Pierre Maudet plant Polit-Comeback
«Demut entsprach nicht meinem Naturell»

Der einstige Genfer Polit-Shootingstar, Pierre Maudet, will es noch einmal wissen: Nach zwei Jahren in der politischen Versenkung taucht er wieder auf. Er will erneut in die Genfer Regierung – und betreibt dafür mit einer linken Forderung Wahlkampf.
Publiziert: 05.11.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.11.2022 um 11:03 Uhr
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Pierre Maudet will erneut für den Genfer Regierungsrat kandidieren.
Foto: keystone-sda.ch
Daniella Gorbunova

Pierre Maudet (44) will es noch einmal wissen. Der ehemalige Genfer Staatsrat, dem eine Reise nach Abu Dhabi zum Verhängnis geworden ist, tritt bei den Wahlen kommenden Frühling mit der Liste «Libertés et Justice sociale» (Freiheit und soziale Gerechtigkeit) an. Seine Chancen, gewählt zu werden, gelten als intakt. Und das trotz des Strafverfahrens gegen ihn, das noch immer nicht abgeschlossen ist.

Maudet wird Vorteilsnahme im Zusammenhang mit der Luxusreise ins Emirat vorgeworfen. Er wurde in zweiter Instanz freigesprochen, aber die Staatsanwaltschaft hat das Urteil ans Bundesgericht weiter gezogen. Doch selbst eine Verurteilung würde nichts an seinen politischen Ambitionen ändern, liess Maudet verlauten.

Im Interview mit Blick äussert sich der ehemalige FDP-Politiker, der 2017 offizieller Bundesratskandidat der Freisinnigen war, nun zu seinen politischen Ambitionen.

Blick: Warum kehren Sie in die Politik zurück? Haben Sie es so nötig?
Pierre Maudet:
Es gibt eigentlich keine «Rückkehr», da ich nie aufgehört habe, mich in der Öffentlichkeit zu engagieren. In den letzten zwei Jahren habe ich viele Genferinnen und Genfer getroffen. Sie haben mir von ihren Problemen und Erwartungen erzählt. Heute geht es um ihre Bedürfnisse, nicht um meine.

Und was sind Ihrer Meinung nach deren Probleme und Erwartungen?
Kurz gesagt: Die Menschen wollen, dass der Reichtum dieser Stadt ihnen zugutekommt. Heute nimmt die Ungleichheit zu, zum Nachteil einer schwindenden Mittelschicht. In einem reichen Kanton bedeutet dies, dass die Ressourcen nicht gerecht verteilt werden. Wir haben uns zu sehr auf dem ausgeruht, was wir schon erreicht haben. Diese Entwicklung ist deshalb logisch. Jetzt müssen wir unsere Trümpfe spielen.

Pierre Maudet, der Mann der Stunde?
Ganz und gar nicht. Ich bin nicht alleine, sondern bin hauptsächlich von Bürgern umgeben, die ich in den letzten zwei Jahren kennengelernt habe. Menschen mit Kompetenzen und dem Willen, etwas zu bewegen.

Aber Sie geben zu, dass Sie in der Vergangenheit schon das Gefühl hatten, dass sich alles um Sie dreht?
Sicher ist, dass Macht isoliert. Ich sass 14 Jahre lang in der Stadt- und der Kantonsregierung. Die Tatsache, dass ich unter den bekannten Umständen abrupt aus dem Amt geschieden bin, verändert einen. Sie zwingt einen, sich neu mit bestimmten Realitäten auseinanderzusetzen. Und vor allem zwingt sie mich zu grosser Demut.

Was nicht gerade Ihre Stärke war.

Das entsprach vielleicht nicht sehr meinem Naturell, das muss ich zugeben, ja.

Ihre Zeit bei Wisekey hat Sie nicht von den Vorzügen der Privatwirtschaft überzeugt? Man kann in einer Firma doch grosse Dinge erreichen, nicht?
Ich bin immer noch bei Wisekey und freue mich, weiterhin Erfahrung innerhalb einer Cybersicherheitsfirma zu sammeln. Aber man sollte die Privatwirtschaft nicht idealisieren und sie nicht gegen die öffentliche Hand ausspielen.

