Wir sind ein einig Volk von Schoggiverrückten! Nur die Deutschen gönnen sich noch mehr Schokolade als wir. Wird die Pestizid-Initiative angenommen, würde das schmelzende Glück wohl kostspieliger. Denn dann dürften nur noch pestizidfreie Lebensmittel importiert werden. Also nur noch Kakao in Bioqualität, der mehr kostet als konventionell angebauter.
«Schokolade würde wahrscheinlich 25 bis 35 Prozent teurer», sagt David Yersin (59). Mit seiner Winterthurer Firma Pronatec ist er der grösste Schweizer Rohstoffhändler von Bio- und Fairtradekakao. Wer eine Bioschokolade produzieren will, klopft bei Yersin an. Er kennt die Bauern, er kennt die Preise, er kennt die Probleme. Und das grösste Problem: Schokolade ist im Moment einfach zu billig!
Ist das Ausland bereit, mehr zu zahlen?
Noch nie gaben Schweizerinnen und Schweizer so wenig für Lebensmittel aus. 2006 verwendete ein durchschnittlicher Haushalt noch 8,6 Prozent seines Bruttoeinkommens für Nahrungsmittel, 2018 waren es gerade einmal noch 7,3 Prozent. Darf dann die Schokolade nicht etwas mehr kosten?
Das Problem ist nicht (nur) der Schweizer Markt. Die Pestizid-Initiative droht vielmehr, die hiesige Nahrungsmittelindustrie auf den Kopf zu stellen. 200’000 Tonnen Schoggi produzieren Schweizer Fabrikanten pro Jahr, 70 Prozent davon werden exportiert. Hauptabnehmer ist Deutschland – «ein sehr preissensitiver Markt», sagt Urs Furrer, Geschäftsleiter des Branchenverbands Chocosuisse.
Für ihn stellt sich die Frage: «Ist man im Ausland bereit, mehr für Schweizer Schokolade zu bezahlen, weil sie bio ist?» Wenn nicht, seien Arbeitsplätze und der Produktionsstandort Schweiz in Gefahr. «Gut möglich, dass sich vor allem exportorientierte Hersteller von der Schweiz verabschieden und im Ausland produzieren», sagt er.
Zu teuer, um zu bleiben?
Die Schokoladenbranche ist nicht allein. Seit 2005 produziert der Getränkehersteller Redbull in Widau SG Energydrinks für die ganze Welt. Jede zweite verkaufte Redbull-Dose soll aus dem Werk im Rheintal stammen. Bleibt das so, wenn nur noch Biozucker benutzt werden darf?
Nestlé, der grösste Lebensmittelhersteller der Welt, steht unter demselben Druck. Alle Nespresso-Kapseln, die irgendwo auf der Welt in eine Maschine gesteckt werden, stammen aus drei Schweizer Werken in Romont FR, Avenches VD und Orbe VD. Und die dürften künftig ausschliesslich Biokaffee verwenden.
Weder Redbull noch Nestlé wollen sagen, ob sie bei Annahme der Initiative am Standort Schweiz festhalten werden.
Nur: Das Schweizerkreuz auf der Schoggiverpackung ist ein Verkaufsschlager; Nespresso steht für Qualität made in Switzerland. Würde man dieses Markenzeichen so schnell aufgeben? «Swiss Made ist ein wichtiges Verkaufsargument, aber nicht das einzige», sagt Chocosuisse-Direktor Furrer. Und wer das Swiss-Image einmal habe, verliere es so schnell nicht wieder.
Zu wenig Bio auf dem Weltmarkt
Furrer bezweifelt zudem, dass die Initiative überhaupt umgesetzt werden kann. Auf dem Weltmarkt werde schlicht zu wenig Biokakao angeboten. «Wir bräuchten mindestens die Hälfte des weltweiten Bioangebots, um den Bedarf zu decken», sagt er.
Ins gleiche Horn stösst die Kaffeebranche. Auf der Welt gibt es gar nicht so eine grosse Bioproduktion», sagt Michael von Luehrte, Generalsekretär der IG Kaffee Schweiz. Im Moment seien es kaum mehr als zwei bis drei Prozent.
«Industrie will halt nicht mehr bezahlen»
Rohstoffhändler David Yersin (59) lässt das nicht gelten. Er meint, dass die Bauern in Lateinamerika gerne mehr Kakao in Bioqualität anbauen würden. «Aber die Nachfrage ist noch nicht gross genug.»
Müssten alle bio produzieren, würde die Nachfrage steigen und damit auch das Angebot. Dann gäbe es auch genügend Biokakao auf dem Weltmarkt, um den Schweizer Bedarf zu decken.
Die grossen Schokoladenhersteller hingegen würden sich nicht von allein bewegen. «Die Industrie freut sich halt nicht, wenn sie mehr für die Rohstoffe zahlen muss», sagt er. «Aber die Kakaobauern würden sich freuen!» Denn mit dem Preis, der im Moment für Schokolade gezahlt werde, könnten die Produzenten in den Ursprungsländern nicht leben.» Yersin ist überzeugt: «Das, was der Konsument mehr für Schokolade zahlen würde, käme den Bauern zugute.»