Was Martin Bäumle (56) berechnet hat, besorgt ihn: Steigen die Corona-Fallzahlen weiter wie in den vergangenen Wochen, würde die Schweiz Ende Jahr täglich über 2000 Corona-Infektionen registrieren – rund viermal mehr als heute. Angesichts seiner eigenen Zahlen ist sich der GLP-Nationalrat fast sicher: «Ohne regionale Lockdowns wird es nicht gehen.» Ausser, Bund und Kantone handeln jetzt.
Bäumle sitzt auf einem Sessel in den Gängen des Bundeshauses und klickt sich auf seinem Laptop durch Grafiken. Schon im Frühling hat der Chemiker und Atmosphärenwissenschaftler ein Modell entwickelt, um den Verlauf der Pandemie zu berechnen. «Die Prognosen haben ziemlich genau gestimmt», sagt der Zürcher. In den vergangenen Wochen habe er gemeinsam mit einem Team das Modell verfeinert – basierend auf internationalen Studienergebnissen und im Austausch mit Experten wie dem Epidemiologen Christian Althaus.
«Das Virus ist eine berechenbare Grösse»
Der Grünliberale ist seit jeher ein Zahlennarr. Stets hat er eine Excel-Tabelle zur Hand, um seine Argumente zu untermauern – oder um die Erfolgschancen seiner Partei zu berechnen.
Bäumle ist überzeugt: Das Coronavirus ist inzwischen «eine simple mathematisch berechenbare Grösse». Anfangs hätten Daten gefehlt, aber nun lägen diese zur Genüge vor, sagt er. So gäbe es nun zum Beispiel Studien zur Berechnung der Dunkelziffer von Corona-Ansteckungen – jedenfalls im Ausland.
Nicht aber in der Schweiz und nicht beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). «Ich habe keine Ahnung, worauf das BAG seine Entscheide genau abstützt.» Bäumle hat den Eindruck gewonnen, dem Amt fehle es an einer verlässlichen Zahlenbasis.
Und tatsächlich: Auf Anfrage räumt das BAG ein, «keine mathematischen Modelle zum Verlauf der Epidemie» zu erstellen. Man werde aber regelmässig von der wissenschaftlichen Taskforce beraten.
Bäumle fordert viel mehr Tests
Was die Wissenschaftler raten, ist allerdings das eine – was der Bund davon dann umsetzt, das andere. So hat die Taskforce bereits im Juni empfohlen, an den Flughäfen ein strengeres Kontrollregime einzuführen. Das BAG hält es aber weiterhin nicht für sinnvoll, alle Einreisenden zu testen.
Darum geht Bäumle an die Öffentlichkeit: Testen, testen, testen – das ist auch aus seiner Sicht das einzig richtige Vorgehen. Ginge es nach ihm, sollte sich die Schweiz an Zypern orientieren: Je nach Abflugsort müssen Einreisende dort einen negativen Corona-Test vorweisen. «Zudem testen die Behörden stichprobenartig ganze Flugzeuge oder Restaurants, um einen besseren Überblick über die Verbreitung des Virus zu erhalten», erzählt Bäumle. Auf der Mittelmeerinsel entdecken die Behörden so Infizierte, die bei uns heute unerkannt bleiben.
Personen, die auf dem Landweg einreisen, sollen online eine Selbstdeklaration ausfüllen müssen, ist ein weiterer Punkt auf Bäumles Masterplan. Er plädiert für den Einsatz von Schnelltests und eine Verkürzung der Quarantänepflicht, wenn ein Test negativ ausfällt. Auch Finanzminister Ueli Maurer (69, SVP) hat sich jüngst für eine kürzere Quarantäne und mehr Tests ausgesprochen. Damit man das Virus in den Griff bekomme, müsse aus Sicht Bäumles ausserdem das Contact Tracing schneller werden.
«Warum wird kein Tesla verlost?»
Der frühere GLP-Präsident ist darüber hinaus ein vehementer Verfechter der Covid-App. Am liebsten wäre ihm, dass nur noch in Clubs und Bars dürfte, wer die App aktiviert hat. Diese Forderung hat im Parlament aber keine Chance. Dieses hat explizit im Gesetz festgehalten, dass niemand benachteiligt werden darf, wenn er die App nicht benutzt. Dann müsse man halt mit Anreizen arbeiten, sagt Bäumle. «Warum», schlägt er vor, «wird zum Beispiel kein Tesla unter den aktiven Usern verlost?» Etwas mehr Daten auf der App oder andere Spielereien bringen laut dem Politiker wenig.
