Letzte Woche hatte Alain Berset (49) nicht einmal den Antrag gestellt – nun kommt die Zertifikatspflicht in Restaurants, Fitnesscenter, Kinos und Museen schneller als gedacht. Ab Montag schon müssen über 16-Jährige an vielen öffentlich zugänglichen Orten nachweisen, dass sie geimpft, genesen oder getestet sind.
Konkret gilt die Zertifikatspflicht:
in Innenbereichen von Bars und Restaurants, auch von Hotels
in Freizeit-, Sport- und Unterhaltungsbetrieben wie Theater, Kinos, Casinos, Schwimmbäder, Museen, Zoos etc.
bei Veranstaltungen drinnen (Konzerte, Sportveranstaltungen, Vereinsanlässe, Privatanlässe wie Hochzeiten, die nicht in Privaträumen stattfinden)
Explizit ausgenommen sind:
Veranstaltungen mit unter 30 Personen, wie Sporttrainings oder Musikproben
Religiöse Veranstaltungen, Bestattungen, Veranstaltungen zur politischen Meinungsbildung – sofern diese weniger als 50 Teilnehmer haben
Sitzungen von Parlamenten und Gemeindeversammlungen
der öffentliche Verkehr, der Detailhandel sowie der Transitbereich von Flughäfen
private Veranstaltungen in privaten Räumlichkeiten bis 30 Personen
personenbezogene Dienstleistungen wie etwa Coiffeursalons
Im Arbeitsleben sind die Regeln komplizierter: Es gibt zwar keine Zertifikatspflicht, doch Arbeitgeber dürfen das Zertifikat verlangen – etwa, um die Maskenpflicht aufheben zu können. Angestellte, die kein Zertifikat vorweisen können, können ins Homeoffice geschickt werden. Bevor ein Unternehmen allerdings solche Regeln einführen kann, müssen die Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, dazu Stellung zu beziehen.
Mehr Freiheit dank Zertifikat
«Wir wollen eine weitere Belastung des Spitalwesens vermeiden und neue Schliessungen von Betrieben verhindern», erklärte Bundespräsident Guy Parmelin (61) den Entscheid. Er betonte, dass mit dem Zertifikat auch neue Freiheiten lockten – so entfalle etwa die Maskenpflicht in Restaurants, Stadien und Theatern.
Und er machte klar, dass Ungeimpfte nicht vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen würden – sie könnten sich testen lassen. Allerdings müssen sie den Test ab 1. Oktober selbst bezahlen, das hatte der Bundesrat schon früher beschlossen. Parmelin verteidigte das Ende der Gratis-Tests: «Ungeimpfte hatten genug Zeit, sich impfen zu lassen», sagt er. Berset sekundierte: «Die Frage ist, wie lange die Gesellschaft für den persönlichen Entscheid, sich nicht impfen zu lassen, aufkommen soll.»
Berset kommt ins Schlingern
Dennoch stellt sich die Frage: Warum jetzt, wo sich die Situation in den Spitälern – und das hatte Gesundheitsminister Alain Berset (49) vor einer Woche als Grund auf den Verzicht angegeben – kaum geändert hat? Berset konnte darauf keine wirklich zufriedenstellende Antwort geben. Er verwies darauf, dass die Zahl der Neuinfektionen wieder ansteige, man wolle kein Risiko eingehen. «Wir können uns keine Verdopplung der Fälle leisten.»
Die Spitäler seien nahezu ausgelastet, auf den Intensivstationen würden Covid-Patienten um ihr Leben kämpfen – 90 Prozent davon seien nicht geimpft, viele zwischen 30 und 50 Jahren. «Das ist schon ein Unterschied zu den vorherigen Wellen», so Berset. «Und das ist nicht positiv.»
Insbesondere, weil die wirklich heikle Jahreszeit erst vor der Tür stehe. Der Herbst werde eine grosse Herausforderung, so Berset. Er geht davon aus, dass die Infektionen deutlich steigen werden.
Impf-Appelle von ganz oben
Und der Gesundheitsminister nutzte das für einen eindringlichen Impf-Appell: «Wenn wir jetzt nochmal einen Monat lang so schnell und so gut impfen wie im Juni, dann können wir es schaffen.» Sollten wir hingegen noch länger zögern, liesse sich eine Verschlechterung der Lage nicht mehr verhindern.
Worauf Berset anspielt: Die volle Schutzwirkung der Impfung setzt erst sechs Wochen nach dem ersten Piks ein – zuwarten könnte bedeuten, dass sich im Oktober, November nochmals viele Menschen infizieren und schwer erkranken. «Wir haben es selbst in der Hand», so Berset.
Auch Parmelin nannte die Impfung den «Königsweg aus der Pandemie» und Lukas Engelberger, oberster Gesundheitsdirektor im Land, wandte sich direkt an die Ungeimpften: «Mit Abwarten und Zweifeln verlängern Sie die Krise. Werden Sie Teil der Lösung.» Er kündigte an, dass die Kantone ihre Kampagnen intensivieren würden.
Es drohen hohe Bussen – und sogar die Schliessung
Die vom Bundesrat beschlossene Ausdehnung der Zertifikatspflicht gilt befristet bis zum 24. Januar 2022. Die Landesregierung kann sie aber schon früher aufheben, wenn sich die Lage in den Spitälern entspannt. Und sie wird es sich auch nicht nehmen lassen, sie zu verlängern, wenn Ende Januar keine Besserung in Sicht ist.
Wer sich der Pflicht widersetzt, kann mit einer Busse von 100 Franken (etwa ein schummelnder Restaurant-Gast) beziehungsweise bis zu 10'000 Franken (ein sich widersetzender Wirt) bestraft werden. Wie hart durchgegriffen wird, entscheiden aber die Kantone. Diese können sogar noch weiter gehen – und Betriebe, die sich gegen die Kontrolle des Zertifikats wehren, schliessen!
Im Hinblick auf die Herbstferien will der Bundesrat zudem das Einreiseregime verschärfen. Wer weder genesen noch geimpft ist, soll vor Einreise in die Schweiz einen negativen Test vorlegen müssen – und diesen nach vier bis sieben Tagen wiederholen. Oder aber, so die Variante 2, sich zwingend in Quarantäne begeben müssen. Beide Vorschläge schickt der Bundesrat nun bei den Kantonen in Konsultation. Nächste Woche wird er entscheiden.