Oberste Ärztin der Schweiz Yvonne Gilli warnt vor Kostenbremse-Initiative
«Der falscheste Ansatz, den man sich vorstellen kann»

Yvonne Gilli ist eine vehemente Gegnerin der Kostenbremse-Volksinitiative. Der Nutzen der medizinischen Versorgung sei wichtiger als die Kosten.
Publiziert: 20.04.2024 um 11:57 Uhr
|
Aktualisiert: 20.04.2024 um 14:07 Uhr
1/5
Yvonne Gilli, Präsidentin der Standesorganisation der Ärztinnen und Ärzte, FMH, lehnt die Kostenbremse-Initiative der Mitte ab.
Foto: Linda Käsbohrer
andreas_valda_handelszeitung.jpg
Andreas Valda
Handelszeitung

Die Krankenkassenprämien steigen stärker als die Einkommen. Das will die «Kostenbremse»-Volksinitiative ändern, über die im Juni abgestimmt wird. Ein interessanter Ansatz?
Yvonne Gilli:
Dies ist der falscheste Ansatz, den man sich vorstellen kann.

Was ist falsch?
Sie verlangt etwas, was grosse Auswirkungen hätte: dass die Kosten des Obligatoriums an die Entwicklung der Löhne gekoppelt sind. Also beispielsweise, dass wenn die Löhne um 2 Prozent steigen, die Gesundheitskosten um 2 Prozent steigen dürfen. Das war noch nie der Fall. Die Konsequenz wäre eine Rationierung der Medizin. Der Zugang zu Behandlungen würde ungleich werden.

Oberste Standesärztin

Die 67-jährige Yvonne Gilli ist Hausärztin und stammt aus Wil SG. Ihre Karriere startete sie als Pflegefachfrau. Danach holte sie die Matura nach und studierte Medizin. Ihre Spezialisierung ist die Innere Medizin. Parallel dazu absolvierte Gilli eine Ausbildung in Homöopathie und traditioneller chinesischer Medizin. Sie praktiziert alle drei Therapierichtungen.

Gilli war acht Jahre lang Nationalrätin der Grünen für den Kanton St. Gallen. 2015 wurde sie abgewählt. Ein Jahr später trat sie dem Zentralvorstand der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) bei. Seit 2021 ist sie Präsidentin des Verbandes.

Die 67-jährige Yvonne Gilli ist Hausärztin und stammt aus Wil SG. Ihre Karriere startete sie als Pflegefachfrau. Danach holte sie die Matura nach und studierte Medizin. Ihre Spezialisierung ist die Innere Medizin. Parallel dazu absolvierte Gilli eine Ausbildung in Homöopathie und traditioneller chinesischer Medizin. Sie praktiziert alle drei Therapierichtungen.

Gilli war acht Jahre lang Nationalrätin der Grünen für den Kanton St. Gallen. 2015 wurde sie abgewählt. Ein Jahr später trat sie dem Zentralvorstand der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) bei. Seit 2021 ist sie Präsidentin des Verbandes.

Es gäbe wohl Budgetvorgaben für Ärzte, für Spitäler, für die Pharma und für Therapeutinnen. Warum nicht?
Ja, es würde zu einem Kostendeckel kommen. Denn eine Behörde würde die Abwahl riskieren, sollte sie konkret sagen, dass jetzt auf die eine oder andere medizinische Leistung verzichtet werden müsse. Der Staat würde diesen Entscheid der Ärzteschaft übertragen. Sie, der Therapiebereich und die Spitäler müssten an der Front entscheiden, wer bei knappem Budget welche Behandlung bekommt. Patientinnen und Patienten wären die Leidtragenden.

Sie laufen Sturm dagegen.
Wir haben zurückgerechnet: Wäre die Initiative vor zwanzig Jahren in Kraft getreten, würden 37 Prozent der obligatorisch versicherten Leistungen heute nicht mehr vergütet.

