Es ist ein Horrorszenario: Sollte es im kommenden Winter zu einer Strommangellage kommen, drohen im schlimmsten Fall stundenweise Netzabschaltungen. Das heisst: Immer wieder neue Stadtquartiere und Regionen würden für vier bis acht Stunden vom Stromnetz genommen. Dann wird es dunkel und kalt. Der Präsident der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (Elcom) Werner Luginbühl (64) rät der Bevölkerung deshalb, Kerzen zu kaufen.
Doch fehlendes Licht und ein auftauender Tiefkühlschrank sind nicht die grössten Probleme. Wird der Strom abgeschaltet, funktionieren schnell auch Mobilfunk- und Festnetz nicht mehr. Wie aus einer Aktennotiz hervorgeht, über die Radio SRF und «CH Media» berichteten, basiert das aktuelle Notstromkonzept der Swisscom «auf einer Stunde Autonomie über alle Netze».
Blaulichtorganisationen nicht erreichbar
Davon betroffen sind auch die Notrufe. Bricht also ein Feuer aus, nutzen Einbrecher die Gunst der stromlosen Stunde oder stürzt jemand auf der Suche nach Kerzen von der Leiter und bricht sich das Bein: Feuerwehr, Polizei und Sanität sind mit dem eigenen Telefon oder Handy nicht erreichbar.
Einige Kantone haben daher damit angefangen, sogenannte Notfalltreffpunkte zu definieren. Dorthin könnten Einwohnerinnen und Einwohner im Notfall laufen oder fahren, wenn sie Hilfe oder Kontakt zu Blaulichtorganisationen brauchen.
Zivilschützer stellen Verbindung her
«Die Notfalltreffpunkte sind mit einem Polycom-Gerät und einer Notstromversorgung ausgerüstet», erklärt Diego Ochsner, Leiter des Amts für Militär und Bevölkerungsschutz des Kantons Solothurn. Polycom ist ein speziell gesichertes Funknetz, das die Behörden benutzen. «Im Notfall richtet sich am bezeichneten Treffpunkt der Zivilschutz ein und steht den Anwohnern zur Verfügung. Beispielsweise kann er im Fall eines Herzinfarkts die Ambulanz verständigen oder bei Feuer die Feuerwehr.»
Solothurn war der erste Kanton, der 2019 – nach dem Vorbild deutscher Städte – 139 solcher Notfalltreffpunkte eingerichtet hat. «Bei der Sicherheitsverbundübung 2014, als sowohl eine Pandemie als auch eine Strommangellage simuliert wurden, haben wir bemerkt, dass zwar die Behörden untereinander kommunizieren können – aber die Kommunikation mit der Bevölkerung nicht gewährleistet ist», sagt Ochsner.
Acht Kantone sind dabei
Mittlerweile sind sieben weitere Kantone gefolgt. Sie haben sich auch zusammengeschlossen und führen alle Notfalltreffpunkte auf einer Website auf. Auf www.notfalltreffpunkt.ch können die Solothurner, Bernerinnen, St. Galler und Aargauerinnen, die Nidwaldner und Luzerner, Schaffhauser, Zürcherinnen sowie Einwohner der Stadt Zug schnell und unkompliziert ihre Adresse eingeben und erhalten den Standpunkt des nächstgelegenen Treffpunkts. Meist sind das Schulhäuser, Sportanlagen oder Mehrzweckhallen.
Andernorts fehlt ein solches Angebot noch – obwohl es im nicht mehr ganz so undenkbaren Krisenfall Leben retten könnte. «Aus unserer Sicht wäre es ideal, wenn mehr Kantone mitmachen und der Bund die Website übernehmen würde», sagt Ochsner. «Leider sind wir davon weit entfernt.»
Mehr zu Notrufen
In der Tat: Der Bund will davon nichts wissen. «Dafür sind die Kantone zuständig», heisst es. Beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz setzt man für Notfälle auf die App Alertswiss – die ohne Mobilfunknetz allerdings auch nicht mehr funktionieren würde. Und es rät, zusätzlich zum Notvorrat auch ein batteriebetriebenes Radio zu besorgen. Über dieses würden die Behörden im Krisenfall die Bevölkerung informieren.