriminierend» entscheide und das Reziprozitätsprinzip respektiere. Und in Tschechien sei es so, dass sich Schweizerinnen und Schweizer bereits nach fünf Jahren niederlassen könnten.
Die Botschafterin zeigt sich zudem erstaunt darüber, dass 17 Jahre nach der ersten Osterweiterung der EU immer noch von «neuen» EU-Staaten die Rede sei. «Das wäre, als ob man die Schweiz als Neumitglied der Uno betiteln würde, was keiner tut», sagt Botschafterin Fialková.
Trumpf im Ärmel?
Was die Osteuropäer ärgert, könnte nun für die Schweiz bei den Verhandlungen um das Rahmenabkommen zum Joker werden. Die Idee geht so: Bundespräsident Guy Parmelin bietet der EU die rasche Gleichstellung aller Mitgliedsstaaten an und stimmt damit die osteuropäischen EU-Länder milder. Im Gegenzug könnte die Schweiz darauf bestehen, dass sie die Unionsbürgerrichtlinie der EU in den nächsten zehn Jahren nicht übernehmen muss.
Die Unionsbürgerrichtlinie bildet neben dem Lohnschutz den grössten Streitpunkt zwischen der Schweiz und der EU. Die Schweiz möchte, dass die Richtlinie – welche EU-Bürgern in der Schweiz etwa einfacheren Zugang zur Sozialhilfe verschaffen würde – explizit vom Abkommen ausgenommen wird. Die EU lehnt dies ab.
Doch könnte die Schweiz mit der Gleichbehandlung aller EU-Mitgliedsländer genügend Goodwill schaffen für einen Kompromiss? Kateřina Fialková dämpft die Hoffnungen: «Das Rahmenabkommen ist eine komplexe Angelegenheit, welche bereits einige Zeit in Anspruch nahm und die Interessen von 27 EU-Ländern und der Schweiz unter einen Hut bringen soll.» Einzelne Anpassungen allein, wie etwa die Verkürzung der Niederlassungsfristen, würden daher beim Rahmenabkommen «keine grossen Änderungen» herbeiführen.
Ähnlich tönt es auch vonseiten der polnischen Botschaft. Die Gespräche dürften für Parmelin nicht einfach werden.