Gut. Aber ohne eine Vorgabe explodierten die Prämien.
In allen EU-Ländern, in denen solche Kostendeckel existieren, führen diese zu Mangel und keiner Kostensenkung. Das schlimmste Beispiel ist Grossbritannien. Dort steht das Gesundheitswesen vor dem Kollaps mit exorbitanten Wartezeiten – selbst für die Behandlung lebenswichtiger Krankheiten. Deutschland hat Globalbudgets eingeführt, wie sie den Initianten vorschweben, und krebst bereits zurück, weil gegen Ende eines Kalenderjahrs Leistungen rationiert werden. Gewisse Praxen gehen dann einfach zu. Aber Menschen werden das ganze Jahr über krank und müssen versorgt werden.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

Ihre Kritik ist klar. Doch wer im Gesundheitswesen schaut zu den Kosten? Heute können sich alle medizinischen Leistungserbringer an der Krankenversicherung à gogo bedienen.
Das Gesundheitswesen ist kein Selbstbedienungsladen. Da liegt Mitte-Präsident Gerhard Pfister falsch, wenn er es so sagt. Warum? Man kann es auf verschiedene Arten betrachten. Eine Betrachtung ist die der Gesamtkosten im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt. Dieses Verhältnis ist heute tiefer als in unseren Nachbarländern. Früher war die Schweiz an zweiter Stelle. Jetzt liegt dieses Verhältnis im europäischen Vergleich auf Platz sechs.

Wer kann das noch bezahlen, falls die Prämien weiterhin jährlich um 5 bis 10 Prozent steigen?
Die Prämien und die Kosten sind nicht das Gleiche. Die höheren Prämien sind das Abbild davon, dass mehr Operationen ambulant durchgeführt werden, die die Krankenkassen und damit die Versicherten direkt tragen. Immer mehr komplexe und teure Behandlungen können ambulant durchgeführt werden. Das wissen etwa Krebskranke. Bei vielen Behandlungen gehen sie abends nach Hause. Das treibt aber die Prämien nach oben. Anders die stationären Spitalkosten, die die Kantone zur Hälfte finanzieren. Von diesen Kosten merken die Prämienzahlenden nichts direkt – weil sie steuerfinanziert sind.

Die Verlagerung weg vom Spitalaufenthalt und hin zu mehr ambulanten Behandlungen ist politisch gewollt. Sie ist billiger.
Ja. Übers Ganze betrachtet, stiegen die Kosten pro Kopf nur minimal. Die Ärzteschaft nimmt ihre Verantwortung wahr.

Doch welche Verantwortung? Sie kritisieren die Betrachtung der Kosten, aber nennen selber keine Lösung für die stark steigenden Krankenkassenprämien.
Deshalb stimmen wir am 9. Juni über eine zweite Vorlage ab, die Prämienverbilligungsinitiative. Sie will die Kosten auf maximal 10 Prozent des Einkommens begrenzen. Das Problem heute: Es gelten Kopfprämien. Finanzschwache Haushalte zahlen gleich viel für die obligatorische Krankenversicherung wie Vermögende. Das braucht offensichtlich einen sozialen Ausgleich. Zwar korrigiert die individuelle Prämienverbilligung diese Ungerechtigkeit teilweise, aber nicht genug.

Darum geht es bei der Kostenbremse

Die Initiative der Mitte-Partei will eine Kostenbremse im Gesundheitswesen einführen: Steigen die Gesundheitskosten jährlich 20 Prozent stärker als die Löhne, muss der Bund Massnahmen zur Kostensenkung ergreifen. Die Initiative sagt nicht, welche Massnahmen das sein sollen, aber macht ein paar Beispiele: Durch Preissenkungen bei den Medikamenten könnte man 400 Millionen Franken pro Jahr sparen, sagt die Partei. Oder: Noch immer werden zu viele Operationen im Spital stationär gemacht statt ambulant.

