«Es ist crazy», sagt Tamara Funiciello (32). «Ich muss mich jetzt erst einmal hinsetzen – und dann werde ich weinen.»
Es sind Freudentränen, die die SP-Nationalrätin vergiesst. Nach vierjährigem Lobbying-Kampf hat der Ständerat am Dienstagmorgen diskussionslos eine Gesetzesänderung beschlossen, den feministische und Frauenrechts-Organisationen als «historischen Fortschritt» bezeichnen. Es war der längste und härteste Polit-Kampf, den Funiciello bis jetzt geführt hat. Und er gipfelte in ihrem grössten Sieg.
«Nein heisst Nein» mit wichtigem Zusatz
Neu handelt es sich nicht mehr bloss dann um Vergewaltigung, wenn jemand ein Opfer mit Gewalt zu Sex zwingt. Sondern es ist strafbar, wenn jemand sexuelle Handlungen gegen den Willen einer Person vornimmt. Der Ständerat hat sich in zweiter Beratung des neuen Sexualstrafrechts für eine Art erweiterte «Nein heisst Nein»-Lösung ausgesprochen. So wird im Gesetz explizit die Möglichkeit berücksichtigt, dass jemand in eine Schockstarre verfällt und sich darum nicht gegen eine Vergewaltigung wehren kann. Auch das zählt als nonverbales Nein.
Es steht praktisch fest, dass der Nationalrat diesem Kompromiss im Juni zustimmen wird. Er hatte sich Ende vergangenen Jahres anders als der Ständerat überraschend für die weitergehende «Ja heisst Ja»-Lösung ausgesprochen, die auf dem Prinzip basiert, dass es für einvernehmlichen Sex nicht bloss keinen Widerspruch, sondern das gegenseitige Einverständnis braucht. Deshalb ging das Geschäft noch einmal zurück in den Ständerat.
Eine der gründlichsten Debatten
Der jetzige Entscheid ist zwar nicht ganz das, wofür Tamara Funiciello und andere «Ja heisst Ja»-Befürworterinnen gekämpft haben. Allerdings räumt selbst sie ein: Rechtlich besteht kaum ein Unterschied zwischen der nun vom Ständerat beschlossenen Lösung und dem «Ja heisst Ja»-Prinzip.
Auch die Genfer Ständerätin Lisa Mazzone (35, Grüne) sprach von einem grossen Schritt, den man mit der Änderung mache. Gemäss ihrer Einschätzung handelte es sich bei den stundenlangen Diskussionen ums neue Sexualstrafrecht um «eine der gründlichsten Debatten, die wir in dieser Legislatur in unserem Rat geführt haben». Auch die Luzerner Mitte-Ständerätin Andrea Gmür (58) bezeichnete die Änderung des Gesetzes als «sehr wichtig».
Fokus auf die Täter
Der Ständerat nimmt im neuen Gesetz auch die Täter in den Fokus. Gerichte können künftig Sexualstraftäter verpflichten, an sogenannten Lernprogrammen teilzunehmen. In diesen soll der Täter die Tat aufarbeiten – mit dem Ziel, dass es nicht zu einer Wiederholungstat kommt.
Noch vor wenigen Jahren schien es praktisch undenkbar, dass sich das Parlament auf einen solchen Kompromiss einigen wird. Dass es nun doch dazu kam, ist auf die enorme Lobbyarbeit von Funiciello und ihren Mitstreiterinnen zurückzuführen. «Wir haben schon harte Arbeit geleistet, bevor das Thema überhaupt auf dem Radar war», sagt Funiciello. Die SP-Nationalrätin hatte im Hintergrund auch die Fäden gezogen, dass die Rechtskommission des Ständerats schliesslich auf den Mittelweg einschwenkte, auf den man sich schliesslich geeinigt hat.
«Wir haben bis zum Schluss an den Sieg geglaubt»
Funiciello betont, dass es aber auch darum zum Paradigmenwechsel kommen konnte, weil sich viele Betroffene trauten, ihre Geschichte zu erzählen. Sie erinnert sich, wie ihr eine Frau bei einer zufälligen Begegnung in der Migros von ihrer Vergewaltigung erzählt habe. Das habe sie tief berührt.
«Wir haben bis zum Schluss dran geglaubt, dass wir gewinnen können», sagt Funiciello. Der Kampf hat sich für sie und ihre Mitstreiterinnen ausgezahlt.