Darum gehts
Der Umgang von Journalisten mit Bundesratssprechern ist heikel. Der Leiter der Ringier Journalistenschule Peter Hossli (56) beschreibt in seinem 2018 erschienenen Buch «Die erste Miete ging an die Mafia», wie er im Bundesratsjet auf dem Flug nach Russland die damalige Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf (69) interviewte. Nach der Landung in Moskau zoffte er sich mit deren Sprecherin Brigitte Hauser-Süess (70) – sie bestand darauf, dass eine politisch heikle Kritik an den USA gestrichen werde. Zuerst bot Hauser-Süess Hossli das Du an. Dann drohte sie ihm, er könne nicht im Bundesratsjet zurückfliegen, sollte er auf der brisanten Aussage bestehen. Hossli gab nach – und bereut es in seinem Buch. Schliesslich regelt Artikel 17 der Bundesverfassung: «Zensur ist verboten.»
Umso brisanter ist eine Schulposse, die sich am Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Gymnasium Rämibühl in Zürich abspielt. Wie die «NZZ» enthüllte, lag im Foyer eine Maturaarbeit aus. Auf dem Titelblatt stand in roten Grossbuchstaben: «ZENSIERTE AUSGABE». Und weiter: «Die schriftliche Arbeit sowie der Dokumentarfilm wurden durch den Rechtsdienst des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) zensiert. Die Einsicht der Maturitätsarbeit kann bei der Schulleitung des MNG Rämibühl angefragt werden.»
Ein Filmplakat zeigt SP-Bundesrat Beat Jans (60) – und stellt die Frage: «Wirkt der Neubundesrat Beat Jans authentisch?» Die Maturandin hält fest: «Geplant als Analyse von aussen – gelandet mitten im politischen Hickhack. Interview-Rückzug, Rechtsberatung und Machtspiele statt offenen Dialogs. Wenn eine Maturitätsarbeit zeigt, was politische Kommunikation lieber verbirgt.» Auf dem Filmplakat werden SRF-Sprechcoach Daniela Wassmann, SRF-Dokumentarfilmerin Kathrin Winzenried (52) und SP-Sprecher Nicolas Haesler angekündigt – sowie Jans’ Sprecher Oliver Washington, langjähriger SRF-Radiomann.
Kommentar zu Asylvorstössen der SVP
Hat der Jans-Flüsterer tatsächlich einen Film zensiert – und wenn ja: warum? Recherchen von Blick zeigen: Für Ärger sorgte eine Filmszene, in der Oliver Washington kommentierte, dass 220 Asyl-Vorstösse der SVP bis ins Jahr 1995 zurückreichten. Die Szene sei nicht im Filmmanuskript enthalten gewesen, das Washington abgesegnet habe – sei aber plötzlich im Film aufgetaucht. Die Rektorin habe dann entschieden, dass die Szene raus müsse. Hinzu kommt eine weitere Szene, in der SRF-Dokumentarfilmerin Kathrin Winzenried Washingtons Verhalten als «unprofessionell» beurteilt. Nach journalistischem Verständnis hätte Washington die Möglichkeit erhalten müssen, auf diesen Vorwurf zu reagieren – in einem subjektiven Dokumentarfilm hingegen ist vieles erlaubt.
Oliver Washington teilt mit: Er sei mit den Eltern der Schülerin befreundet. Er habe ihr einen Gefallen machen wollen und eine klare Abmachung getroffen: Sie dürfe alles filmen, allerdings dürfe er im Gegenzug Aussagen zurückziehen. Und der Film sei nicht zur Veröffentlichung bestimmt. «Die Schülerin hat sich nicht daran gehalten und eine Veröffentlichung vorgesehen, indem die Arbeit in der Bibliothek der Schule zugänglich sein sollte. Zudem hat sie den Rahmen des anfänglich präsentierten Konzepts verlassen», teilt Washington mit. Deshalb habe er die Schulleitung gebeten, den Film nicht zu veröffentlichen. «Daraufhin hat die Schulleitung in Absprache mit der Schülerin und ihrem Betreuer entschieden, dass gewisse Passagen gestrichen werden sollen. Von Schwärzungen war nie die Rede.»
Die Schulleitung spricht von «Missverständnissen»
Schulleiterin Susanne Kalt bestätigt, dass die Schwärzungen von der Schülerin selbst stammen. In einer Stellungnahme ist von «Missverständnissen zwischen dem Kommunikationschef des EJPD und der Schülerin» die Rede. Auf Bitte des Kommunikationschefs habe die Schulleitung entschieden, die Arbeit nicht in der Schulmediothek aufzulegen und den Film nur in zwei kurzen Ausschnitten zu zeigen. «Es handelt sich dabei nicht um einen Zensureingriff seitens des EJPD.» Zugleich schreibt die Schulleiterin: «Aus Sicht des Betreuers der Schülerin hat sie die Abmachungen in Bezug auf den Umgang mit Zitaten, Bild- und Tonaufnahmen eingehalten.»
Wer hat nun recht – der Lehrer oder Oliver Washington? Für Aussenstehende lässt sich das nicht sagen. Oliver Washington hat den Maturafilm inzwischen ohne Einschränkungen freigegeben. Ob und wie der Film zu sehen sein wird, ist unklar – Medienanfragen blieben sowohl von der Schülerin als auch von der Schulleiterin unbeantwortet.
«Erziehung zu kritischem Denken»
Was ein Film ins Zentrum der Macht liefern kann und was nicht, dürfte die Schülerin auch von ihrer Mutter wissen. Sie arbeitet als Cutterin bei SRF – und hat einen Film über Jans’ SP-Kollegin Elisabeth Baume-Schneider (61) geschnitten. Ihren Eltern dankt die Schülerin in der Maturaarbeit für «Chai Latte und eine Erziehung zu kritischem Denken».