Klar ist eines: Bei einem Ja müsste der Bund sofort handeln. Zwischen 2012 und 2022 sind die Kosten der obligatorischen Krankenversicherung pro Kopf um 31 Prozent, die Nominallöhne aber nur um 6 Prozent gewachsen.

Die Initiative der Mitte-Partei will eine Kostenbremse im Gesundheitswesen einführen: Steigen die Gesundheitskosten jährlich 20 Prozent stärker als die Löhne, muss der Bund Massnahmen zur Kostensenkung ergreifen. Die Initiative sagt nicht, welche Massnahmen das sein sollen, aber macht ein paar Beispiele: Durch Preissenkungen bei den Medikamenten könnte man 400 Millionen Franken pro Jahr sparen, sagt die Partei. Oder: Noch immer werden zu viele Operationen im Spital stationär gemacht statt ambulant.

Klar ist eines: Bei einem Ja müsste der Bund sofort handeln. Zwischen 2012 und 2022 sind die Kosten der obligatorischen Krankenversicherung pro Kopf um 31 Prozent, die Nominallöhne aber nur um 6 Prozent gewachsen.

Jetzt wollen Sie, dass der Staat die Prämienlast pro Kopf mit Milliardensubventionen deckelt?
Das Problem liegt woanders: Gewisse Kantone haben diese individuelle Prämienverbilligung nicht ausgeschüttet, um die Ungerechtigkeit der Kopfprämien zwischen den Haushalten auszugleichen. Das ist ein Versagen einzelner Kantone. Sowohl die nationale Abstimmungsvorlage als auch der indirekte Gegenvorschlag wollen dieses Versagen korrigieren.

Sie stimmen Ja?
Die FMH hat den Gegenvorschlag unterstützt. Zur Initiative hat die FMH noch keine Parole gefasst. Einzelne Ärzteorganisationen, etwa die Assistenz- und Oberärztinnen und Ärzte, haben sich aber dafür ausgesprochen.

Als Grüne werden Sie wohl dafür stimmen.
Unser Berufsstand hat ein hohes soziales Bewusstsein.

Die enorme Kostenfolge eines Ja von – laut Bundesrat – zusätzlichen 11 Milliarden Franken ab 2030 beim Bund und den Kantonen macht Ihnen keine Sorgen?
Die Bundesfinanzen machen mir Sorgen, ja.

Die Mehrwertsteuer dürfte um 3 Prozent steigen, um dies zu finanzieren.
Es ist wichtig, dass die Leute wissen, wie es finanziert wird.

Sie zucken aber nicht zusammen, wenn man sagt, dass zum Beispiel die Mehrwertsteuer um 3 Prozent erhöht werden müsste, um die Prämienverbilligungen zu finanzieren?
In der Frage der Bundesfinanzen bin ich nur Bürgerin und äussere mich nicht dazu. Als FMH-Präsidentin ist mir wichtig, dass in der Schweiz eine gute medizinische Versorgung hochgehalten werden kann. Ich bin auch nicht mehr parteipolitisch aktiv.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Experten, darunter von Economiesuisse, sagen, dass die steigenden Gesundheitskosten durch die Mengenausweitung getrieben sind: mehr Untersuchungen, mehr Behandlungen … Sie selber nennen dieses Argument nicht. Warum?
Doch, die Mengenausweitung passiert. Vor allem jüngere Generationen sind verunsichert und verlangen vertiefte Abklärungen. Das ist ein neues Phänomen. Vor zwanzig Jahren konnte ich einer Patientin die Herztöne abhören und sagen, sie sei gesund, dann war das für sie in Ordnung. Heute wollen die jungen Menschen auch seltene Krankheiten ausschliessen. Das heisst, heute muss ich sie eher einem Spezialisten zuweisen als früher. Zum Beispiel für einen Herzultraschall. Dies gibt eine Mengenausweitung und steigert die Prämien. Diesem gesellschaftlichen Trend können wir Ärztinnen und Ärzte nicht allein entgegentreten.

