Sie gilt in Bern als die beste Generalsekretärin aller Parteien: Seit viereinhalb Jahren leitet Gianna Luzio (43) die Zentrale der Mitte-Partei. Doch nun, ausgerechnet ein halbes Jahr vor den Wahlen, werden ihre Führungsqualitäten infrage gestellt.
Blick liegt ein Schriftwechsel vor, den der Anwalt einer renommierten Wirtschaftskanzlei mit der Parteispitze um Mitte-Chef Gerhard Pfister (60) führt. Darin macht er die Mitte auf massive Vorwürfe aufmerksam, die aktuelle und ehemalige Mitarbeitende gegen Luzio erheben. Die Rede ist von Mobbing, einer krankmachenden Arbeitsumgebung und einem «Klima der Angst», das Luzio geschaffen habe.
Brillante Strategin
Generalsekretäre sind Schlüsselfiguren in Bern. Sie leiten die Schaltzentrale der Parteien, bereiten die Entscheide der Parteiorgane vor, organisieren Delegiertenversammlungen und koordinieren den Kontakt zu Kantonalsektionen, Bundesverwaltung, Medien. Nicht selten sind sie auch der strategische Kopf. Und natürlich liegt in ihrer Verantwortung die Verwaltung der Partei inklusive Buchhaltung und Personalverantwortung.
Gianna Luzio ist solch ein strategischer Kopf. Sie brilliert in allem – nur nicht bei der Personalführung, wenn man den Anschuldigungen ihrer ehemaligen und aktuellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter glaubt, die ihre Identität aktuell gegenüber der Partei nicht offenlegen wollen.
«Ich hatte vor jedem Arbeitstag Angst»
Die Vorwürfe lauten konkret: Gianna Luzio trete gegenüber Mitarbeitenden radikal auf und schrecke dabei auch vor persönlichen Angriffen und verletzenden Beleidigungen nicht zurück. Mitarbeiter, die sie kritisieren oder ihre Entscheide hinterfragen, müssten persönliche Attacken, Wutausbrüche vor dem Team bis hin zu Kündigungsandrohungen über sich ergehen lassen. «Ich habe vor jedem Arbeitstag im Büro Angst», erzählt eine Angestellte Blick. «Ist sie nicht da, wird es ein guter Tag. Ist sie anwesend, sitze ich wie auf Nadeln und zucke beim kleinsten bisschen zusammen.»
Eine weitere Person sagt, Luzio habe sie ab einem bestimmten Zeitpunkt systematisch von Informationen ausgeschlossen. «So konnte ich meine Arbeit nicht machen. Habe ich nachgefragt, wurde ich einfach ignoriert – weder Mails noch Whatsapp-Nachrichten wurden beantwortet». Der Ex-Mitarbeiter ist überzeugt: «Sie wollte mich loswerden und hat alles getan, um mich rauszuekeln.» Ein Eindruck, den weitere Mitte-Mitarbeiter bestätigen.
Hohe Pensen für Mütter in der Familienpartei
Besonders heikel ist ein mehrfach geäusserter Vorwurf: Werdenden Müttern sei während der Schwangerschaft versprochen worden, nach dem Mutterschaftsurlaub in einem reduzierten Pensum weiterhin für die Partei tätig sein zu können. Diese Versprechen seien aber nicht eingehalten worden: Nach der Rückkehr an den Arbeitsplatz habe Luzio von den jungen Müttern verlangt, wieder in einem hohen Pensum weiterzuarbeiten – oder sich eine neue Stelle zu suchen.
Mit den Vorwürfen von Blick konfrontiert, äussert sich die Mitte-Generalsekretärin Gianna Luzio wie folgt:
«Ich bin seit viereinhalb Jahren Generalsekretärin. In meiner Selbstbeurteilung bin ich als Vorgesetzte fordernd, klar und fair. Zu meiner Rolle gehört es, Vorgaben zu machen. Das bedeutet zuweilen, auch schwierige Entscheidungen zu fällen.
Während der Pandemie, die durch Personalausfälle und pragmatische Lösungen geprägt war, ist sicher nicht immer alles optimal gelaufen. Trotzdem hat unser Team die Fusion von CVP und BDP ebenso wie die Namensänderung zur Partei Die Mitte erfolgreich über die Bühne gebracht. Unsere Mitarbeitenden sind in einem regelmässigen direkten Kontakt mit den Mitgliedern unserer Partei auf nationaler und kantonaler Ebene.
Ich bin enttäuscht, dass ein paar Leute mich und das Parteipräsidium anonym mit Anwürfen eindecken. Es erstaunt mich auch: Seit Herbst 2018 mussten wir zwei Kündigungen aussprechen und sechs Arbeitsverhältnisse wurden im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst. Arbeitsrechtlich haben wir diese Fälle korrekt abgewickelt, es gab keine Beanstandungen.
Unsere Partei steht für konstruktive Zusammenarbeit und den Dialog. Dass Anwürfe anonym in die Medien getragen wurden, widerspricht unseren Werten. Diese Anwürfe erschweren es dem Team auf dem Generalsekretariat, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Das schadet unserer Partei im laufenden Wahljahr.»
Mit den Vorwürfen von Blick konfrontiert, äussert sich die Mitte-Generalsekretärin Gianna Luzio wie folgt:
«Ich bin seit viereinhalb Jahren Generalsekretärin. In meiner Selbstbeurteilung bin ich als Vorgesetzte fordernd, klar und fair. Zu meiner Rolle gehört es, Vorgaben zu machen. Das bedeutet zuweilen, auch schwierige Entscheidungen zu fällen.
