Der Fall hat schweizweit für Aufsehen gesorgt. Mudza E.* (55) soll ausgeschafft werden – nach 26 Jahren in der Schweiz. Die alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern hat Schulden und bezieht seit der Trennung von ihrem Mann Sozialhilfe. Das könnte ihr nun zum Verhängnis werden. Ihre Integration sei nicht als gelungen zu erachten, begründet das Baselbieter Migrationsamt die Wegweisung.
Solche Ausschaffungen sollen künftig verhindert werden. Das sieht nun auch ein klares Mehr der Staatspolitischen Kommission (SPK) des Nationalrats so. Am Freitag hat sie der parlamentarischen Initiative «Armut ist kein Verbrechen» von SP-Nationalrätn Samira Marti (28) mit 14 zu 10 Stimmen zugestimmt.
«Hier ist jeder Fall ein Fall zu viel»
«Ich bin sehr froh, dass eine klare Mehrheit den Handlungsbedarf erkannt hat», sagt Marti. Das 2019 verschärfte Ausländergesetz führe dazu, dass Ausländer, die seit Jahrzehnten hier leben, arbeiten und Steuern zahlen, wegen Arbeitsplatzverlust, Unfall, Krankheit, Trennung oder Pech auf Sozialhilfe angewiesen sind, deswegen weggewiesen werden.
Marti fordert hier höhere Hürden. Beim Widerruf von Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligungen sei wieder eine Schutzfrist einzuführen. Wer mehr als zehn Jahre in der Schweiz lebt, soll auch bleiben dürfen, wenn er oder sie unverschuldet Sozialhilfe bezieht. Ausgenommen sein sollen nur Personen, die ihre eigene Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt hätten.
«Ich konnte in der Kommission aufzeigen, dass es in der Praxis eben oft anders läuft als vom Gesetzgeber vorgesehen», sagt Marti. Es treffe eben nicht nur Arbeitsunwillige, sondern Armutsbetroffene. Das seien nicht selten alte oder kranke Menschen, oft auch alleinstehende Mütter. «Und hier ist jeder Fall ein Fall zu viel», ist Marti überzeugt. «Hier werden Familien auseinandergerissen.»
Verzicht auf Sozialhilfe – aus Angst
Da nütze auch die von Justizministerin Karin Keller-Sutter (58) ins Feld geführte Verhältnismässigkeitsprüfung regelmässig nichts. Mit dieser könnten Behörden jeweils berücksichtigen, «wenn die betroffene Person unverschuldet in ihre prekäre Lage gekommen ist». Dennoch komme es immer wieder zu Härtefällen.
Die Verknüpfung des Sozialhilfebezugs mit den aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen hat sich für die Kommission negativ ausgewirkt, wie sie in ihrer Mitteilung schreibt. Und: «Unsicherheit und Angst dürfen nicht dazu führen, dass Personen ihren Anspruch auf Sozialhilfe nicht wahrnehmen.»
Das komme immer öfter vor, betont Marti. Während der Sozialhilfebezug bei Ausländern prozentual sinke, bleibe er bei Schweizern stabil. Marti: «Das ist ein deutliches Zeichen, dass viele Angst haben, ihre Sozialhilfe rechtmässig zu beziehen.» Eine neue Studie der Sozialdirektorenkonferenz (SODK) bestätige dieses Phänomen.
«Die heutige Auslegung dieser Bestimmungen entspricht nicht dem Willen des Gesetzgebers», urteilt die Kommissionsmehrheit. Sie erkennt daher Korrekturbedarf. Im Gesetz sei zu präzisieren, wann der Entzug einer Bewilligung akzeptabel sei.
Auch Mudza E. hofft noch immer darauf, doch in der Schweiz bleiben zu dürfen. Sie hat Einsprache gegen die Wegweisung erhoben. Zwei Instanzen haben diese schon abgelehnt. Nun liegt der Entscheid beim Bundesgericht. (dba)
* Name der Redaktion bekannt