Bundesrat: Ohne Ziel, ohne Scham, ohne Rat
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Rahmenabkommen auf der Kippe:Ohne Rat und ohne Ziel

Rahmenabkommen auf der Kippe
Bundesrat: Ohne Ziel, ohne Scham, ohne Rat

Die Regierung erhebt den Stillstand zum Programm. Parmelins Brüssel-Trip gilt in der Verwaltung als letzte grosse Geste vor dem Abbruch.
Publiziert: 25.04.2021 um 01:17 Uhr
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Aktualisiert: 25.04.2021 um 10:37 Uhr
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Nach über einem Jahr kam es am vergangenen Freitag erstmals wieder zu einem Treffen zwischen einem Bundespräsidenten und der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Foto: picture alliance / AA
Camilla Alabor, Simon Marti und Reza Rafi

Der Minigipfel in Brüssel war rascher zu Ende, als vielleicht zu erwarten gewesen war: Bundespräsident Guy Parmelin (61) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (62) brauchten deutlich weniger als jene zwei Stunden, die für das Treffen reserviert waren. Das mag daran liegen, dass die Positionen zum Rahmenabkommen noch immer ziemlich weit auseinanderliegen. Was auch für die Interpretation darüber zutrifft, was am Freitag überhaupt besprochen wurde.

Aus Sicht Brüssels will die Schweiz die drei umstrittenen Punkte ganz aus dem Abkommen streichen – Lohnschutz, Unionsbürgerrichtlinie, staatliche Beihilfen (siehe Box Seite 4). Das sei für die EU «inakzeptabel», sagte Kommissionssprecher Eric Mamer der versammelten Journalistenschar. Zugleich machte er klar, dass man den Verhandlungstisch nicht verlassen werde. Der Ball liege nun beim Bundesrat.

Deutliche Worte von Parmelin

Doch auch Bundespräsident Parmelin drückte sich ungewöhnlich deutlich aus. Differenzen mit der EU? Erheblich. Druck Brüssels auf die Schweiz? Kontraproduktiv. Brüssels Vorwurf, Bern habe in früheren Verhandlungen keinerlei Lösungsvorschläge eingebracht? Das habe man sehr wohl getan.

Worin diese Vorschläge genau bestanden haben, dazu sagte Parmelin allerdings nichts. Ebenso wenig wurde klar, wie es nun weitergeht. Ein neuer Termin mit von der Leyen ist nicht vereinbart.

Kein Wunder, sorgt die anhaltende Geheimniskrämerei für Kritik. Wobei nicht nur Parlamentarier Transparenz einfordern, sondern auch Ex-Aussenministerin Micheline Calmy-Rey: «Die Nichtkommunikation des Bundesrats wird langsam, aber sicher zum Problem», kritisiert die alt Bundesrätin.

Die Genferin konstatiert «Führungslosigkeit» in der schweizerischen Europapolitik. Statt das Wohl des Landes vor Augen zu haben, denke jeder Bundesrat vor allem an sich selbst. Unverständlich auch, dass Aussenminister Cassis während der Verhandlungen nie nach Brüssel gereist sei.

Zerstrittener Bundesrat

Diese Führungslosigkeit mag damit zu tun haben, dass im Bundesrat bis zum Schluss Uneinigkeit über das weitere Vorgehen herrschte – und noch immer herrscht. Der Nervenkrieg im Siebnergremium ist voll entbrannt. Hohe Bundesbeamte verliehen vor Parmelins Reise nach Brüssel ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die Verhandlungen künftig von der technischen auf die politische Ebene gehievt würden. Nur so seien echte Lösungen zu erreichen und Kompromisse möglich. In diesem Sinne hatte sich bei früherer Gelegenheit auch Ignazio Cassis geäussert.

Nur: Dann müssten Migrationsministerin Karin Keller-Sutter, Wirtschaftsminister Parmelin und Aussenminister Ignazio Cassis direkt mit Brüssel verhandeln. Für ein solches Vorgehen machte sich dem Vernehmen nach insbesondere Umweltministerin Simonetta Sommaruga stark – sie drang damit aber nicht durch.

Darum geht es beim Knatsch

Das Rahmenabkommen soll die bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU in einen Rahmen einbetten. Dieser regelt:

  • Wie Abkommen angepasst werden, wenn sich das EU-Recht entwickelt.
  • Wer überwacht, dass beide Seiten die Abkommen richtig anwenden.
  • Wie sichergestellt wird, dass beide Seiten die Abkommen gleich auslegen.
  • Wer richtet, wenn es Streit über diese Fragen gibt.

