Sie tragen Namen wie Ibisio oder Barritus Rex, sollen Pflanzen vor Schädlingen und Krankheiten schützen, und sie dürfen in der Schweiz eigentlich nicht verwendet werden: Pestizide, die über keine Zulassung verfügen.
Doch letztes Jahr wurden für solche Produkte fünfmal so viele Notfallzulassungen erteilt wie noch vor fünf Jahren. Wie das Westschweizer Fernsehen RTS Anfang Januar berichtete, stieg die Zahl der Notfallbewilligungen für Pflanzenschutzmittel von sechs im Jahr 2019 auf 29 im letzten Jahr.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Woran liegt das? Gemäss dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) sind die Zulassungskriterien für Pflanzenschutzmittel in den letzten zwei Jahrzehnten laufend strenger geworden. «Um Mensch, Tier und Umwelt besser zu schützen.» Viele ältere Wirkstoffe und Mittel erfüllen die Kriterien nicht mehr. «Die Bewilligungsinhaberinnen wollen teilweise den Aufwand für neue Studien nicht mehr tragen, darum dürfen die Pflanzenschutzmittel in der Folge nicht mehr verwendet werden», so BLV-Sprecherin Tiziana Boebner. Gleichzeitig seien in den letzten Jahren neue Schaderreger aufgetreten.
208 Pestizide aus dem Verkehr gezogen
Wenn ein Schädling oder eine Krankheit nicht mit den zugelassenen Pflanzenschutzmitteln bekämpft werden kann, darf das BLV dem Hersteller eine Notfallzulassung erteilen. «Die meisten Notfallzulassungen werden für Mittel erteilt, die bereits regulär bewilligt sind, jedoch nicht für die betreffende Kultur-Schaderreger-Kombination», sagt Boebner. Die Notfallzulassungen gelten jeweils höchstens für ein Jahr, können aber auch mehrere Jahre hintereinander erteilt werden.
208 Wirkstoffe sind es insgesamt, denen seit 2005 die Zulassung entzogen wurde. Gemäss Sandra Helfenstein, Kommunikationschefin des Schweizer Bauernverbands, ist das für die Bauern eine riesige Herausforderung. «Der Schutz der Kulturen ist immer weniger gewährleistet, und das Produktionsrisiko steigt enorm.» Weil Wirkstoffe fehlten, seien Resistenzen bei noch bestehenden Mitteln auf dem Vormarsch. «Wo es alternative Schutzmöglichkeiten gibt, werden diese in der Praxis auch ergriffen», so Helfenstein. Fehlten diese, funktionierten sie unzuverlässig oder seien die Alternativen zu arbeits- oder kostenintensiv, werde die Produktion gewisser Gemüse, Früchte oder Futtermittel aufgegeben.
Als Beispiele zählt sie diverse Schädlinge auf, gegen die kein Kraut gewachsen sei, darunter die Spinnmilbe, Drahtwürmer oder auch neue Schädlinge wie der Erdbeersamenlaufkäfer.
Wenn ein Schädling neu in der Schweiz auftritt, handelt das BLV umgehend. Letztes Jahr erteilte es fünf Notfallzulassungen, um eine Ausbreitung des Japankäfers zu verhindern. Er richtet an über 400 Wirtspflanzen an Wurzeln, Blättern, Blüten und Früchten grosse Fressschäden an. «Jede dieser Notfallzulassungen gilt für verschiedene Pflanzenschutzmittel, die denselben Wirkstoff enthalten, um den Japankäfer auf verschiedenen Kulturen zu bekämpfen», sagt Tiziana Boebner vom BLV.
Insgesamt hat das BLV letztes Jahr zehn Notfallzulassungen erteilt, um neu auftretende Schädlinge zu bekämpfen. Sieben neue Schädlinge konnten so gemäss Boebner kontrolliert werden.
Notfallzulassungen bei neu einwandernden Schädlingen
Nicht nur der Bauernverband beobachtet die Entwicklungen um die Notfallzulassungen für Pestizide. Auch Hans-Jakob Schärer vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), Co-Leiter Nutzpflanzenwissenschaften. Er erforscht unter anderem biologische Pflanzenschutzmittel, die ebenfalls unter die Kategorie der Pestizide fallen.
Er stellt fest, dass nicht nur neue Schädlinge, sondern auch die Folgen des Klimawandels dazu führen, dass Notfallbewilligungen erteilt werden müssen. «Mal ist es zu trocken und zu heiss, und Insekten können sich vermehren, mal ist es extrem nass, was zu einem vermehrten Befall durch Schaderreger führt.»
Dort, wo für die gleichen Probleme Jahr für Jahr neue Notfallbewilligungen erteilt werden, müsse man ein Auge drauf haben. «Es kann nicht sein, dass die Hersteller das reguläre Zulassungsverfahren mit diesem Instrument umgehen», sagt Schärer.
Grundsätzlich mache das BLV seine Arbeit gut und bemühe sich, schonende Mittel gegenüber Chemiekeulen zu favorisieren, wo es möglich sei. Bei neu einwandernden Schädlingen müsse man aber von Anfang an rigoros vorgehen, bevor sie sich hier ausbreiten können. «Hier ist das Mittel der Notfallzulassung genau das Richtige, weil man schnell handeln kann.»