Die Migros will das Tabu brechen: Künftig soll auch in ihren Läden Alkohol verkauft werden. Zu diesem Schritt haben die Delegierten der Migros-Genossenschaft am Samstag grünes Licht gegeben.
Der Grundsatz-Entscheid kommt nicht überall gut an. EVP-Präsidentin und Nationalrätin Lilian Studer (43) warnt vor den Folgen: «Für Menschen mit Alkoholproblemen ist der Vorentscheid zur Aufhebung des Alkoholverbots fatal.» Die Politikerin war bis vor Kurzem Geschäftsführerin des Blauen Kreuzes Aargau/Luzern. Die Non-Profit-Organisation, die sich für Suchtkranke einsetzt, hatte sich in einem Communiqué ebenfalls enttäuscht und besorgt über den Beschluss der Migros-Delegierten gezeigt.
Kein Ort mehr, um sorglos einzukaufen
Dem Blauen Kreuz wie auch Studer geht es nicht einfach ums Prinzip. Heute sei die Migros ein Ort, an dem Menschen mit Alkoholproblem sorglos einkaufen könnten, sagt Studer. «Sie sind weniger der Versuchung ausgesetzt.» Für Betroffene sei das enorm hilfreich. Fällt das Verkaufsverbot, werde das Einkaufen für die Betroffenen viel schwieriger.
Und davon gibt es viele: Das Bundesamt für Gesundheit schätzt, dass 250'000 bis 300'000 Menschen in der Schweiz alkoholabhängig sind. Etwa jede dritte Person in der Schweiz habe mindestens eine Person mit Alkoholproblemen in ihrem Umfeld.
Die Regionen entscheiden
Studer findet den Entscheid der Migros umso unverständlicher, als dass die Migros-Tochter Denner und in den Migrolino-Tankstellenshops bereits heute Alkohol im Regal haben. Auch der Onlineshop der Migros verkauft Alkohol. «Warum muss man das dann auch noch in den Migros-Filialen tun?»
Die EVP-Präsidentin hofft, dass die regionalen Genossenschaften ihrerseits der Versuchung widerstehen und weiterhin auf den Verkauf von Wein, Bier und Spirituosen verzichten. Denn mit dem Entscheid der Migros-Delegierten liegt der Ball nun bei ihnen. Sie können, müssen das Alkoholverbot in den Läden ihrer Region aber nicht aufheben. Sprechen sich die Genossenschaften dafür aus, kommt es zur Urabstimmung. Das finale Wort haben also die Genossenschafterinnen und Genossenschafter – 2,2 Millionen sind es schweizweit.
Verweis auf Migros-Gründer Dutti
Das Blaue Kreuz erinnert an die Worte des Migros-Gründers Gottlieb Duttweiler, dass Unternehmen nicht nur den Profit im Auge haben, sondern «zum Guten dienen» sollen.
«Duttweilers Botschaft ist aktuell und vorbildlich, und das nicht nur in Bezug auf Alkohol», wird Blaukreuz-Präsident Philipp Hadorn in der Mitteilung zitiert. «Jetzt sind die Migros-Genossenschaften der letzte Schutzwall gegen eine falsch verstandene Liberalisierung der Geschäftspraktiken bei der Migros.» (lha)