Migrationsexperte Eduard Gnesa warnt
Flüchtlingszelte bald auch in der Schweiz?

Zustände wie in Österreich? Migrationsexperte Eduard Gnesa warnt, es könnte auch bei uns bald Flüchtlingszelte brauchen. Die Asylbehörden versichern, man tue alles, um das nach Möglichkeit zu verhindern.
Publiziert: 30.10.2022 um 16:49 Uhr
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Migrationsexperte Eduard Gnesa warnt, es könnte auch in der Schweiz Flüchtlingszelte brauchen.
Foto: Keystone
Pascal Tischhauser

Derzeit steigen die Asylzahlen in der Schweiz stark an. Zudem könnten zur kälteren Jahreszeit hin wieder mehr Schutzsuchende aus der Ukraine in die Schweiz gelangen. Im Blick hatte die Chefin des Staatssekretariats für Migration (SEM), Christine Schraner Burgener (59), gar gesagt: «Wir sind in der grössten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg».

Jetzt erklärt Eduard Gnesa (70), der früherer Direktor des Bundesamtes für Migration (heute SEM) und ehemalige Schweizer Sonderbotschafter für internationale Migrationszusammenarbeit: Anders als in Österreich brauche es in der Schweiz «im Moment» keine Zelte für Flüchtlinge. Dies wohl auch deshalb nicht, weil die Zahl der Migranten in der Schweiz aktuell viel geringer ist als jene in unserem österlichen Nachbarland.

Weiterhin keine Zelte

«Aber es ist möglich, dass auch bei uns Zelte aufgestellt werden müssen, wenn noch mehr Flüchtlinge kommen», so Gnesa, der heute in der Asylberatung tätig ist, in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» weiter. Wichtig sei, dass die Menschen untergebracht und betreut werden.

Auf Nachfrage sagt das SEM dazu, derzeit rechne man nicht damit, dass es Zelte brauche. Bund, Kantone, Städte und Gemeinden setzten alles daran, dass das so bleibe, auch wenn weiterhin sehr viele Flüchtende kommen.

Klimaflüchting-Status

Asylfachmann Eduard Gnesa denkt aber schon weiter: Wenn der Ukraine-Krieg vorbei sei, werde uns die grosse Frage beschäftigen, was wir mit den Klimamigrantinnen und -migranten machen. Was geschehe, wenn die Felder in Bangladesh noch häufiger überflutet werden. Wenn in Somalia noch mehr Menschen wegen Dürre nichts mehr zu essen und zu trinken haben. Hier kämen dann keine Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention mehr, die politisch verfolgt werden.

Deshalb wird derzeit international an einem Flüchtlingsstatus für Klimamigranten gearbeitet. Gnesa rechnet zwar nicht in nächster Zeit mit einem neuen Status, aber wegen des grossen Bevölkerungswachstums in Afrika wird die Migration aus diesem Kontinent Europa beschäftigen.

Legale Zuwanderungswege öffnen

2050 sollen schätzungsweise 2,5 Milliarden Menschen in Afrika leben und nur noch 450 Millionen in Europa. «Der demografische Druck wird auch wegen Perspektivlosigkeit der Jungen enorm sein», prognostiziert Gnesa.

Er zeigt sich überzeugt, dass Europa legale Zuwanderungswege öffnen muss. Schliesslich werde der Fachkräftemangel bei uns zunehmen. «Das heisst nicht, dass wir alle aufnehmen, das wäre illusorisch. Aber wir könnten vor Ort in Afrika Leute für Mangelberufe im schweizerischen Arbeitsmarkt ausbilden», so der Migrationsexperte. Er denke dabei zum Beispiel an Gesundheitspersonal, IT-Fachleute und Gastroangestellte.

Schon heute rekrutierten Deutschland und die Niederlande bereits Pflegefachkräfte in Indonesien, auf den Philippinen oder in Mexiko. «Dabei wird darauf geachtet, dass in diesen Ländern Fachkräfte für den Bedarf vor Ort und für den Bedarf dieser europäischen Staaten ausgebildet werden», so Gnesa im Interview weiter. Ähnliches schwebt ihm für junge Menschen aus Afrika vor.

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