Mehr Freiheit, weniger Ökologie?
Nach Gössi-Rücktritt beginnt der Machtkampf in der FDP

Petra Gössi hat die FDP als Parteichefin auf Ökokurs getrimmt und ist damit an der Urne gescheitert – auch bei einem grossen Teil des Freisinns. Politische Gegner sitzen auch in der eigenen Fraktion. Dort geht nun der Machtkampf um die Ausrichtung der Partei los.
Publiziert: 15.06.2021 um 00:15 Uhr
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Aktualisiert: 15.06.2021 um 06:49 Uhr
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FDP-Chefin Petra Gössi tritt vom Chefposten zurück.
Foto: Keystone
Ruedi Studer, Aline Leutwiler, Sermîn Faki und Daniel Ballmer

FDP-Chefin Petra Gössi (45) tritt nach dem CO2-Gesetz-Debakel zurück. Die freisinnige Basis hat ihre Präsidentin bei einer Prestigefrage hängen lassen. Mitten im Wahljahr 2019 trimmte die Schwyzerin ihre Partei auf einen ökologischeren Kurs. Zum Ärger des rechten Wirtschaftsflügels. So stellten sich etwa der Nationalrat Christian Wasserfallen (39, BE) und Ständerat Thierry Burkart (45, AG) gegen die Neuausrichtung.

Doch im Abstimmungskampf um das CO2-Gesetz hielten sich die Kritiker auffällig zurück. Im gegnerischen Komitee waren kaum freisinnige Exponenten zu finden. Die Partei hatte die Vorlage zum strategischen Geschäft erklärt. Abweichler sind in solchen Fällen unerwünscht.

Der Druck auf die Kritiker war riesig – Druck, der nun entweicht. Beim CO2-Gesetz zeigt sich: Beim Klimaschutz ist die Basis zwar für hehre Ziele zu haben, bei den konkreten Umsetzungsmassnahmen hapert es aber. Ein tiefer Graben zieht sich durch die Partei. Ein Graben, bei dem es nicht nur um den Ökokurs geht. Auch beim EU-Rahmenabkommen hat es kräftig im Gebälk geknirscht. Die freisinnige Europa-Politik liegt nach dem Nein durch die eigenen beiden Bundesräte in Scherben.

Ihr Rücktritt habe mit der Öko-Niederlage an der Urne nichts zu tun, beteuert Gössi im Blick-Interview. Das Abstimmungsresultat hat ihr den Abgang aber zusätzlich erleichtert. Denn es gab auch andere Gründe, weshalb sie genug hatte: Gössi wurde hinter den Kulissen hart attackiert, von einer «Hexenjagd» spricht ein Insider. Der libertäre Flügel – insbesondere auch aus dem Jungfreisinn – habe sie nicht nur politisch, sondern auch persönlich angegriffen. Die Fraktion sei ein disziplinloser Haufen, meint ein anderer hinter vorgehaltener Hand.

Jungfreisinn für «klar liberalen» Kurs

Augenfällig ist jedoch: Nach dem Abstimmungsdebakel sieht sich die Parteirechte gestärkt. Ein spannender Machtkampf um die Ausrichtung der Partei ist damit vorprogrammiert.

Die Jungfreisinnigen packen den anstehenden Schlagabtausch dabei in flauschige Worte. «Petra Gössi ermöglicht dem neuen Präsidenten eine Neuausrichtung vor den Wahlen», sagt ihr Chef Matthias Müller. Seine knallharte Forderung aber: ein «klar liberaler» Kurs. «Man sollte sich auf die ewigen Werte Freiheit und Verantwortung besinnen.» Bei der Nachfolge wollen die Jungfreisinnigen ein gewichtiges Wörtchen mitreden. «Wir sind sicher mit dabei, und unsere Stimmen können ausschlaggebend sein.»

Für FDP-Nationalrat Marcel Dobler (40, SG) ist klar, dass es nun eine «parteiinterne Auslegeordnung braucht, was wir in den nächsten vier Jahren machen wollen». Dabei müsse geklärt werden, was organisatorisch und inhaltlich geändert werden müsse. Er selbst stellte sich gegen das Rahmenabkommen und auch gegen das CO2-Gesetz.

Nun will er jemanden an der Spitze, der die Partei eint. Und er möchte ebenso auf Themen setzen, welche die Partei einen – «bei welchen wir geschlossen vorwärtsgehen können, wie beispielsweise bei der AHV», so Dobler. Eine Rückkehr zum alten Slogan «Mehr Freiheit – weniger Staat» also.

Fiala wettert über Libertäre

«Wir müssen uns für unsere ökologische Haltung sicher nicht schämen. Es darf aus meiner Sicht keinen Kurswechsel geben!», sagt hingegen FDP-Nationalrätin Doris Fiala (64, ZH). Sie glaubt, dass Gössi den Zeitpunkt für ihre Rücktrittsankündigung nicht zufällig gewählt habe und das Nein zum CO2-Gesetz ein Faktor gewesen sei. Aber: «Ich hoffe, wir lassen uns nicht von ein paar Libertären unter Druck bringen! Gössis Rücktritt muss uns denn auch ein Weckruf sein.»

Fiala erinnert an das freisinnige Motto, das die Partei seit Jahrzehnten begleitet: «Freiheit und Verantwortung». Zur Verantwortung gehöre eben auch die ökologische Verantwortung. «Wir sollten den Klimawandel nicht kleinreden und können uns auch nicht dem neuen Zeitgeist entziehen. Der Klimawandel ist kein Schauermärchen, sondern real.»

Feld nicht Grünen und GLP überlassen

Deshalb braucht es aus Sicht Fialas neue Wege zur Lösungsfindung: «Wir müssen dabei stärker mit einem Bonussystem für umweltfreundliches Verhalten überzeugen. Ich möchte das Feld keinesfalls nur Grünen und Grünliberalen überlassen!» In diesem Sinn habe sie einen entsprechenden Vorstoss von Parteikollege Hans-Peter Portmann (58, ZH) unterzeichnet, der den Umweltschutz-Verfassungsartikel positiv abändern wolle.

Allzu hochkochen wollen andere wiederum den abrupten Abgang Gössis und dessen Folgen aber nicht. Zu ihnen gehört FDP-Ständerat Andrea Caroni (41, AR). «Für mich ist die Präsidiumswahl kein eigentlicher Richtungsentscheid», meint er. «Ein Parteipräsident muss ohnehin die verschiedenen Strömungen innerhalb der Partei integrieren und nach aussen tragen.»

Jetzt redet Petra Gössi
4:21
Nach Rücktritt:Jetzt redet Petra Gössi
Schwyzerin tritt ab

Die 45-jährige Schwyzer Juristin Petra Gössi, die am Montag ihren Rücktritt von der Spitze der FDP bekannt gegeben hat, hatte das Präsidentenamt seit 2016 inne. Die Nachfolgerin des Aargauers Philipp Müller (68) als Chefin der Freisinnigen sitzt seit 2011 im Nationalrat. (pt)

Die 45-jährige Schwyzer Juristin Petra Gössi, die am Montag ihren Rücktritt von der Spitze der FDP bekannt gegeben hat, hatte das Präsidentenamt seit 2016 inne. Die Nachfolgerin des Aargauers Philipp Müller (68) als Chefin der Freisinnigen sitzt seit 2011 im Nationalrat. (pt)

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