Eine Landwirtschaft ohne Pestizide: Der Traum von Umweltschützern ist der Albtraum von Guy Parmelin (61). Der Bundespräsident und Landwirtschaftsminister kämpft für ein Nein zur Trinkwasser- und Pestizid-Initiative, über die die Schweiz am 13. Juni abstimmt. Und das nicht nur als Bundesrat. Blick hat den gelernten Winzer in seinem Büro zum Interview getroffen. Dabei merkte man rasch, dass sich Parmelin noch immer stark mit seinem Beruf identifiziert – auch wenn er schon lange nicht mehr im Rebberg steht.
Herr Parmelin, Ihre Familie hat ein Weingut am Genfersee. Gäbe es den Wein der Parmelins ohne Pestizide?
Guy Parmelin: Nein, ohne Pestizide wäre der Weinbau für uns fast unmöglich. Zwar gibt es Jahre wie das vergangene, in dem es fast keine Pestizide brauchte. Aber in einem Jahr mit viel Regen hätten wir ein Problem. Gewisse Rebsorten sind so empfindlich – da wäre die ganze Ernte hinüber.
Aber es gibt zahlreiche Biowinzer, die ohne Pflanzenschutzmittel arbeiten. Problemlos, wie sie sagen.
Ich bin sicher, dass die meisten von ihnen Kupfer benutzen. Auch das ist ein Pestizid, das als Schwermetall die Umwelt belastet. Schwefel wird ebenfalls häufig eingesetzt, auch im Biolandbau. Aber natürlich versuchen wir, den Verbrauch zu reduzieren. Wenn es die Möglichkeit gibt, auf Alternativen umzusteigen, dann machen wir das! Insektizide und Akarizide gegen Milben benutzen wir schon lange keine mehr. Ganz auf Pestizide zu verzichten, hätte aber schlimme Konsequenzen. Wir würden damit die Struktur unserer Landwirtschaft zerstören.
Viele Menschen sind da weniger pessimistisch. Die beiden Pestizid-Initiativen stossen in der Bevölkerung auf grosse Resonanz. Wie erklären Sie sich das?
Früher kannte jeder von uns einen Landwirt. Der Grossvater bauerte oder der Onkel – oder man verbrachte die Ferien auf dem Bauernhof. Heute haben viele diesen Bezug verloren. Die Bauernorganisationen haben in der Vergangenheit zudem zu wenig erklärt, welche Fortschritte sie schon erzielt haben. Schon seit Jahrzehnten vermindern wir überall, wo es möglich ist, den Pestizid-Einsatz. Nur die Landwirtschaft in die Pflicht zu nehmen, ist übrigens zu kurz gedacht. Die Konsumentinnen und Konsumenten müssten auch ihr Einkaufsverhalten ändern! Damit könnte man schon viel verbessern.
Besteht aus Ihrer Sicht ein Widerspruch zwischen dem, was die Leute jetzt fordern, und dem, was sie kaufen?
Am Schluss zählt für die Leute der Preis. Ist das Biogemüse 20 oder 30 Prozent teurer als das konventionelle, kaufen sie Letzteres. Aber es geht nicht nur um Bio. Ich finde es wichtig, dass wir mehr einheimische und saisonale Früchte kaufen oder im Laden oder auf dem Markt nicht nur die Äpfel herauspicken, die besonders schön sind.
Die Trinkwasser-Initiative will, dass nur noch Bauern Direktzahlungen erhalten, die keine Pestizide einsetzen und ihre Tiere mit eigenem Futter ernähren. Was wären die Konsequenzen einer Annahme?
Wir müssten sicher mit höheren Preisen bei gewissen Lebensmitteln rechnen. Der Einkaufstourismus würde gestärkt und unsere Lebensmittelindustrie und der Detailhandel geschwächt. Ich befürchte zudem, dass die Trinkwasser-Initiative dem Umweltschutz eher schaden denn nützen könnte. Denn gewisse Sektoren – zum Beispiel der Gemüse- und Obstbau – werden wahrscheinlich lieber auf Direktzahlungen verzichten statt auf Pestizide. Das rentiert sich mehr. Die Folge: Diese Bauern würden wohl noch mehr spritzen.
Die Pestizid-Initiative ist insofern konsequenter, als dass sie nicht nur die Inlandsproduktion betreffen würde.
