Nach Eklat – neuer SGG-Präsident setzt bei 1.-August-Feier auf Tradition
Schwingen ums Rütli

Am 1. August kommts auf dem Rütli zum Schwingkampf – zuvor haben die Organisatoren einen internen Kampf ausgefochten. Es geht auch um die Frage: Wie viel Neues darf man in der «Wiege der Schweiz» wagen?
Publiziert: 26.07.2022 um 00:50 Uhr
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Der junge Mann mit der Fliege, Nicola Forster, ist Präsident der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG).
Foto: Nathalie Taiana
Lea Hartmann

Alphornklänge, Jodelgesang, Fahnenschwinger und Schwinger im Sägemehl: Die diesjährige 1.-August-Feier auf dem Rütli strotzt nur so vor Brauchtum. Erstmals seit Beginn der Pandemie findet der Traditionsanlass wieder im grossen Rahmen statt.

Es ist ein ungewohntes Umfeld für Nicola Forster (37). Seit 2020 präsidiert der Co-Chef der Kantonalzürcher Grünliberalen die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) – und ist damit Herr über das Rütli, das von der SGG verwaltet wird. Das 1.-August-Fest dieses Jahr ist die erste reguläre Rütlifeier unter seiner Ägide.

Der Hipster unter Schwingern

Forster ist unter anderem Mitgründer der Operation Libero und des aussenpolitischen Think-Tanks Foraus, ein Digitalisierungs-Turbo und Europa-Freund. Und nun setzt ausgerechnet der «Polit-Influencer», wie ihn ein Onlineportal jüngst nannte, ganz auf Tradition?

Forster lacht, als ihn Blick darauf anspricht. Die Feier sei so eigentlich schon 2020 vorgesehen gewesen, zum 125-Jahr-Jubiläum des Schwingerverbands. Geplant worden sei sie also schon vor seiner SGG-Zeit, erklärt er. Forster macht aber klar, dass ihm die Idee gefällt. «Der Schwingsport versinnbildlicht das, was ich mir mit der Erfahrung der Corona-Krise für unsere Gesellschaft wünsche: dass man auch nach einem Streit wieder zusammenkommt und sich gegenseitig das Sägemehl vom Rücken klopft.» Das Rütli solle, so sein Wunsch, für den Schweizer Zusammenhalt über alle Gräben hinweg stehen.

Geschäftsführer rausgeschmissen

Nach einer Auseinandersetzung im Frieden auseinandergehen? Bei der SGG selbst funktioniert das offenbar nicht. Wenige Wochen vor dem wichtigsten Anlass des Jahres kam es bei der Rütli-Organisation zum Knall: Der langjährige Geschäftsführer Lukas Niederberger (58) wurde entlassen – wegen «Differenzen in Führungsfragen», so die offizielle Sprachregelung. Niederberger machte seiner Wut und seinem Unverständnis über die Entlassung in einem Interview mit dem Portal kath.ch Luft. Die Kündigung habe sich «wie der Tod eines krebskranken Freundes» angefühlt, sagte er.

Was der genaue Grund für den Rausschmiss war, bleibt im Dunkeln. Forster versucht, den Ball flach zu halten. Fest steht: Niederberger hat als SGG-Chef polarisiert. Ganz besonders mit dem von ihm vorangetriebenen Projekt einer neuen Nationalhymne. Patrioten waren erzürnt, als Niederberger den Schweizerpsalm einmal als «nationalreligiösen Humbug» bezeichnete.

Vorsicht bei Experimenten

Aber auch die Eröffnung eines Rütli-Museums 2018 und die Wahl des Rütli-Pächters kamen nicht überall gut an. Ein schweizerisch-amerikanischer Doppelbürger, der auf dem Rütli das Sagen hat und schottische Hochlandrinder statt Schweizer Grauvieh in der «Wiege der Schweiz» grasen lässt: Für manch einen Traditionalisten war das schon zu viel. Geht es nach ihnen, soll auf dem Rütli alles so bleiben wie immer.

Das war Nicola Forster wohl eine Lehre. Nach seiner Wahl 2020 hatte er klargemacht, dass er mit der über 200 Jahre alten SGG neue Wege gehen und auch «hin und wieder ein Experiment wagen» wolle. Ein kleiner solcher Versuch findet im Vorfeld der Rütlifeier zwar statt – und zwar in Form der Aktion «Lasst uns reden», in der Menschen mit ganz unterschiedlichen Meinungen miteinander das Gespräch suchen. Doch das grosse Experiment traut sich Forster auf dem Rütli offensichtlich – noch – nicht.

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