Von der Decke des Gotthardtunnels sind am Sonntag Betonteile auf die Fahrbahn gefallen. Wie eine erste Inspektion gezeigt hat, verläuft ein 25 Meter langer Riss entlang der Zwischendecke. Aus Sicherheitsgründen bleibt der Tunnel bis auf weiteres gesperrt. Doch bis Ende Woche soll die Röhre spätestens wieder offen sein, schreibt das Bundesamt für Strassen (Astra).
Auf die Sperrung des Tunnels am Sonntagabend folgten chaotische Szenen. Auf Bildern in den sozialen Medien war zu sehen, wie Personen inmitten des Tunnels standen und diskutierten. Autos mussten im Tunnel umkehren, was für grössere Fahrzeuge unmöglich war: «Unser Bus konnte nicht wenden und wir mussten die ganze Strecke rückwärts ausfahren», berichtet ein Blick-Leserreporter. Sein Car musste über 8 Kilometer im Rückwärtsgang bewältigen.
Eine andere Blick-Leserin hatte womöglich aufgrund einer Panne Schlimmeres verhindert. Sie war auf dem Weg Richtung Norden, als ihr Auto bei Kilometer 10 den Geist aufgab. «Wir hielten den Verkehr auf, es staute sich alles zurück.» Dann erfuhr sie, dass nördlich von ihrem Standort Teile der Decke heruntergekommen waren. Somit konnte aus ihrer Richtung niemand durchfahren, als der Beton zu bröckeln begann.
Schlimmstenfalls droht Erstickung
Weil Teile der Deckenplatten heruntergekommen sind, soll auch die Lüftung beeinträchtigt sein. Denn die Zwischendecke separiert den Fahrraum von den Luftkanälen. Sind diese beschädigt oder freigelegt, drohen die Menschen im Tunnel schlimmstenfalls zu ersticken. Doch die Sicherheitsarbeiten haben bereits begonnen, schreibt das Astra in einer Medienmitteilung. Mit den Reparaturarbeiten wurde in der Nacht auf Dienstag gestartet. Geplant ist, die beschädigte Zwischendecke auf 25 Meter abzubrechen und zu ersetzen.
Das Astra geht davon aus, dass Spannungsumlagerungen im Gebirge für die Schäden verantwortlich sind. Diese hätten zu lokalen Druckveränderungen geführt und den Tunnel im betroffenen Abschnitt belastet. In der Folge soll es zum Riss gekommen sein.
Bundesrat Rösti sagte dazu am Rande einer Medienkonferenz: «Wir sind im Berggebiet, in der Natur, die sich bewegt, da können Ereignisse passieren.» Glücklicherweise seien keine Menschen zu Schaden gekommen. Und: «Wir setzen alles daran, möglichst rasch den Schaden zu beheben, damit die Schliessung so kurz als nur möglich ist.» Die Sicherheit stehe aber an erster Stelle.
Kontrolle hätte diese Woche stattfinden sollen
Um Zwischenfälle im Gotthardtunnel möglichst zu verhindern, führt der Bund mehrmals pro Jahr Kontrollen durch. Dabei werden zum Beispiel die Wände gereinigt, die Beleuchtung überprüft und der Zustand der Anlage erfasst. Allein für dieses Jahr haben die Behörden vorgesehen, den Gotthard mindestens siebenmal für Instandhaltungsarbeiten zu sperren. Und ausgerechnet diese Woche hätte der nächste Kontrollgang stattfinden sollen.
Die Inspektion eines Tunnels gehört zwar zur Routine, fällt aber beim Gotthard besonders ins Gewicht. Denn: Die 1980 eröffnete Röhre ist längst sanierungsbedürftig. Deshalb hat das Schweizer Stimmvolk 2016 entschieden, eine zweite Röhre zu bauen. Und das zu einem stolzen Preis von 2,14 Milliarden Franken. Sie soll bis 2029 fertiggestellt sein und es ermöglichen, die alte Röhre zu renovieren. Ab 2032 sollen dann beide Röhren in Betrieb sein.
Falls dann ein Tunnel ausfällt, könnten Reisende immer noch durch die andere Röhre fahren. Momentan aber bleibt den Verantwortlichen nichts anderes übrig, als den Verkehr über die Alpen umzuleiten: über die San-Bernardino-Route, die Gotthard-Passstrasse und den Simplonpass. Auf diesen Routen kann es nun zu Verkehrsengpässen kommen.
Fahrzeugverband fürchtet Engpässe
Deshalb fordert der Schweizerische Nutzfahrzeugverband Astag, dass der Bund Sofortmassnahmen ergreift. So solle verhindert werden, dass es zu Versorgungsengpässen komme. Denn: Wegen einer Zugentgleisung im Gotthard ist zugleich der Warentransport per Schiene eingeschränkt.
«Mit Entlastungsmassnahmen müssen wir jetzt alles dafür tun, damit der Güterverkehr auf Strasse und Schiene ausreichend Kapazitäten erhält», sagt Thierry Burkart (48), der Zentralpräsident der Astag und FDP-Parteipräsident. Konkret fordern er und sein Verband, eine Lockerung des Nachtfahrverbots im alpenquerenden Verkehr zu prüfen. Auch sollen sogenannte Gigaliner erlaubt sein, also Riesen-LKW mit bis zu 44 Tonnen Gewicht. Zudem sollen Lastwagen mit Anhängern auf der Gotthard-Passstrasse zugelassen werden.
Der Verband teilt mit, man habe die entsprechenden Vorschläge bereits bei Bundesrat Rösti deponiert. Aber: Selbst wenn Rösti darauf eingeht, müssen Reisende mehr Zeit einplanen – und den Gotthardtunnel voraussichtlich für eine Woche meiden.
Besonders hart trifft die Situation das Tessin, das schon durch die Einschränkung im Bahnverkehr beeinträchtigt wird. Die Situation sei für die Tessiner Wirtschaft bedrohlich, sagt der Direktor der Tessiner Wirtschaftskammer, Luca Albertoni. Er fordert Bund und Kantone auf, für weitere Zwischenfälle einen Gotthard-Krisenstab einzusetzen.