Die Leute müssen lernen, mit weniger Untersuchungen zu leben.
Wir nennen das Patient-Empowerment: die Behandlungen mit den Patienten so zu gestalten, dass sie optimal sind und helfen. Dies bedingt aber, dass Ärztinnen und Ärzte Zeit für ihre Patientinnen und Patienten haben.

Wer soll jetzt entscheiden: ich als Patient selber?
Das Behandlungsteam in Zusammenarbeit mit dem Patienten auf Augenhöhe. Auch die Gesellschaft hat eine Aufgabe. Sie fängt bei der Familie und der Schule an.

Wenn man eine Leistung fast gratis hat, weil sie die Krankenkasse bezahlt, hat man viel weniger Hemmungen, diese Leistung zu bestellen. Es fehlt der ökonomische Anreiz, die knappen Mittel optimal einzusetzen.
Das ist ein Irrglaube, das ist schlicht falsch. Es gibt die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Krankenkassen. Würde eine Praxis à gogo Leistungen verschreiben, würde dies statistisch auffallen. Ein Arzt, der dies tut, würde überprüft und bei missbräuchlicher Verschreibung sanktioniert werden.

Schön, doch nochmals zum fehlenden Anreiz, zu sparen: Ich gehe zum Arzt und bestelle mir einen Bluttest. Die Krankenkasse bezahlt anstandslos 90 Prozent der Kosten. Wenn es mich 290 Franken kosten würde, würde ich mir die Notwendigkeit des Tests zweimal überlegen.
Das ist eine Hypothese. Es geht um die Frage, ob man die Selbstverantwortung stärken kann, wenn man die Patienten stärker belastet. Heute wird darüber politisch debattiert. Es gibt Argumente, die dagegensprechen. Ein Beispiel ist Grossbritannien in den 80er-Jahren. Dort war die Gesundheitsversorgung damals gratis, und doch wurde das System nicht überrannt. Untersuchungen zeigen, dass der Haupttreiber der Kosten sozioökonomische Faktoren sind: Wer arm und wenig gebildet ist, hat statistisch ein höheres Risiko, zu erkranken, als jemand, der vermögend und gebildet ist. Ich wünsche mir, dass die Schweiz Sorge zu ihrem Wohlstand trägt und damit das Krankheitsrisiko senkt. Und dass wir zum verletzlichen Teil der Bevölkerung gut schauen.

Sie lehnen ökonomische Anreize also ab.
Ich erachte die Debatte um einen höheren Selbstbehalt in der Krankenversicherung als unfruchtbar. In meiner Praxis sehe ich zwei Arten von Menschen, die die höchste Franchise haben: die, die es sich leisten können, und die, die sich die Prämien gar nicht leisten können und Mühe haben, Rechnungen zu bezahlen.

Der Spitalnotfall ist oft überlaufen, auch wegen Bagatellen. Und doch sind Sie gegen eine Notfalltaxe?
Fragen Sie die Mitarbeitenden im Spitalnotfall. Jeder wird Ihnen sagen: Bewahren Sie uns vor dieser bürokratischen Massnahme, die nichts bringen wird.

Es muss ja wehtun, sonst ändert sich das Verhalten nicht. Würde der Spitalnotfall 100 Franken Taxe kosten, würden es sich ein paar Leute mehr überlegen, zur Permanence oder einen Tag später zum Hausarzt zu gehen.
Wir wissen es nicht. Aber wir wissen, dass eine Notfalltaxe einen Rattenschwanz von administrativen Folgen hätte. Damit werden Kosten nicht gesenkt.