Lassen Sie uns über die Politik sprechen. Ein Blick auf Ihre Website zeigt, dass Sie noch etwas am Abtasten sind. Das sieht so gar nicht nach Maudet aus, dem strukturierten Draufgänger.
Die vier Säulen unserer Bewegung «Libertés et Justice sociale» sind klar definiert: Gesundheit, Wohnen, Arbeit und Bildung. Da geht es nicht darum, Versprechungen zu machen, an die im Übrigen niemand mehr glaubt, sondern darum, quantifizierbare und realisierbare Projekte vorzuschlagen. Zu diesen werden wir nach und nach mehr verraten.

Bereits bekannt ist Ihre Forderung nach einer öffentlichen Krankenkasse. Eine linke Forderung!
Das ist nicht links, wie Sie sagen, sondern eine Frage des Pragmatismus. Für mich rückt das den Staat wieder in den Mittelpunkt, und steht in diesem Sinne in freisinniger Tradition. Denn wenn es um das Gesundheitswesen und seine Kosten geht, die alle betreffen, braucht man einen soliden Staat, der Transparenz schafft. Das ist heute überhaupt nicht der Fall. Für die Bürger herrscht bei den Kosten völlige Intransparenz. Genf muss ein Pilotprojekt starten. Eine öffentliche Krankenkasse ist die Garantie für Transparenz und eine bessere Kostenkontrolle. Für einige Familien in Genf sind die Prämien höher als ihre Miete. Das ist nicht mehr tragbar.

Wenn wir das System schon umkrempeln wollen, wäre dann nicht eine Einheitskasse die richtige Lösung?
Nun, irgendwo muss man ja anfangen, um aus dem Stillstand herauszukommen.

Das Volk hat die Idee einer Einheitskasse vor acht Jahren abgelehnt. Warum glauben Sie daran?
Vor acht Jahren waren die Vorbehalte vor allem ideologischer Natur. Heute sind sich immer mehr Akteure im Gesundheitswesen einig, dass eine öffentliche Krankenkasse ein Weg aus der Sackgasse wäre – ohne dass die Steuern erhöht werden müssten.

Bislang sind alle mit dem Versuch gescheitert, das System zu verändern. Warum etwas Unmögliches angehen?
Als ich als Staatsrat die Operation Papyrus startete, die Sans-Papiers regularisierte, wurde mir gesagt, dass dies unmöglich sei – obwohl das Problem seit langem bekannt war. Wir haben es durchgezogen, weil alle eingesehen haben, dass es einem Bedürfnis entsprach und eine scheinheilige Politik beendete. Die Bedürfnisse müssen der Ausgangspunkt sein. Was die Krankenversicherung betrifft, sind die Bedürfnisse offensichtlich: Es kann nicht sein, dass manche Menschen auf eine medizinische Versorgung verzichten, weil die Prämien zu hoch sind.

Zugegeben, Gesundheit betrifft jeden, aber ist «Libertés et Justice sociale» nun links oder rechts?
Positioniert man sich in diesem Links-Rechts-Spektrum, bleibt man in diesen traditionellen Schemata. Wir aber wollen mit unserer Liste aus den parteipolitischen Blockaden ausbrechen und Brücken bauen.

Sie sind also das neue Mouvement Citoyens Genevois? Weder links noch rechts?
Darum gehts nicht, das ist nicht dasselbe. Wir sagen, dass wir uns von dieser Politik der Politiker lösen und Projekte initiieren müssen, die die Gräben überwinden können. Das ist ein konstruktiver Ansatz, kein Ansatz gegen etwas. Ideen gibt es überall, gute und schlechte. Links wie rechts.

Der neue Maudet ist also ein Populist.
Wenn Populismus Humanismus, Volksnähe und die Suche nach konkreten Antworten auf die Probleme, die die Menschen beschäftigen, bedeutet, dann ist diese Bezeichnung für mich in Ordnung.

Sie sind zwar seit zwei Jahren weg von der Politik, doch man vergisst nicht so schnell. Haben Sie keine Angst, dass die Leute die Nase voll von Ihnen haben?
Es geht nicht um mich! Bei diesen Wahlen geht es darum, Antworten bereitzuhaben für die Fragen, die die Genferinnen und Genfer in Bezug auf Beschäftigung, Wohnraum, Bildung und Gesundheit bewegen. Aus diesem Grund wurde die Liste «Libertés et Justice sociale» gegründet. Darum haben Bürger den Mut, sich an meiner Seite zu engagieren. Und am Ende wird das Volk entscheiden.

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