Der Entscheid des Europäischen Menschenrechts-Gerichtshofs (EGMR) hat Bundesbern in Aufruhr versetzt. Die Schweiz müsse mehr für den Klimaschutz tun, urteilten die Strassburger Richter im April. Was nicht nur bei Bürgerlichen auf so heftige Kritik stiess, dass die zuständigen Kommissionen von National- und Ständerat kürzlich forderten, das Urteil einfach nicht weiter zu beachten.
Doch damit hat es sich nicht. Zahlreiche Vorstösse haben SVP- und FDP-Parlamentarier in den vergangenen Tagen eingereicht, die weitere Reaktionen vorsehen – zum Beispiel die Kündigung der Menschenrechtskonvention. Der Ausserrhoder FDP-Ständerat Andrea Caroni (44) nimmt nun auch die Richter-Wahl ins Visier.
Bundesrat soll entmachtet werden
Jeder der 47 Staaten, die die Konvention unterzeichnet haben, stellt einen Richter oder eine Richterin. Für die Schweiz sitzt Andreas Zünd (67), SP-Mitglied, seit drei Jahren in Strassburg. Der Bundesrat hatte ihn und zwei weitere Kandidaten nominiert, gewählt hat ihn dann schliesslich das Parlament des Europarats.
Das ist das übliche Vorgehen. Caroni will nun aber, dass in Zukunft nicht mehr der Bundesrat, sondern das Parlament Schweizer EGMR-Kandidaten nominiert. Damit würde man die «demokratische Legitimität des Schweizer Mitglieds stärken», so Caronis Begründung. Ständerätinnen und Ständeräte von Mitte, SVP und FDP haben den Vorstoss mitunterzeichnet.
Der Hintergedanke der Bürgerlichen ist klar: Man will unliebsame Richter verhindern. Zünd war einer von 17 Richtern, die das umstrittene Klima-Urteil gefällt hatten. 16 der 17 Richter stimmten für eine Verurteilung der Schweiz – darunter auch Zünd.
Schweizer Richter habe grosses Gewicht
Die Forderung Caronis ist nicht neu. Vor zehn Jahren hatte SVP-Nationalrat Alfred Heer (62) genau dasselbe vorgeschlagen, der Grund waren ebenfalls umstrittene EGMR-Urteile. Der Nationalrat schickte den Vorstoss allerdings bachab. Auch Caroni, zu diesem Zeitpunkt noch Nationalrat, war damals dagegen.
Jetzt hat er seine Meinung geändert. «Es ist mir bewusst geworden, welch grosses Gewicht der Schweizer Richter hat», sagt Caroni. Wird ein Fall behandelt, der die Schweiz betrifft, ist der Schweizer Richter immer involviert – und hat eine spezielle Rolle: In der Regel bereitet er das Verfahren vor und macht einen Vorschlag für das Urteil. Deswegen müsse er sorgfältig ausgewählt werden.
Dem Kritikpunkt, dass die Wahl damit zu stark politisiert würde, entgegnet Caroni: «Es wäre nur ein Vorschlag, und das für eine einmalige Amtsdauer. Bundesrichter hingegen werden heute vom Parlament direkt gewählt und müssen sogar wiedergewählt werden.»
Wer kann die besseren Entscheide treffen?
Das Parlament ist auch für die Wahl des Bundesanwalts zuständig, dem höchsten Ermittler im Land. Bis 2010 lag die Kompetenz dafür noch beim Bundesrat. Das Parlament glaubte, dass es die besseren Personalentscheide trifft als die Regierung, nachdem es wiederholt zu Skandalen an der Spitze der Bundesanwaltschaft gekommen war.
Das stellte sich allerdings als grossen Irrtum heraus. 2020 kam es zum unrühmlichen Abgang von Bundesanwalt Michael Lauber (58) – weniger als ein Jahr, nachdem er vom Parlament wiedergewählt worden war. Die Forderung liess nicht lange auf sich warten, dass doch besser wieder der Bundesrat wählen soll.