Paradoxe Bevölkerungszahlen – was steckt dahinter?
Weniger Zuwanderung, weniger Geburten – und doch wächst die Schweiz

Weniger Geburten, weniger Zuwanderung – und trotzdem wächst die Bevölkerung der Schweiz. 2024 lebten erstmals über neun Millionen Menschen im Land. Wie passt das zusammen? Und was bedeutet das für Wirtschaft, Sozialwerke und Politik?
Publiziert: 04.04.2025 um 09:26 Uhr
|
Aktualisiert: 04.04.2025 um 09:49 Uhr
1/5
Die Schweiz knackt erstmals die 9-Millionen-Einwohner-Marke, trotz sinkender Zuwanderung und wenig Geburten.
Foto: Blick

Darum gehts

  • Schweizer Bevölkerung erreicht 9 Millionen trotz historisch niedriger Geburtenrate
  • Zuwanderung sinkt um 19,1%, Auswanderung steigt um 1,3%
  • Bis 2035 werden voraussichtlich 460'000 Erwerbstätige in der Schweiz fehlen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Nastasja_Hofmann_Praktikantin Politikressort_Blick_1-Bearbeitet.jpg
Nastasja HofmannRedaktorin Politik

Die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz erreichte 2024 laut Bundesamt für Statistik einen Höchststand: 9'048'900 Menschen. Gleichzeitig sank die Geburtenrate auf ein Rekordtief – 1,28 Kinder pro Frau. Die Auswanderung stieg um 1,3 Prozent, die Einwanderung fiel um 19,1 Prozent. Wie also kommt es zu diesem Bevölkerungsrekord? Und was bedeuten diese Entwicklungen für das Land?

Der natürliche Zuwachs – also die Differenz zwischen Geburten und Todesfällen – war minimal: nur 6200 Personen. So wenige waren es seit 1918 nicht mehr. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung. Frauen werden im Schnitt 86 Jahre alt, Männer 82,5.

Weniger Leute kommen, mehr gehen

2024 kamen 212'700 Menschen in die Schweiz – fast ein Fünftel weniger als im Vorjahr. Vor allem weniger Ausländerinnen und Ausländer wanderten ein. Die Auswanderung betraf ebenfalls mehrheitlich Menschen ohne Schweizer Pass: 125'600 Personen verliessen das Land.

Rechnen wir nach: 212'745 Einwanderungen plus 78'018 Geburten, abzüglich 125'602 Auswanderungen und 71'801 Todesfälle – ergibt 93'360 zusätzliche Personen. Eine sogenannte Bestandesbereinigung des Bundesamts für Statistik zog weitere 6713 Personen ab. So ergibt sich ein effektives Bevölkerungswachstum von 86'647 Menschen – ein Plus von 1 Prozent.

Streit um Zuwanderungsstopp

Das Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik stellte 2024 fest: Zuwandernde sind im Schnitt 30 Jahre alt. Diese Jungen braucht das Land. Seit 2020 rücken weniger Menschen ins Erwerbsalter nach, als ins Rentenalter gehen. Die Folgen: Fachkräftemangel, Druck auf die AHV.

Rudolf Minsch (58), Chefökonom bei Economiesuisse, warnt: «Bis 2035 fehlen 460'000 Erwerbspersonen. Nur dank Zuwanderung wächst die Erwerbsbevölkerung noch. Ohne sie wäre der Mangel dramatischer.»

SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (46) sieht das anders. Er hält die Zuwanderung für zu hoch. «Mit unserer Nachhaltigkeitsinitiative wollen wir den Nettozuzug auf 40'000 Personen pro Jahr begrenzen – bei gezielter Auswahl von Fachkräften.»

Demografie betrifft uns alle

Economiesuisse-Ökonom Minsch lehnt diese starre Begrenzung ab. «Sie wäre kaum umsetzbar. Die Personenfreizügigkeit mit der EU steht auf dem Spiel. Eine drastische Begrenzung hätte dramatische Folgen für uns alle.»

Auch Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (61) warnt: «Die Bevölkerung könnte bald schrumpfen. Ob wir überhaupt zur 10-Millionen-Schweiz kommen, wie es die SVP prophezeit, ist fraglich.» Für sie ist klar: «Demografie entscheidet über unsere Zukunft. Wir müssen ihr mehr Aufmerksamkeit schenken.»

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?