Nach Urteil aus Strassburg
Rascherer Familiennachzug bleibt umstritten

Vorläufig Aufgenommene müssen in der Schweiz drei Jahre warten, bevor sie Familienangehörige zu sich holen dürfen. Das ist zu lange, urteilte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof. Nun will der Bundesrat das Gesetz anpassen. Das aber ist umstritten.
Publiziert: 22.08.2024 um 13:25 Uhr
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Aktualisiert: 22.08.2024 um 15:12 Uhr
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Vorläufig aufgenommene Flüchtlinge müssen heute drei Jahre warten, bis sie Familienangehörige wie ihre Kinder oder Ehepartner in die Schweiz holen dürfen.
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

  • Für Strassburg sind Schweizer Regeln zum Familiennachzug zu streng
  • Bundesrat will Wartefristen von drei auf zwei Jahre verkürzen
  • Der Gesetzesentwurf ist heftig umstritten
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Daniel BallmerRedaktor Politik

Das Verdikt aus Strassburg war klar: 2021 ist der Europäische Menschengerichtshof (EGMR) zum Schluss gekommen, dass vorläufig aufgenommene Flüchtlinge nicht drei Jahre warten müssen sollen, bis sie Familienangehörige in die Schweiz nachziehen können. Eine Wartefrist von mehr als zwei Jahren sei unvereinbar mit dem Recht auf Familienleben, das in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist.

Nachdem bereits das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtssprechung angepasst hat, schlägt auch der Bundesrat eine Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes vor: Der Familiennachzug für vorläufig aufgenommene Flüchtlinge soll künftig schon nach zwei Jahren möglich sein, in besonderen Härtefällen sogar schon vorher.

SVP wehrt sich gegen fremde Richter

Die Gesetzesänderung ist allerdings umstritten, wie die am Donnerstag endende Vernehmlassung zeigt. So lehnt etwa die SVP den Entwurf entschieden ab. Es sei inakzeptabel, dass ausländische Richter vermehrt politische Urteile fällten, die dem Willen des Gesetzgebers und des Souveräns widersprächen. Denn deren Aufgabe sei es, Gesetze anzuwenden und nicht zu schaffen. Auch gebe es keinen objektiven Grund, warum eine zweijährige Frist gerechter und eine dreijährige Frist unverhältnismässig wäre.

Auch für die Mitte steht fest, dass die Gerichtsurteile keine zwingende Senkung der Wartefrist fordern. Vielmehr werde in den Urteilen betont, dass ab zwei Jahren eine Einzelfallprüfung nötig sei und das werde bereits heute vom Justizdepartement so gehandhabt. Die Mitte erkenne daher keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf und beantragt, auf die Revision gleich ganz zu verzichten.

Widerstand gibt es auch aus den Kantonen. Ähnlich argumentiert etwa die Schaffhauser Regierung. Zudem befürchtet sie gleich wie der Kanton Glarus, dass damit die Zahl der Gesuche zunehmen könnte. Und das wäre aus Sicht der Glarner Regierung mit dem jetzigen Personalbestand in den Kantonen nicht mehr zu bewältigen. Andere Kantone und Verbände hingegen sprechen sich für den Gesetzesentwurf aus.

Einen solchen «Pull-Effekt» zu verhindern, ist auch für die FDP ein «besonderes Anliegen». Sie unterstütze zwar grundsätzlich die Anpassung, «um die gesetzlichen Bestimmungen in Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR zu bringen». Denn für einen Rechtsstaat sei es wichtig, seine internationalen Verpflichtungen zu respektieren. Dennoch müssten die Kriterien streng bleiben, um sicherzustellen, dass keine erhöhte Migration in die Schweiz erfolge. Immerhin zeige ein Vergleich mit anderen europäischen Ländern, dass die geplante Anpassung internationalen Standards entspreche.

Links-Grün geht der Entwurf zu wenig weit

Wirklich zufrieden ist auch das links-grüne Lager nicht. Ihnen geht der Gesetzesentwurf allerdings zu wenig weit. So wollen die Grünen die Wartefrist für den Familiennachzug am liebsten gleich ganz streichen lassen. Solche Hürden stünden nicht im Einklang mit den Grundprinzipien des Rechts auf Familienleben, kritisiert die Partei. Zudem sei der Begriff der Familie zu erweitern auf Eltern, Grosseltern, Enkelkinder oder Geschwister.

Ähnlich sieht das die SP. Sie begrüsse zwar selbstverständlich eine Verkürzung der Wartefrist. Für eine völkerrechtskonforme Umsetzung sei aber entscheidend, dass nicht starr davon auszugehen ist, dass vor dem Ablauf von zwei Jahren kein Familiennachzug gestellt werden kann. Im Einzelfall müsse auch früher ein Familiennachzug geprüft und genehmigt werden können.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe wiederum gibt zu bedenken, dass eine kürzere Wartefrist nicht dazu führen dürfe, dass den Betroffenen weniger Zeit zur Verfügung steht, die übrigen Voraussetzungen für den Familiennachzug zu erfüllen. Denn für eine Bewilligung braucht es zudem eine vollständige Unabhängigkeit von der Sozialhilfe und das Vorhandensein einer genügend grossen Wohnung. «Bis die Betroffenen diese hohen Anforderungen erfüllen können, brauchen sie eine gewisse Zeit», betont die Flüchtlingshilfe.

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