Ja, das stimmt. Die Absicht ist gut, aber in der Praxis ist auch dieser Vorschlag untauglich. Eine solche Importbeschränkung auf Produkte, die ohne Pestizide hergestellt wurden, lässt sich nicht umsetzen. Das würde gegen die Richtlinien der Welthandelsorganisation (WTO) verstossen. Die Schweiz müsste mit Gegenmassnahmen rechnen. Zudem bin ich nicht sicher, ob ein Lebensmittelproduzent wie Nestlé noch viel in der Schweiz investieren würde, wenn er Kakao und Kaffee nicht mehr hier verarbeiten könnte. Der Standort Schweiz würde geschwächt.
Der Traum einer Landwirtschaft ohne Pestizide sei eine Illusion, sagen Sie. Warum?
Die Geschichte zeigt, was passieren kann: Es gab früher Hungersnöte, weil ganze Ernten ausfielen. Dank technologischer Entwicklungen, aber auch dank der Pestizide kann heute eine gewisse Qualität und Quantität der Ernte gesichert werden.
Jetzt malen Sie aber etwas gar schwarz! Sie wollen doch nicht ernsthaft behaupten, dass bei Annahme der Initiativen eine Hungersnot drohen könnte?
Fakt ist: Die Ernährungssicherheit wäre in Gefahr. Schon heute importieren wir fast 50 Prozent unserer Lebensmittel. Werden die Initiativen angenommen, wären wir noch mehr vom Ausland abhängig. Wir haben in der Corona-Pandemie gesehen, was passiert, wenn eine Krise kommt: Jedes Land schaut zuerst für sich. Unsere Landwirtschaft ist unsere Ernährungsversicherung!
Allerdings ist es auch eine Illusion zu glauben, dass es so weitergehen kann wie bisher.
Das wird es auch nicht. Werden die Initiativen abgelehnt, passiert nicht einfach nichts. Eben erst haben wir ein Massnahmenpaket in die Vernehmlassung geschickt, um die Pestizid- und Dünge-Problematik anzugehen. Das geht schon sehr weit, ist aber im Gegensatz zu den Initiativen nicht illusorisch, sondern pragmatisch. Wir haben ein klares Ziel: Bis 2027 sollen die Pestizid-Risiken um 50 Prozent minimiert werden. Als eine konkrete Massnahme werden zum Beispiel die Zulassungsvoraussetzungen für Pflanzenschutzmittel verschärft.
Definitiv entschieden wird darüber aber erst, nachdem wir über die Pestizid-Initiativen abgestimmt haben. Sie können jetzt viel versprechen – und am Schluss wieder verwässern.
Nein, das stimmt nicht. Das Gesetz ist in der Frühlingssession definitiv vom Parlament beschlossen worden. Die Verschärfung des Gewässerschutzgesetzes lässt sich nicht abschwächen. Wir werden nichts verwässern – auch nicht die anderen Massnahmen –, selbst wenn ich weiss, dass der Bauernverband gegen einzelne Vorschläge ist. Vielleicht geht aus den Rückmeldungen der Kantone, Parteien und Verbände hervor, dass man noch die eine oder andere Massnahme optimieren könnte. Aber das Ziel ist klar gegeben. Die Belastung mit Pestiziden muss bis 2027 um 50 Prozent reduziert werden. Daran werden wir festhalten! Sonst bekämen wir ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Um Glaubwürdigkeit gehts für Sie gerade auch beim Rahmenabkommen.Die EU zeigte sich geradezu schockiert, weil der Bundesrat nicht einlenken will. Wie ordnen Sie das ein?
Die EU kennt die Position der Schweiz schon seit langem. Ich habe einzig Klartext gesprochen – nicht mehr und nicht weniger. Wir sind der EU zum Beispiel mit der dynamischen Rechtsübernahme schon weit entgegengekommen. In den drei umstrittenen Punkten erwarten wir ein substanzielles Entgegenkommen: beim Lohnschutz, bei der Unionsbürgerrichtlinie und bei den staatlichen Beihilfen. Sonst kann der Bundesrat das Rahmenabkommen nicht unterzeichnen. Wir haben schon 2019 auf diese Punkte hingewiesen und niemand kann überrascht sein.
