Der Aufschrei war gross, als die Schweizer Botschafterin im Iran, Nadine Olivieri Lozano, am Mittwoch verschleiert einen heiligen Schrein in der Stadt Qom besuchte. Dies, obwohl das iranische Regime seit Monaten gewaltsam gegen Proteste der Bevölkerung vorgeht. Diese finden seit dem Tod von Mahsa Jina Amini (†22) am 16. September letzten Jahres statt. Die junge Frau war drei Tage zuvor festgenommen worden, weil sie kein Kopftuch trug.
Die Situation erinnert in der Schweiz an einen Auftritt der damaligen Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (77) von 2008: Bei einem Besuch im Iran hatte sie ebenfalls ein Kopftuch getragen, wofür sie heftig kritisiert worden war. Allerdings handelte es sich dabei um ein locker umgeschlagenes Kopftuch und nicht um einen Tschador, also ein traditionelles iranisches Frauengewand, wie es Olivieri Lozano trug.
Calmy-Rey spricht von fragwürdigem Zeichen
Calmy-Rey war damals im Iran, um ein Abkommen zu unterzeichnen. Das Kopftuch zu tragen, sei «sehr schwierig» für sie gewesen, erinnert sie sich gegenüber Blick. Aber es sei die Bedingung für das Treffen gewesen. Ein Treffen, an dem auch die Schweizer Position zum Thema Menschenrechte besprochen worden sei.
Den Tschador zu tragen, sei wohl auch jetzt eine Bedingung für die Schweizer Botschafterin gewesen, so Calmy-Rey. Dennoch kritisiert die alt Bundesrätin Olivieri Lozanos Besuch. Diese habe damit «ein fragwürdiges Zeichen» gesetzt. Und Camy-Rey doppelt nach: «Ich hätte darauf verzichtet.»
Kopfschütteln von links bis rechts
Auch bei den hiesigen Aussenpolitikerinnen und -politikern löst der verschleierte Auftritt der Schweizer Diplomatin Kopfschütteln aus. So zum Beispiel bei Basler Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan (42). Angesichts der Bedingungen, die momentan im Iran herrschten, beurteilt Arslan den Besuch in dieser Form als schwierig.
Das Gespräch zu suchen und Wege zu finden, damit die Menschenrechte eingehalten werden, sei wichtig. Aber es dürfe nicht sein, dass die Schweiz sich dabei den Strukturen des iranischen Regimes übermässig anpasse, so Arslan: «Die Diplomatie müsste momentan ruhig hinter den Kulissen geführt werden.»
Stille Diplomatie erwünscht
Ähnlich tönt es bei bürgerlichen Aussenpolitikern. Franz Grüter (59), Luzerner SVP-Nationalrat und Präsident der Aussenpolitischen Kommission sagt: «Ich verstehe den Auftritt in der Öffentlichkeit nicht.» Auch er äussert den Wunsch nach einer «stillen Diplomatie». «Natürlich hat die Schweiz ein Schutzmachtmandat und kann Gespräche nicht einfach abbrechen, aber ich rate Diplomaten trotzdem zu grösster Zurückhaltung», sagt er. Öffentliche Auftritte seien momentan fehl am Platz und würden «Öl ins Feuer giessen».
Parteikollege Roland Rino Büchel (57) spricht von einem «Eiertanz». Bei jeder Art solcher Besuche müsse man sich fragen, ob man nicht besser darauf verzichten sollte – vor allem in der jetzigen Situation, so der St. Galler Nationalrat. Denn: «Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Auftritt von der Gegenseite instrumentalisiert wird, ist gross.»
Propaganda im Netz
Dies ist tatsächlich der Fall. Auf den sozialen Medien finden sich Beispiele dafür, dass Teheran mit dem Auftritt der Schweizer Botschafterin Propaganda betreibt. Das Aussendepartement verteidigt diesen jedoch.
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Der Besuch Olivieri Lozanos habe einer akademischen Institution gegolten, die im Bereich des interreligiösen Dialogs tätig sei. Dieser sei «im aktuellen Kontext von grosser Bedeutung». In diesem Zusammenhang habe ein kurzer Besuch einer wichtigen religiösen Stätte stattgefunden. Beim Besuch dieser sei das dort geltende Bekleidungs-Protokoll für Frauen eingehalten worden. Und: Die Schweiz würde alle vorhandenen Kanäle nutzen, um den Dialog zu fördern, so auch zwischen Staaten im Rahmen ihrer guten Dienste.
Botschafterin Olivieri Lozano war für Blick nicht erreichbar.