Der Bundesrat machte letztes Jahr klar: Die Schweizer Bevölkerung sei noch nicht so weit, um ein offizielles drittes Geschlecht in amtlichen Papieren zu akzeptieren. Er stellte sich damit gegen die Möglichkeit, wie sie Deutschland und Österreich kennen. Dort dürfen Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen, im Pass ein X oder das Wort «divers» eintragen lassen.
Als Argument führten die Schweizer Regierung und das Justizdepartement – damals noch unter der Leitung von Karin Keller-Sutter (59) – als Grund die ablehnende Haltung der nationalen Ethikkommission (NEK) ins Feld.
Damit bog sich die Regierung die Wahrheit jedoch zurecht. Denn die NEK hielt vorgängig in einem Bericht fest, dass die heutige Regelung und Praxis unbefriedigend seien. Die Präsidentin der Ethikkommission, Andrea Büchler (54), sprach sich denn auch öffentlich für die Einführung eines dritten Geschlechts aus.
Trans-Organisation will gehört werden
Nun will die Rechtskommission wissen, was Sache ist: Auf Antrag der grünen Nationalrätin Sibel Arslan (42) führt das Gremium eine Anhörung durch. «Uns geht es darum, die widersprüchlichen Aussagen zu entwirren», begründet Arslan dies auf Anfrage.
Darum werden die Experten der Ethikkommission und vom Bundesamt für Justiz vorgeladen. Ebenso wolle man sich Betroffene anhören, bestätigt Christa Markwalder (47, FDP), Präsidentin der Kommission für Rechtsfragen, auf Anfrage.
Die Interessenvertretungen der Betroffenen hatten entsetzt auf den Bundesratsentscheid reagiert. «Das ist eine Ohrfeige gegen nicht binäre Menschen», sagte Jurist Alecs Recher vom Transgender Network Switzerland gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Daher begrüsste die Organisation am Donnerstag, dass sich die Rechtskommission nun auch die betroffene Community anhören wolle.
Neuer Anlauf mit neuer Ministerin?
Mit der neu zuständigen SP-Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider (59) könnte die Debatte zudem eine neue Richtung einschlagen. Das hofft jedenfalls Arslan: «Der Bericht des Bundesrats ist ein Ärgernis.» Diese Entscheidung müsse korrigiert werden, findet die Nationalrätin. «Schliesslich geht es darum, den betroffen Menschen einen echten Platz und vollen Respekt in unserer Gesellschaft zu verschaffen.»
Eine Untersuchung des Forschungsinstituts Sotomo aus dem Jahr 2021 zeigt denn auch, dass sich ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung nicht daran stören würde, wenn es neben «weiblich» und «männlich» noch eine weitere Kategorie in offiziellen Papieren gäbe. Gemäss dieser Umfrage sind 53 Prozent der Bevölkerung dafür oder eher dafür, dass es in amtlichen Dokumenten einen zusätzlichen Eintrag für nicht binäre Menschen gibt.