Der Ball liegt nun also bei der EU.
Der Bundesrat erwartet jetzt ein Entgegenkommen.
Glauben Sie noch an das Abkommen?
Wir haben getan, was wir konnten. Vielleicht würden wir bei der dynamischen Übernahme von EU-Recht heute nicht mehr so weit gehen. Nun aber brauchen wir klare Zugeständnisse von der EU. Wir brauchen sie auf Dauer. Und wir brauchen sie schwarz auf weiss. Wir können uns in diesen grundsätzlichen Fragen keine Unsicherheiten leisten. Das haben wir damals der EU auch im Brief an Kommissionspräsident Juncker mitgeteilt. Ich hoffe, dass die EU ihre bisherige Position überdenkt. Sonst wird der Bundesrat das Abkommen nicht vor das Volk bringen können.
Statt einzulenken, übt die EU aber immer mehr Druck auf die Schweiz aus. Neustes Beispiel: Die SBB dürfen sich nicht an einem internationalen Forschungsprojekt beteiligen.
Solche Druckversuche helfen sicher nicht, die gute Stimmung zwischen der EU und der Schweiz zu bewahren – zumal solche Projekte rein gar nichts mit dem Rahmenabkommen zu tun haben. Zudem sind sie auch nicht im Interesse der EU selbst. Aber die drei offenen Punkte tangieren die vitalen Interessen der Schweiz und können durch solche Druckversuche nicht infrage gestellt werden.
Guy Parmelin (61) ist seit fünfeinhalb Jahren Bundesrat, seit 2019 steht er dem Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) vor, in dessen Verantwortung auch die Landwirtschaft fällt. Vor seiner Wahl in den Bundesrat führte der gelernte Meisterlandwirt und Weinbauer mit seinem Bruder ein Weingut in Bursins VD. Zudem sass Parmelin viele Jahre im Verwaltungsrat des Agrarriesen Fenaco.
Guy Parmelin (61) ist seit fünfeinhalb Jahren Bundesrat, seit 2019 steht er dem Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) vor, in dessen Verantwortung auch die Landwirtschaft fällt. Vor seiner Wahl in den Bundesrat führte der gelernte Meisterlandwirt und Weinbauer mit seinem Bruder ein Weingut in Bursins VD. Zudem sass Parmelin viele Jahre im Verwaltungsrat des Agrarriesen Fenaco.
Mit der Trinkwasser- und der Pestizid-Initiative stimmt die Schweiz am 13. Juni über zwei Vorlagen ab, die sich thematisch sehr ähnlich sind.
Hinter der Trinkwasser-Initiative steht Fitnesstrainerin Franziska Herren (54). Sie will unter anderem, dass nur noch jene Bauern Direktzahlungen erhalten, die keine Pestizide verwenden. Landwirte dürfen zudem nur so viele Tiere halten, wie sie mit Futter ernähren können, das auf dem eigenen Betrieb produziert wird.
Die Pestizid-Initiative, die von einem Bürgerkomitee aus der Westschweiz eingereicht wurde, ist noch extremer und will ein komplettes Verbot synthetischer Pestizide – nicht nur für die Landwirtschaft. Es sollen auch keine Güter mehr importiert werden dürfen, bei deren Herstellung Pestizide zum Einsatz kamen.
Bundesrat und Parlament lehnen beide Initiativen ab.
Mit der Trinkwasser- und der Pestizid-Initiative stimmt die Schweiz am 13. Juni über zwei Vorlagen ab, die sich thematisch sehr ähnlich sind.
Hinter der Trinkwasser-Initiative steht Fitnesstrainerin Franziska Herren (54). Sie will unter anderem, dass nur noch jene Bauern Direktzahlungen erhalten, die keine Pestizide verwenden. Landwirte dürfen zudem nur so viele Tiere halten, wie sie mit Futter ernähren können, das auf dem eigenen Betrieb produziert wird.
Die Pestizid-Initiative, die von einem Bürgerkomitee aus der Westschweiz eingereicht wurde, ist noch extremer und will ein komplettes Verbot synthetischer Pestizide – nicht nur für die Landwirtschaft. Es sollen auch keine Güter mehr importiert werden dürfen, bei deren Herstellung Pestizide zum Einsatz kamen.
Bundesrat und Parlament lehnen beide Initiativen ab.