Knall in der St. Galler GLP: Der Infektiologe Pietro Vernazza (66) ist aus der Partei ausgetreten. Er wolle «mit einer Partei, die derart chaotisch organisiert ist», nichts mehr zu tun haben, schreibt das «St. Galler Tagblatt».
Es ist das vorerst letzte Kapital eines Machtkampfs, der vor vier Jahren beginnt. Vernazza kandidiert für den Nationalrat. Der damalige Arzt im St. Galler Kantonsspital war Chefarzt der Infektiologie und international gefragter HIV-Forscher. Die Wahl ins Parlament verpasst er aber knapp und landet auf Platz zwei – gestartet vom zweitletzten Listenplatz. Thomas Brunner (62) holt den Sitz in St. Gallen.
Dann beginnt die Corona-Pandemie und Vernazza äussert sich immer wieder kritisch gegenüber einzelnen Massnahmen des Bundesrates. «Meine Covid-Äusserungen passten der Mehrheit des Parteivorstandes nicht», wird er später sagen.
Zweite Chance platzt
Nach vier Jahren hat Brunner genug in Bern. Er stellt sich nicht zur Wiederwahl. Sein Sitz wird frei und Vernazza macht sich Hoffnung, dass es doch noch klappt mit der nationalen Politik. Doch die Kantonalpartei verweigert ihm die Kandidatur. Die Enttäuschung ist gross. Vernazza spricht von einem «abgekarteten Spiel».
Wenige Tage später stellt die ehemalige Nationalrätin Margrit Kessler (75) die Rechtmässigkeit der Nominations-Veranstaltung infrage, schreibt das «St. Galler Tagblatt». Sie bemängelt Verfahrensfehler. Und tatsächlich: Die Kantonalpartei lädt für Anfang Juni zu einer ausserordentlichen Mitgliederversammlung ein. Dabei will die Partei die Nationalratsliste besprechen. Erneut.
Vernazza selbst sagt, er hätte von der erneuten Mitgliederversammlung erst durch die Einladung erfahren. «Ohne dass vorgängig mit mir geredet wurde, ob ich überhaupt noch zur Verfügung stehe.»
Der St. Galler GLP-Parteipräsident Ramon Waser (27) widerspricht: Kessler habe erwähnt, dass das Vorgehen mit Vernazza abgesprochen sei und ein Vorstandsmitglied hätte per Telefon während der Sitzung mit Vernazza gesprochen. Waser räumt aber ein, er hätte persönlich mit dem mittlerweile emeritierten Infektiologen sprechen müssen. «Das war ein Fehler, dazu stehe ich», sagt er gegenüber dem «St. Galler Tagblatt.» Die jüngsten Entwicklungen seien aber die Folge davon, dass Einzelpersonen Mühe hätten, «demokratisch gefällte Entscheidungen zu akzeptieren.»
Kommt jetzt ein Parteiwechsel?
Vernazza denkt derweil offenbar über einen Parteiwechsel nach. Er ist mit der Mitte-Partei im Gespräch über eine Nationalrats-Kandidatur, wie die «NZZ» schreibt. Die Mitte in St. Gallen hätte demnach noch freie Plätze auf der Nationalrats-Liste.
Gegenüber dem «St. Galler Tagblatt» sagt Vernazza, er sei mit verschiedenen Parteien im Gespräch, nennt aber keine Namen. Vor vier Jahren verlor die Mitte-Partei in St.Gallen einen Sitz – zugunsten der GLP. (oco/bro)