Nein sagen – oder Spender sein
Was passiert mit meinen Organen?

Am 15. Mai stimmt die Schweiz über die Organspende-Vorlage ab. Neu soll gelten: Wer seine Organe nicht spenden will, hält dies zu Lebzeiten fest. Sonst wird er automatisch zum Organspender. Blick beantwortet die wichtigsten Fragen.
Publiziert: 01.04.2022 um 16:48 Uhr
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Aktualisiert: 01.04.2022 um 22:04 Uhr
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Bei der Organspende-Vorlage am 15. Mai geht es auch um die Gewissensfrage.
Foto: Keystone
Laura Montani

Am 15. Mai kommt es an der Urne zur Gewissensfrage: Wenn ein Verstorbener sich zu Lebzeiten nicht gegen die Organspende ausgesprochen hat, und auch die Angehörigen nichts einzuwenden haben, soll die Organspende künftig erlaubt werden.

Eigentlich ist dies ein indirekter Gegenvorschlag gegen die Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten». Doch dagegen wurde wiederum das Referendum ergriffen: Lieber soll alles beim Alten bleiben, dass nämlich ohne explizite Zustimmung zu Lebzeiten die Organentnahme tabu ist. Blick beantwortet die wichtigsten Fragen zur Abstimmung.

Was würde sich ändern?

Heute gilt die Zustimmungslösung: Das heisst, die Spende von Organen, Gewebe oder Zellen ist nur dann möglich, wenn die betroffene Person zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat. Häufig kennt man den Willen der verstorbenen Person aber gar nicht. Dann liegt der Entscheid bei den Angehörigen – die sich mehrheitlich gegen eine Organspende entscheiden.

Deshalb soll die Organspende neu geregelt werden. Mit der Änderung des Transplantationsgesetzes soll die Widerspruchslösung eingeführt werden: Wer seine Organe nicht spenden möchte, muss dies zu Lebzeiten festhalten. Hat eine Person nicht widersprochen, geht man davon aus, dass sie bereit ist, ihre Organe zu spenden.

Was passiert, wenn ich meinen Willen nicht festgehalten habe?

Hat die verstorbene Person ihren Willen nicht festgehalten, entscheiden auch in Zukunft die Angehörigen – deshalb spricht man hier von der erweiterten Widerspruchslösung . Sie können eine Organentnahme ablehnen, wenn sie wissen oder vermuten, dass die betroffene Person sich dagegen entschieden hätte. Hat die Person ihren Willen nicht festgehalten und kann das Spital die Angehörigen nicht erreichen, dann dürfen keine Organe entnommen werden.

So argumentieren die Befürworter

Eine Organspende kann Leben retten. Deshalb empfehlen Bundesrat und Parlament aus folgenden Gründen ein Ja:

  • Die Mehrheit der Bevölkerung ist grundsätzlich bereit zur Organspende – die Spendenzahlen sind trotzdem verhältnismässig tief. Der Wechsel zur Widerspruchslösung könne dazu beitragen, die Zahl der Organspenden zu erhöhen.
  • Die Angehörigen würden mit der Änderung in einer schwierigen Situation entlastet: Liegt kein dokumentierter Wille vor, könne davon ausgegangen werden, dass die betroffene Person über die Widerspruchslösung informiert wurde und mit der Organspende einverstanden war.
  • Im Ausland habe sich die Widerspruchslösung bewährt – dort sind die Organspenderaten tendenziell höher als in der Schweiz.

So argumentieren die Gegner

Das Nein-Komitee setzt sich aus Ethikern, Theologen, aber auch Personen aus dem Gesundheitsbereich zusammen. Sie wehren sich gegen die Änderung des Transplantationsgesetzes:

  • Jeder Mensch hat ein Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf Selbstbestimmung, das hält die Bundesverfassung fest. Mit dem neuen Gesetz müsse man dieses Recht jedoch speziell einfordern. Hat dies jemand nicht getan, könnten ihm ohne seine Zustimmung Organe entnommen werden. Das sei verfassungswidrig.
  • Zu jedem medizinischen Eingriff braucht es eine umfassende Aufklärung und eine Einwilligung. Dass es zur Organentnahme dieses Ja nicht mehr brauchen soll, sei unethisch.
  • Die Angehörigen können gegen die Organentnahme Widerspruch einlegen. Sie müssten aber glaubhaft belegen können, dass die verstorbene Person mutmasslich die Organentnahme abgelehnt hätte. Das setze sie unnötig unter Druck.
  • Es werde immer Personen geben, die nicht wüssten, dass sie sich gegen eine Organspende aussprechen müssten. So würde hingenommen, dass Menschen nach deren Tod gegen ihren Willen Organe entnommen würden.

Wer entscheidet für Kinder und Jugendliche?

Personen ab 16 Jahren können ihren Willen zur Organspende wie bisher selbstständig festhalten. Bei unter 16-Jährigen entscheiden weiterhin die Eltern. Sie müssen bei dem Entscheid aber die Meinung ihres Kindes berücksichtigen.

Wo wird mein Wille festgehalten?

Der Bund wird ein neues Register schaffen, in dem jeder seine Ablehnung oder Zustimmung zur Organspende eintragen kann. Es ist auch möglich, die Zustimmung auf bestimmte Organe zu beschränken. Diesen Eintrag kann man jederzeit ändern.

Was sind die Voraussetzungen für eine Organspende?

An den medizinischen Voraussetzungen für eine Spende ändert sich nichts. Organe können gespendet, wenn...

  • die Person im Spital auf der Intensivstation stirbt.
  • der Hirntod von zwei Ärztinnen oder Ärzten eindeutig festgestellt wurde.
  • die vorbereitenden medizinischen Massnahmen für eine Organspende durchgeführt wurden.

Warum braucht es Organspenden?

Bei Organversagen ist eine Organspende für die Patienten oft die letzte Hoffnung. Im vergangenen Jahr befanden sich 1434 Menschen auf der Warteliste für eine Organspende – jährlich erhalten aber nur rund 450 Menschen in der Schweiz eine Organspende. Je nach Organ beträgt die Wartezeit mehrere Monate, manchmal sogar Jahre.

Was passiert bei einem Nein?

Die Änderung des Transplantationsgesetzes ist ein indirekter Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament zur Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten». Wird die jetzige Vorlage abgelehnt, wird über die Volksinitiative abgestimmt – insofern sie vom Initiativkomitee nicht vorher zurückgezogen wird.

Was sagen die Parteien?

Im Parlament wurde die Änderung des Transplantationsgesetzes von einer Mehrheit angenommen. Der Nationalrat sagte mit 141 zu 44 Stimmen bei 11 Enthaltungen Ja. Der Ständerat stimmte mit 31 zu 12 Stimmen bei einer Enthaltung zu.

Bisher haben FDP, die Mitte, SP und Grüne die Ja-Parole beschlossen. Gegen die Änderung ist die Evangelische Volkspartei – sie verstosse gegen die Menschenwürde. Die SVP hat noch keine Parole gefasst.

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