Immer mehr Untersuchungen sind heute möglich, etwa Gen-Analysen. Immer mehr medizinische Erfolge werden präsentiert, die dann auch von den Krankenkassen bezahlt werden. All das führt zur Kostenlawine, die daran ist, uns zu begraben.
Es gab noch nie eine Kostenlawine im Gesundheitswesen. Der Nutzen dieser neuen Möglichkeiten ist viel grösser als die Zusatzkosten. Beispiel Tuberkulose: Sie ist dank dem medizinischen Fortschritt aus unserem Land fast verschwunden. Der Nutzen aber ist riesig. Leute, die früher wochenlang auf der Kur lagen, arbeiten heute bis ins hohe Alter.

Das Problem bestand vor sechzig Jahren. Und heute?
Was wir heute an neuartigen Untersuchungen und Therapien haben, belastet die Gesellschaft nicht zusätzlich, sondern hilft ihr. Ein Beispiel sind die bildgebenden Verfahren (MRI, Ultraschall, Röntgen). Diese Untersuchungsarten haben grosse Fortschritte gebracht. Man kann heute viel genauer als früher sagen, wo das Problem liegt – und so gezielter behandeln als früher. Ein zweites Beispiel ist der graue Star, eine Linsentrübung im Alter. Früher war er für viele ein Problem, heute kann eine Operation viel schneller und günstiger gemacht werden.

Die Ärzteschaft wendet an, was auf den Markt kommt, doch ohne die Kosten zu hinterfragen?
Die Preise für häufige Therapien wie die Behandlung des grauen Stars, welche viel weniger Zeit brauchen heute, wurden durch den Bundesrat gesenkt. Der Kostengewinn aus der Skalierung in der grossen Zahl der Behandlungen muss zu tieferen Preisen führen. Dies liegt mit der Tarifreform Tardoc in der Mitverantwortung der Ärztinnen und Ärzte.

Gewisse Mediziner verdienen jährlich über eine halbe Million Franken, darunter Augenärztinnen, Kardiologen oder Gastroenterologinnen. Schwach bezahlt sind Kinderärzte, Hausärztinnen und Psychiater. Akzeptabel?
Unanständig hohe Gehälter können nur in der privaten Medizin verdient werden, nicht im obligatorischen Gesundheitssystem, sonst wäre dies kriminell. Solange Einzelne hohe ärztliche Gewinne in der Privatwirtschaft erzielen, betrifft es weder unseren Verband noch die Branche.

Jetzt haben Sie aber nichts zum grossen Unterschied zwischen den Spezialarztlöhnen gesagt.
Die Gegensätze sind eine Klischierung. Wir brauchen beides, die Spezial- und die Hausärztinnen. Was stimmt, ist, dass der Arzttarif (Tarmed) über zwanzig Jahre alt und nicht veränderbar ist. So ist beispielsweise die Darmspiegelung heute schneller zu bewältigen als damals, sie müsste günstiger werden. Aber der veraltete Tarif verhindert dies. Anders ist es mit der Zeit, welche die Hausärztin für das Patientengespräch braucht: Der gültige Tarifkatalog verhindert einen zeitgemässen Preis. Und so verdienen Gastroenterologinnen im Schnitt mehr als Hausärzte.

Deshalb wollen Sie den neuen Arzttarif, genannt Tardoc.
Ja, dieser wartet seit fünf Jahren, seit 2019, auf die Genehmigung des Bundesrates.

Was läuft bei der Digitalisierung falsch?

Der Bund investiert jetzt rund 400 Millionen Franken in die Digitalisierung, im Kern das umstrittene Patientendossier. Die Idee ist, die Behandlungen zu koordinieren. Frage: Wird das Dossier dereinst verhindern, dass Doppel- und Dreifachuntersuchungen erfolgen?
Yvonne Gilli: Das ist die Idee.

Warum funktioniert dieser Austausch noch immer nicht?
Das Hauptproblem sind nichtkompatible IT-Systeme von Spitälern und Praxen. Ein Beispiel: Wenn ich als Ärztin einen Spitalbericht elektronisch per Mail erhalte, muss ich ihn als PDF in meiner Praxis-IT speichern. Einzelne Daten daraus muss ich händisch übertragen.