Während der Pandemie, die durch Personalausfälle und pragmatische Lösungen geprägt war, ist sicher nicht immer alles optimal gelaufen. Trotzdem hat unser Team die Fusion von CVP und BDP ebenso wie die Namensänderung zur Partei Die Mitte erfolgreich über die Bühne gebracht. Unsere Mitarbeitenden sind in einem regelmässigen direkten Kontakt mit den Mitgliedern unserer Partei auf nationaler und kantonaler Ebene.
Ich bin enttäuscht, dass ein paar Leute mich und das Parteipräsidium anonym mit Anwürfen eindecken. Es erstaunt mich auch: Seit Herbst 2018 mussten wir zwei Kündigungen aussprechen und sechs Arbeitsverhältnisse wurden im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst. Arbeitsrechtlich haben wir diese Fälle korrekt abgewickelt, es gab keine Beanstandungen.
Unsere Partei steht für konstruktive Zusammenarbeit und den Dialog. Dass Anwürfe anonym in die Medien getragen wurden, widerspricht unseren Werten. Diese Anwürfe erschweren es dem Team auf dem Generalsekretariat, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Das schadet unserer Partei im laufenden Wahljahr.»
Sollte das zutreffen, wäre das nicht nur um arbeitsrechtlich höchst problematisch. Es wäre für die Mitte-Partei auch politisch heikel, setzt sie sich doch öffentlichkeitswirksam für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein. Hintertriebe sie diese Vereinbarkeit als Arbeitgeberin aber selbst, hätte die Partei ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Viele Abgänge in 4,5 Jahren
Das mutmassliche Bossing – so wird Mobbing genannt, wenn es von einem Vorgesetzten ausgeht – soll Spuren hinterlassen haben. Mehrere Mitarbeitende geben an, ernsthaft erkrankt und zum Teil noch heute traumatisiert zu sein.
Blick kennt die Namen der Personen, die sich ans Anwaltsbüro gewandt haben. Und hat mit einigen von ihnen gesprochen. Doch nicht nur ihre Schilderungen, sondern auch die nackten Zahlen, lassen aufhorchen: Seit Luzios Amtsantritt im September 2018 haben rund 30 Mitarbeitende das Generalsekretariat verlassen – mehr oder eher weniger freiwillig. Das Generalsekretariat legt Wert darauf, dass sieben der Abgänge befristete Arbeitsverträge betroffen haben. Dennoch: Es ist viel, zieht man in Betracht, dass die Stabsstelle der Mitte-Partei bloss rund 20 Vollzeitstellen anbietet.
Nun haben sich einige ein Herz gefasst und per Anwalt an die Parteileitung gewandt – mit der Bitte, Massnahmen zu ergreifen, um die «inakzeptable» Situation zu verbessern. Konkret fordern sie, dass eine unabhängige Stelle die Vorwürfe untersucht und Luzio so lange freigestellt wird.
Pfister stellt sich vor Luzio
Dafür sieht die Parteispitze um Pfister keinen Anlass. Am Montag hat das zwölfköpfige Präsidium Luzio einstimmig das Vertrauen ausgesprochen. «Gianna Luzio leistet ein ausgesprochen hohes Arbeitspensum und macht einen sehr guten Job», so Pfister gegenüber Blick. «Sie führt das Team umsichtig, fordernd und fair.» Alle Anstellungen und Trennungen seien arbeitsrechtlich korrekt abgewickelt worden.
Zudem habe man bereits Ende letzten Jahres – und damit lange, bevor die Vorwürfe gemacht wurden – eine Fachfrau für Personalführung angestellt. «Sie ist für das Personal zuständig, während sich Gianna Luzio wieder verstärkt auf die politische Arbeit konzentrieren kann, was für den Erfolg unserer Partei im Wahljahr 2023 entscheidend ist.
Die Anschuldigungen gegen Luzio bestreitet die Parteispitze «vollumfänglich» und fordert, dass sich die anklagenden Mitarbeiter zu erkennen geben. Was diese aber noch nicht tun wollen: «Gianna Luzio hat mir gedroht, sie werde mir beruflich jeden Stein in den Weg legen, sollte ich an die Öffentlichkeit gehen», erklärt ein ehemaliger Mitarbeiter. Zudem fürchten die Mitarbeitenden, die auch Parteimitglieder sind, den Verstoss aus der Mitte-Familie.
Präsidiumsmitglieder wussten länger Bescheid
Nicht zu Unrecht: Pfister bezeichnet die Beschwerdeführer als «Heckenschützen». «Dass die Generalsekretärin und das Parteipräsidium von anonymer Seite an den Pranger gestellt werden, ist feige und enttäuscht mich persönlich.» Das Verhalten schade der Partei im Wahljahr.
Doch eigentlich könnte sich das Präsidium auch fragen, wie es zu dieser Eskalation kommen konnte. Blick-Recherchen zeigen nämlich, dass einzelne Präsidiumsmitglieder spätestens seit 2021 von Vorwürfen gegen die Generalsekretärin wussten. Und dennoch hat niemand gehandelt.
Stattdessen fordert die Parteispitze um Gerhard Pfister die beschwerdeführenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter quasi auf, das Ganze vor den Richter zu bringen: «Einer allfälligen zivilprozessualen Auseinandersetzung sieht das Präsidium gelassen entgegen», teilt ihr Anwalt mit.
Das würde die «klandestine Klientschaft» immerhin zwingen, sich zu offenbaren, heisst es weiter, um mit einer Drohung zu schliessen: «Ebenso müsste sie die innerparteilichen Auswirkungen eines solchen Prozesses und die Konsequenzen der in einem Wahljahr damit mutmasslich verbundenen medialen Ausschlachtung sowohl rechtlich als auch politisch in persona mittragen.»
Mit Deeskalation ist bis zu den Wahlen im Oktober nicht zu rechnen.