Die meisten Besetzer sind abgezogen – zumindest vorerst. Fünf Tage lang belagerten bis zu 1000 propalästinensische Demonstranten die Eingangshalle des Géopolis-Gebäudes der Universität Lausanne. Anfang Woche griffen die Proteste auch auf andere Hochschulen über.
Mittlerweile ist Ruhe eingekehrt. Doch für wie lange? Die Stimmung an Schweizer Unis bleibt aufgeheizt. Der Hass auf Israel schwelt weiter.
Jetzt melden sich erstmals jüdische Studierende zu Wort. Aus Angst um ihre Sicherheit haben sie bis heute geschwiegen. Nun äussern sie sich, wollen aber anonym bleiben.
«Wir legen unsere Davidsterne ab»
Elias* (18) studiert Kriminalwissenschaft an der Uni Lausanne. Er sagt: «Die Demonstrationen machen uns Angst. Ich befürchte, dass der Antisemitismus auf unserem Campus eskalieren könnte.»
Jüdin Elena* betritt das Uni-Gelände nur noch mit einem Unwohlsein. Sie fühlt sich von den Protestlern eingeengt: «Wir Juden trauen uns nicht mehr, unsere Identität preiszugeben, tragen keine Kippas mehr, legen unsere Davidsterne ab.»
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Die Pro-Palästina-Demonstranten, die weiterhin Räume an der Universität Lausanne belagern, fordern einen Waffenstillstand in Gaza. Und dass Schweizer Hochschulen ihre Kooperationen mit israelischen Unis beenden. Sie versichern zwar, dass sie gewaltfrei bleiben wollen und dass Antisemitismus bei ihnen keinen Platz habe. In Sprechchören und auf Plakaten wird Israel jedoch immer wieder das Existenzrecht abgesprochen. Tonangebende Teilnehmer der Besetzung fielen in den sozialen Medien zudem mit Israel-Hass und Hamas-Propaganda auf.
An der Uni Genf hissten Aktivisten ein Transparent mit dem Logo der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP). Die von der EU und den USA als Terrororganisation eingestufte Organisation feierte den Angriff der Hamas vom 7. Oktober als Akt des Widerstandes. Mitte Woche traten Besetzerinnen und Besetzer der Uni Lausanne in einer Sendung des Hisbollah-nahen TV-Senders Al Mayadeen auf, der als Propagandakanal für den Iran und den syrischen Diktator Bashar al-Assad fungiert.
Was macht das mit jüdischen Studentinnen und Studenten?
Elias: «Als Jude und Israeli habe ich ein mulmiges Gefühl. Die Atmosphäre ist bedrückend.» So etwas dürfe an einer Hochschule nicht passieren.
Brief an die Uni-Leitung
An der Uni Lausanne studieren mehrere Dutzend Jüdinnen und Juden. Ein Teil von ihnen hat der Universitätsleitung einen Brief geschrieben, in dem sie ihre Gefühle formulieren. Sie berichten von einer aggressiven Stimmung, die seit Wochen andauere. An vielen Orten hänge antiisraelische Propaganda, in der Bibliothek, in den Vorlesungsräumen, in den Gängen.
Eine Person schreibt im Brief: «Es ist für mich unmöglich, unter diesen Bedingungen zu arbeiten.» Eine andere: «Jüdische Studierende machen sich Sorgen um ihre persönliche Sicherheit. Man hat Angst, als Jude identifiziert zu werden.»
Auch der Verein jüdischer Studentinnen und Studenten Schweiz hat bis jetzt geschwiegen. In den nächsten Tagen will er sich in einer Mitteilung zu Wort melden. Das geplante Communiqué liegt Blick vor. Darin heisst es: «Wir als jüdische Studierende verurteilen die Besetzungen und ihre Forderungen aufs Schärfste und fordern die Universitäten in aller Dringlichkeit auf, die Sicherheit jüdischer Studierender zu gewährleisten.» Universitäten müssten Orte des Lernens sein, an denen sich alle Studierenden sicher fühlen. Parolen wie «From the river to the sea», die während der Besetzung skandiert wurden, würden Israel das Existenzrecht absprechen und seien als Aufruf zur Gewalt zu verstehen. «Solche Aussagen sind antisemitisch und verletzen jüdische Menschen.»
ETH Zürich griff durch
Frédéric Herman, Rektor der Universität Lausanne, machte wiederholt klar, dass die Hochschule alles dafür tue, dass sich jüdische Studierende auf dem Campus nicht eingeschüchtert fühlen. «Sollte eine antisemitische Handlung oder Äusserung nachgewiesen werden, wird sie bestraft», schreibt die Medienstelle der Uni Lausanne.
Die ETH Zürich versichert: «Aufrufe zu Gewalt oder Diskriminierung jeglicher Form widersprechen unseren Werten und werden innerhalb unserer Community und auf unserem Campus nicht geduldet.» Tatsächlich liess die ETH die Proteste am Dienstag im Keim ersticken: 28 Besetzerinnen und Besetzer wurden von der Polizei abgeführt.
Anders reagierte die Uni Lausanne, die mit den Demonstranten in den Dialog trat und ihnen während des Tages Räumlichkeiten für ihr Palästina-Camp zur Verfügung stellt. Gestern feierten die Besetzer eine Party im Géopolis-Gebäude: Essensstände, Vorträge und Konzerte für die «Befreiung Palästinas».
«Hort der Intoleranz und der Exklusion»
Die jüdischen Studierenden kritisieren, dass die Uni die Anti-Israel-Demonstranten gewähren lässt. «Die Universität hätte eine solche Besetzung niemals zulassen dürfen», sagt Elena. «Damit wurde eine Bewegung geschaffen, die die Sicherheit jüdischer Studierender gefährdet.»
Auch der Verein jüdischer Studentinnen und Studenten findet den Kuschelkurs der Lausanner Universitätsleitung problematisch: «Wir verurteilen die Reaktion der Uni auf die Demonstrationen.» Durch die «anbiedernde Haltung» fördere die Hochschule Antisemitismus und mache den Campus zu einem «Hort der Intoleranz und der Exklusion».
* Namen geändert