Dabei gelte es, jetzt zu handeln. Ihm geht es darum, die Neuansteckungen auf den Winter hin so gering wie möglich zu halten. Denn wenn die Grippesaison starte und die Leute den Pfnüsel haben, sei die Situation mit hohen Corona-Zahlen fast nicht mehr zu bewältigen. Davor warnen auch Experten. Plötzlich müsse man wieder zu neuen regionalen Lockdowns mit hohen Kosten für die Wirtschaft greifen. Das will Bäumle verhindern.
Bisher hat man nicht auf ihn gehört – und jetzt?
Er hat drei Szenarien berechnet: Wie sich die Situation entwickelt, wenn die Zahlen wie in den vergangenen Wochen zunehmen, wie es aussehen könnte, wenn seine Vorschläge umgesetzt würden – und ein Worst-Case-Szenario.
Im zweiten Szenario könnte die Zahl der Neuansteckungen nach seinen Berechnungen massiv gedrückt werden – auf gut 300 bis Anfang November und klar unter 100 im Winter. «Bereits kleine Schritte hätten einen sehr grossen Effekt», gibt er zu bedenken. Bäumle hofft deshalb, dass man nun endlich auf Leute wie ihn hört. Und wenn nicht, dann sei es halt so. «Ich will einfach nicht, dass später jemand sagen kann, er hätte es nicht gewusst.»
Herunterladen, aktivieren – und vergessen. Die Swiss-Covid-App, die einen warnt, wenn man in den letzten 14 Tagen in Kontakt mit Corona-Infizierten war, läuft vor allem im Hintergrund. Jetzt will das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die App attraktiver machen und so die Nutzerzahlen von aktuell 1,6 Millionen steigern.
Neu soll die App interaktiver werden, wie Mathias Wellig von der Entwicklerfirma Ubique erklärt: So könne man die App teilen oder aktuelle Fallzahlen und gemeldete Covid-Codes nachschauen. Während die App datenlastiger wird, ist das BAG bei der schweizweiten Übersicht noch immer etwas im Blindflug. Auf Seiten des Bundes steht zwar inzwischen die Datenbank, mit der alle Contact-Tracing-Informationen aus den Kantonen gesammelt werden sollen, wie Sang-Il Kim vom BAG sagt.
Doch die Informationen aus den Kantonen, mit denen die Datenbank gefüttert werden soll, fliessen noch nicht überall. Bis es schweizweit so weit ist, wird es laut Kim noch bis Mitte Oktober dauern. Vorerst keine Änderung gibt es in Sachen Quarantäne bei der Einreise aus einem Risikoland. Es bleibt bei zehn Tagen – auch wenn der Bundesrat über eine Verkürzung diskutiere, wie Finanzminister Ueli Maurer (69) sagte. Gianna Blum
Herunterladen, aktivieren – und vergessen. Die Swiss-Covid-App, die einen warnt, wenn man in den letzten 14 Tagen in Kontakt mit Corona-Infizierten war, läuft vor allem im Hintergrund. Jetzt will das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die App attraktiver machen und so die Nutzerzahlen von aktuell 1,6 Millionen steigern.
Neu soll die App interaktiver werden, wie Mathias Wellig von der Entwicklerfirma Ubique erklärt: So könne man die App teilen oder aktuelle Fallzahlen und gemeldete Covid-Codes nachschauen. Während die App datenlastiger wird, ist das BAG bei der schweizweiten Übersicht noch immer etwas im Blindflug. Auf Seiten des Bundes steht zwar inzwischen die Datenbank, mit der alle Contact-Tracing-Informationen aus den Kantonen gesammelt werden sollen, wie Sang-Il Kim vom BAG sagt.
Doch die Informationen aus den Kantonen, mit denen die Datenbank gefüttert werden soll, fliessen noch nicht überall. Bis es schweizweit so weit ist, wird es laut Kim noch bis Mitte Oktober dauern. Vorerst keine Änderung gibt es in Sachen Quarantäne bei der Einreise aus einem Risikoland. Es bleibt bei zehn Tagen – auch wenn der Bundesrat über eine Verkürzung diskutiere, wie Finanzminister Ueli Maurer (69) sagte. Gianna Blum