Wo sind die Haupthindernisse?
Die Gesundheitsanbieter sind in der Schweiz kantonal organisiert, so dass unterschiedliche IT-Systeme zur Anwendung gelangten. Damit entstand ein fragmentiertes System. Hinzu kommt: Wir sind ein zu kleines Land, um für ausländische Anbieter interessiert zu sein. Damit fehlt bis heute der Wettbewerbsdruck von aussen.

Bräuchte es einen Digitalisierungs-General?
Es bräuchte alle Player, den Staat, die Industrie, die Kantone und Gesundsheitsfachleute, die wissen, was funktioniert.

Sie prangerten wiederholt die Bürokratie an, die mit der Digitalisierung Einzug hält.
Ein Beispiel: Wenn man in einem Spital mit einer ausgebauten IT Laborresultate von Hand in ein Krankendossier einfügen muss, dann ist das Bürokratie, die entsteht, weil man die Digitalisierung nicht beherrscht. Dies ist der Alltag unserer Assistenzärzteschaft. Sie hat sechs Jahre hart studiert, um Leute zu behandeln, und sitzt vor allem am Computer, um Missstände zu beheben. Bei der heutigen Knappheit im Angebot können wir uns solche Dinge nicht mehr leisten.

Der Bund investiert jetzt rund 400 Millionen Franken in die Digitalisierung, im Kern das umstrittene Patientendossier. Die Idee ist, die Behandlungen zu koordinieren. Frage: Wird das Dossier dereinst verhindern, dass Doppel- und Dreifachuntersuchungen erfolgen?
Yvonne Gilli: Das ist die Idee.

Warum funktioniert dieser Austausch noch immer nicht?
Das Hauptproblem sind nichtkompatible IT-Systeme von Spitälern und Praxen. Ein Beispiel: Wenn ich als Ärztin einen Spitalbericht elektronisch per Mail erhalte, muss ich ihn als PDF in meiner Praxis-IT speichern. Einzelne Daten daraus muss ich händisch übertragen.

Wo sind die Haupthindernisse?
Die Gesundheitsanbieter sind in der Schweiz kantonal organisiert, so dass unterschiedliche IT-Systeme zur Anwendung gelangten. Damit entstand ein fragmentiertes System. Hinzu kommt: Wir sind ein zu kleines Land, um für ausländische Anbieter interessiert zu sein. Damit fehlt bis heute der Wettbewerbsdruck von aussen.

Bräuchte es einen Digitalisierungs-General?
Es bräuchte alle Player, den Staat, die Industrie, die Kantone und Gesundsheitsfachleute, die wissen, was funktioniert.

Sie prangerten wiederholt die Bürokratie an, die mit der Digitalisierung Einzug hält.
Ein Beispiel: Wenn man in einem Spital mit einer ausgebauten IT Laborresultate von Hand in ein Krankendossier einfügen muss, dann ist das Bürokratie, die entsteht, weil man die Digitalisierung nicht beherrscht. Dies ist der Alltag unserer Assistenzärzteschaft. Sie hat sechs Jahre hart studiert, um Leute zu behandeln, und sitzt vor allem am Computer, um Missstände zu beheben. Bei der heutigen Knappheit im Angebot können wir uns solche Dinge nicht mehr leisten.

Zwei wichtige Kreise waren dagegen: die Spitäler und ein Krankenkassenverband. Tardoc führe zu höheren Kosten. Das konnte der Bundesrat nicht ignorieren. Es geht um 12 bis 15 Milliarden Franken.
Ich verstehe die Sorge. Der Bundesrat hat deshalb sehr genaue Vorgaben gemacht, die Garantie dafür sind, dass die Tarifreform nicht zu Mehrkosten führt. Dass sich der Bundesrat schon fünf Jahre Zeit nimmt, ist schwierig. Das Warten gefährdet die Reform.

