Es gibt ein Wort, das die Gesellschaft spaltet: gendern. Carolin Kech (18) hat erlebt, wie heftig darüber diskutiert wird. «Mehrere Abende mit Freunden sind sehr unschön ausgegangen», sagt die Maturandin. Auch in ihrer Schule würden sich die Fronten verhärten, sobald gendergerechte Ausdrücke zur Sprache kämen. «Das bedrückt mich und stimmt mich nachdenklich», sagt sie.
Über diese verhärteten Fronten sprach Kech am 1. August. Und das nicht irgendwo: An der offiziellen Bundesfeier der Stadt Zürich im Grossmünster. Es war ihre erste grosse Rede, vor so vielen Leuten: Zum ersten Mal am 1. August. Eine grosse Herausforderung, gibt sie zu. «Es ist beängstigend aber auch sehr spannend.» In der Schule würde sie vor Gleichaltrigen sprechen, hier auch vor vielen älteren Zuschauern.
«Wir müssen andere Meinungen tolerieren»
Zur Rede eingeladen hat sie der Schulleiter vom Gymnasium Stadelhofen. Das Thema der Rede konnte Kech frei wählen und das wollte die Maturandin nutzen. So sprach sie über die Polarisierung in der Gesellschaft, die sie als Gefahr für die Demokratie betrachtet. Erst in den vergangenen Tagen hat eine Studie Schlagzeilen gemacht, in der es genau um diese Polarisierung geht.
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Um die gesellschaftliche Spaltung zu behandeln, standen Kech fünf Minuten zur Verfügung. Aus Sicht der jungen Frau werden politische Debatten verunmöglicht, wenn alle in der eigenen Blase leben. Es beunruhigt sie, dass ein falsches Wort eine sachliche Diskussion verunmöglichen kann. Denn eigentlich sei es wichtig, sich in andere Lebensrealitäten einzufühlen. «Nicht alle, die rechts wählen, sind schlecht», sagt die 18-Jährige. Mit ihrer Rede will sie das gegenseitige Verständnis fördern. «Wir müssen andere Meinungen tolerieren, auch wenn wir sie nicht gut finden», sagt sie.
Ihre Kritik richtet sie auch an die Linken – obwohl sie selbst in der Juso ist. Kech bemängelt: «Einige in der linken Szene haben den Anschluss an die Realität verloren.» Diese Leute meinten, sie würden den Kapitalismus bekämpfen, wenn sie das Schaufenster eines Uhrmachers zertrümmern. Doch: «Der trägt doch keine Schuld am System», sagt sie.
Die Maturandin kämpft gegen «soziale Eliminierung»
Kech bezeichnet die Abschottung von Andersdenkenden als «soziale Eliminierung». Damit meint sie, dass man mit gewissen Leuten keinen Kontakt mehr pflegt. Sie gesteht, dass sie ebenfalls schon den Dialog verweigert hat. Zum Beispiel, wenn jemand behauptet, Feminismus sei überflüssig, da alle bereits gleichgestellt seien. Trotzdem versuche sie, den Dialog zu suchen und dazu will sie auch in ihrer Rede aufrufen.
An den einzelnen Formulierungen hat sie lange gefeilt. Nicht, weil sie sich vor Kritik fürchtet. Sondern, weil sonst niemand zuhöre. Denn an der Bundesfeier nimmt ein tendenziell eher konservatives Publikum teil. Und Kech möchte nicht als «die junge Linke» abgestempelt werden. Sollte Kritik aufkommen, ist sie entschlossen, diese auszuhalten – ganz im Sinne ihres Kampfes gegen die Polarisierung.
Viel Lob
Doch von Kritik war im Anschluss nicht viel zu hören. «Die Rede war ausgezeichnet», sagt Ursi Klein (57) aus Zürich. «Es war sehr mutig, sehr viele eigene gute Gedanken. Chapeau!» Eveline Scherrer (72) ist gleicher Meinung. «Die Frau hat mir total aus dem Herzen gesprochen. Die würde ich engagieren, um bei uns eine Predigt zu halten.»
Kech selbst ist erleichtert. «Ich habe es ausgeblendet, dass da so viele Leute zuschauen.» Der Auftritt sei ihr eher lange vorgekommen. «Ich hatte eigentlich gedacht, es ginge schneller.» Sie würde es wieder machen. «Ich hätte anscheinend zu schnell gesprochen, wurde mir gesagt», sagt sie lachend. «Das war der Nervosität geschuldet.» Eine grosse 1. August-Feier gab es für Kech danach nicht. «Ich gehe nachher nach Hause und feiere mit meiner Familie zusammen.» Die ist extra für die erste grosse Rede aus Deutschland nach Zürich gereist.