Umstritten ist vor allem der letzte Punkt. In der Schweiz will man nicht, dass EU-Richter, also «fremde Richter» Streitfragen entscheiden. Der Bundesrat konnte ein Schiedsgericht aushandeln. Dieses wäre zu gleichen Teilen mit Schweizer und EU-Richtern besetzt. Die Schiedssprüche sind verbindlich. Setzt die unterlegene Partei diese nicht um, kann die andere Partei Ausgleichsmassnahmen ergreifen. Diese müssen aber «verhältnismässig» sein, dürfen also nicht unangebracht drastisch ausfallen. Bestimmte Entscheide könnten zudem vom Europäischen Gerichtshof gefällt werden.

Das Rahmenabkommen soll die bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU in einen Rahmen einbetten. Dieser regelt:

  • Wie Abkommen angepasst werden, wenn sich das EU-Recht entwickelt.
  • Wer überwacht, dass beide Seiten die Abkommen richtig anwenden.
  • Wie sichergestellt wird, dass beide Seiten die Abkommen gleich auslegen.
  • Wer richtet, wenn es Streit über diese Fragen gibt.

Umstritten ist vor allem der letzte Punkt. In der Schweiz will man nicht, dass EU-Richter, also «fremde Richter» Streitfragen entscheiden. Der Bundesrat konnte ein Schiedsgericht aushandeln. Dieses wäre zu gleichen Teilen mit Schweizer und EU-Richtern besetzt. Die Schiedssprüche sind verbindlich. Setzt die unterlegene Partei diese nicht um, kann die andere Partei Ausgleichsmassnahmen ergreifen. Diese müssen aber «verhältnismässig» sein, dürfen also nicht unangebracht drastisch ausfallen. Bestimmte Entscheide könnten zudem vom Europäischen Gerichtshof gefällt werden.

So glaubt etwa Keller-Sutter nicht daran, dass sich die Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie noch wegverhandeln lasse. Und in einen aussichtslosen Kampf steigen möchte die FDP-Magistratin nicht. Das Gleiche gilt für Guy Parmelin. Also erklärte der Bundespräsident am Freitag, dass nun doch wieder die Unterhändlerinnen im Lead seien – obwohl die technischen Verhandlungen in den letzten Monaten kaum Fortschritte gebracht haben.

Trotz allen Wirrwarrs: Eine Mehrheit in der Regierung ist offenbar der Meinung, die Schweiz habe am Freitag Klarheit geschaffen. Die Message an von der Leyen sei eindeutig, heisst es aus dem Umfeld mehrerer Bundesräte: Die Schweiz brauche Konzessionen in den umstrittenen drei Punkten. «Wenn sich Brüssel nicht bewegt, ist das Abkommen gestorben.» Im Übrigen könne die Schweiz mit einem Scheitern durchaus leben. Was aus regierungsnahen Kreisen ebenfalls zu vernehmen ist: Parmelins Trip gilt verwaltungsintern als letzte grosse Geste vor dem Abbruch der Verhandlungen.

Kommt Plan B zum Zug?

Im Aussendepartement wird herumgereicht, dass der Bundesrat in den einzelnen Departementen einen Plan B entwickeln lässt. Manche sollen bereits begonnen haben, Alternativlösungen auf Dossier-Ebene zu erarbeiten. Damit soll der Schweizer Standort für den Fall gewappnet sein, dass die Schweiz ihren privilegierten Zugang zum europäischen Markt allmählich verliert.
Auf einen solchen Plan B angesprochen, gibt sich Bundespräsident Guy Parmelin allerdings schmallippig. «Der Bundesrat denkt immer in Alternativen», sagt er im Interview mit SonntagsBlick.

Erste Vorbereitungen auf einen bevorstehenden Spurwechsel sind aber bereits bekannt. So ist in Alain Bersets Innendepartement das BAG schon länger damit beschäftigt, Strategien gegen einen drohenden Versorgungsengpass mit Medizinalgütern zu entwickeln für den Fall, dass das betreffende Marktzugangsabkommen wegfällt. Schon im März bestätigte der Bund die «Massnahmen zur Reduktion von Versorgungsrisiken».

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Auch in Wirtschaftskreisen bereitet man sich auf einen länger anhaltenden Zustand der Vertragslosigkeit vor.

So will man in jenen Bereichen, die unumstritten sind und in denen sich das EU-Recht weiterentwickelt, die europäische Gesetzgebung künftig autonom nachvollziehen. Dies in der Absicht, dass die Lücke zwischen dem Schweizer und dem europäischen Rechtsraum nicht allzu gross wird.

Denn die EU bleibt für die Schweiz der wichtigste Handelspartner.
Mit oder ohne Rahmenabkommen.

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