Sie sind als Hausärztin eine Unternehmerin?
Als ich noch im Parlament war, hiess es, unsere Tätigkeit sei Unternehmertum im geschützten Bereich. Das stimmt zum Teil. Als Ärztin habe ich wegen der steigenden Nachfrage ein garantiertes Einkommen. Und die Krankenkassen haben die Pflicht, die von mir geleistete Arbeit im Obligatorium zu vergüten. Ich bin allerdings nicht frei in der Preisbestimmung, denn die Tarife für ärztliche Leistungen werden politisch bestimmt.

Tragen Sie ein wirtschaftliches Risiko?
Ja, das trage ich. Die Regulierung steigt und damit der Aufwand. Die Kosten zur Finanzierung einer Praxis-IT und für das Personal stiegen stark. Umgekehrt sind die Tarife seit über zwanzig Jahren fix. Es gibt tatsächlich Beispiele von Praxen, die schliessen mussten. Heute haben vor allem alleingeführte Praxen Mühe, sich selbst zu finanzieren. Das fördert die Entstehung von Gruppenpraxen.

Dann geht die Rechnung auf?
Dann können Infrastruktur und Löhne eher mit der Zeit mithalten. Die Hausarztlöhne in der Praxis sind immer noch tiefer als Kaderlöhne im Spital.

Was heisst das in absoluten Zahlen?
Der Verband FMH vergleicht nicht die Monats-, sondern die Stundenlöhne, da die ärztliche Arbeitszeit keiner 42-Stundenwoche entspricht. Spitalärztinnen verdienen im Median 84 Franken in der Stunde, in der Praxis sind es 73 Franken.

Ihr Lohn in der Praxis ist bescheidener. Sie sind 67 und arbeiten noch einen Tag pro Woche. Wie fühlen Sie sich?
Ich fühle mich gesund und fit und habe Freude an meinem Beruf.

Sie sind Teil der ersten Generation, der Babyboomer, der es so gut ergeht wie noch nie in der Geschichte.
Ja, die gute Gesundheit im Alter und eine lange Lebenserwartung führen zu einer Freiheit, wie sie unsere Eltern noch nicht kannten. Wir sind heute mehr im Unruhestand als im Ruhestand (lacht).

Wie alt werden wir dereinst?
Das kann man heute nicht vorhersagen.

Kann man mit einer gesunden Lebensweise älter werden?
Es hilft sicher. Aber man hat keine Garantie: Man kann gesund leben und doch früh sterben.

Beispiel Krebs. Er erwischt auch Jüngere.
Es gibt ganz viele Krebsarten, denen man vorbeugen könnte durch eine Änderung des Lebenswandels. Dies wäre sehr kosteneffizient. Aber es gibt auch schicksalshafte Momente im Leben.

Sie haben eine Zusatzausbildung in Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM). Sehen Sie die Kranken anders als mit der Brille der Schulmedizinerin?
Mit der chinesischen Medizin ist auch ein anderes Menschenbild verbunden. TCM ist über tausend Jahre alt. Traditionell behandelt sie nicht nur Kranke, sondern auch Gesunde, damit sie nicht krank werden. Dazu gehören Heilmittel, die Ernährung und spezielle Bewegungsformen, wie etwa Tai-Chi. Solche Methoden wirken auch vorbeugend. Das ist eine der Stärken.

Wir Westmenschen fressen und saufen zu viel?
Als Kollektiv essen wir ungesund, ja. Zu viel Süssstoffe, zu viel verarbeitete Lebensmittel, zu viel ungesunde Zusatzstoffe, die zu einem starken Verlangen führen. Dies wird von der Industrie bewusst kultiviert. Ein Beispiel dafür ist künstliches Vanillearoma. Davon möchte man mehr. Wir konsumieren auch zu viel Fleisch. Weil sich viele gleichzeitig zu wenig bewegen, führt das zu Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht und Diabetes mit bekannten Folgen wie Bluthochdruck oder Herzinfarkt.

Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?

Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?