Die St. Galler GLP will nicht, dass Pietro Vernazza (66) für den Nationalrat kandidiert – zumindest nicht für ihre Partei. Das ist überraschend: Vor vier Jahren erreichte der ehemalige Chefarzt des Kantonsspitals St. Gallen den zweiten Platz, verpasste die Wahl nur knapp und trat sogar für die Ständeratswahl an. Vernazza – mittlerweile im Pensionsalter – hätte es in diesem Jahr gerne nochmals probiert. Doch jetzt ist alles anders.
Während der Corona-Pandemie äusserte sich Vernazza – Infektiologe mit Schwerpunkt HIV – immer wieder kritisch über einzelne Massnahmen des Bundesrates. Er brachte auch früh eine «differenzierte Durchseuchung» als Alternative zu generellen Lockdowns ins Spiel. Für seine Ideen erntete er teilweise vernichtende Kritik von Wissenschaftskollegen.
«Es war ein abgekartetes Spiel»
Seine Haltung zu Corona sei denn auch der Grund, dass ihm die Partei die Kandidatur für den Nationalrat verweigert, mutmasst der Arzt. «Meine Covid-Äusserungen passten dem Parteivorstand, jedenfalls einer Mehrheit des Gremiums, nicht», sagte der Arzt gegenüber dem «St. Galler Tagblatt». Man habe ihm schon vor der Nomination gesagt, dass man ihn eigentlich nicht wolle. «Es war ein abgekartetes Spiel», legt Vernazza in der «NZZ» nach.
Die Kantonalpartei ihrerseits gibt sich bedeckt. Es habe mehr Interessierte als Listenplätze gegeben, sagt GLP-Kantonspräsident Ramon Waser (28) zum «St. Galler Tagblatt». Darum hätten «die Mitglieder in einer geheimen, schriftlichen Wahl demokratisch entschieden». Möglich ist, dass die GLP ihre Liste verjüngen will, und es Vernazza darum nicht geschafft hat.
GLP muss um Sitz kämpfen
Die St. Galler GLP hält mit Thomas Brunner (62) zurzeit einen Sitz im Nationalrat. Diesen zu verteidigen, wird nicht einfach. Brunner hat bereits angekündigt, dass er nach nur vier Jahren genug hat von Bundesbern und nicht wieder antreten wird. Der Bisherigenbonus fällt also weg. Vor vier Jahren profitierte die GLP zudem von einer Listenverbindung mit der St. Galler Mitte-Partei, die ihrerseits einen Sitz verlor. Ob eine Listenverbindung unter diesen Vorzeichen nochmals zustande kommt, ist fraglich. Somit muss die GLP selbst genug Stimmen auf sich vereinen, um den Sitz zu halten.
Und Vernazza? Der liebäugelt mit einem Parteiwechsel. Zwar sei ein solcher «noch weit weg», heisst es im «St. Galler Tagblatt». «Aber ich muss mir schon ernsthaft überlegen, ob ich mich noch weiter für die Grünliberalen engagieren mag.» (bro)