Schweizer Luftwaffe probt den Ernstfall mit Grossbritannien
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F/A-18-Kampfpiloten:Schweizer Luftwaffe probt den Ernstfall mit Grossbritannien

Luftwaffe könnte sonst einpacken
Darum kreisen Schweizer Kampfjets über Nordengland

55 Schweizer Kampfjet-Piloten bilden sich während rund einem Monat im britischen Leeming im Nachtflug weiter. Solche Auslandsaufenthalte sind für die Schweizer Luftwaffe notwendig.
Publiziert: 29.11.2022 um 09:04 Uhr
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Aktualisiert: 29.11.2022 um 09:54 Uhr
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In der Schweiz kann die Luftwaffe kaum Nachtflüge trainieren. Für moderne Armeen werden sie aber immer wichtiger.
Foto: Daniel Ballmer
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Daniel BallmerRedaktor Politik

Plötzlich ist das eigene Wort nicht mehr zu verstehen. Es ist laut, wenn die F/A-18-Kampfjets durch die dunkle Nacht über die Airbase Leeming donnern, sehr laut. Hier im Norden Englands trainiert die Schweizer Luftwaffe den Luftpolizeidienst in stockdunkler Nacht, Tiefflüge bis auf 1500 Meter hinunter oder die taktische Luftverteidigung.

Insgesamt 55 Piloten und 120 Angehörige des Bodenpersonals sind für vier Wochen nach Grossbritannien gereist, im Gepäck nicht nur zehn F/A-18, sondern auch Dutzende Container mit Material. Sie haben sich auf der weitläufigen Militärbasis ihr kleines «Schweizer Dörfli» eingerichtet.

Auslandsaufenthalt ist für Luftwaffe entscheidend

Der Himmel über Leeming ist wolkenverhangen. Über das Flugfeld weht ein eisiger Wind. Typisch englisches Wetter halt.

Das Trainingslager in Nordengland mit dem Namen Yorknite ist für die Kampfpiloten aber wichtig. Die Schweizer Luftwaffe absolviert hier rund die Hälfte ihres jährlichen Nacht- und Tiefflugtrainings. Der Grund dafür ist der Lärm: Herr und Frau Schweizer mögen es gar nicht, wenn Kampfjets nachts im Tiefflug über ihr Haus jagen.

In der Schweiz sind Nachtflüge daher nur im Winterhalbjahr von Oktober bis März möglich, an genau einem Abend pro Woche, von etwa 18 bis spätestens 22 Uhr. Mehr erlauben die Lärmschutzvorschriften nicht. Hinzu kommen der dichte zivile Luftverkehr sowie Höhen- und Tempo-Limiten.

«Vier Stunden pro Woche reichen nicht», stellt Luftwaffenkommandant Peter Merz (54). In der Schweiz kann die Luftwaffe ihr Nacht- und Tiefflugtraining so nicht nach international gültigen Standards trainieren. Ihre Piloten fliegen im Vergleich mit jenen der Nachbarstaaten nur etwa halb so viele Stunden bei Nacht. «Deshalb sind die Trainingswochen in Nordengland für uns entscheidend. Hier können wir jeden Abend trainieren.»

Möglich macht dies ein Abkommen mit Grossbritannien. Nach Trainings in Norwegen und Schottland fliegen die Schweizer Piloten seit 2019 von Leeming aus. Die 2800 Dorfbewohner sind vom ständigen Fluglärm zwar auch nicht begeistert. In Grossbritannien gelten aber viel weniger restriktive Regeln.

Briten loben die Schweizer über den Klee

Die Luftwaffenbasis der Royal Air Force ist schwer bewachtes militärisches Sperrgebiet. Die Infrastruktur aus dem Zweiten Weltkrieg ist etwas in die Jahre gekommen. Das stellt auch Divisionär Merz beim Besuch der sanitären Anlagen fest.

Die Basis bietet trotzdem ideale Bedingungen, die in der Schweiz kaum zu finden sind: grossräumige Übungsgebiete in günstiger Entfernung über der Nordsee und über dünn besiedelten Regionen. Die Piloten können hier viel tiefer fliegen.

«Die Schweizer Piloten sind sehr professionell, sagt Airbase-Kommandant Gareth Prendergast. Er lobt seine Gäste in den höchsten Tönen. Neben den Schweizern trainiert hier auch die katarische Luftwaffe. «Für uns ist die Zusammenarbeit sehr sinnvoll. Wir können gegenseitig profitieren.» Und wenn die Schweiz erst ebenfalls über die bestellten US-Kampfjets F-35 verfüge, werde die Kooperation noch effektiver.

Ihre Infrastruktur stellen die Briten der Schweizer Luftwaffe gratis zur Verfügung. Damit seien die Kosten nicht höher als jene des Flugdiensts in der Schweiz. Im Gegenzug können britische Soldaten in den Schweizer Alpen trainieren. Auch im Cyber-Bereich gebe es Kooperationen.

«Dann kann die Politik die Neutralität über Bord werfen»

Neutralitätspolitisch ist das für Luftwaffenkommandant Merz bedenkenlos. «Wir nehmen hier nur an Übungen teil. Es werden keine militärischen Geheimnisse geteilt», stellt er klar. Die Schweizer Kampfjets hätten nicht einmal scharfe Waffen an Bord. «Wir sind auf den Schutz der Briten angewiesen.»

Der Ukraine-Krieg aber hat die Diskussionen um die Schweizer Neutralität neu befeuert. Die Neutralitäts-Initiative der SVP könnte solche Auslandsaufenthalte der Armee künftig erschweren. Politisch äussert sich Merz nicht, gleichzeitig lässt er aber durchblicken: «Militärisch müssen wir kooperieren können. Sollte die Schweiz angegriffen werden, kann die Politik die Neutralität über Bord werfen.»

Für moderne Armeen seien Nachtflüge immer wichtiger, betont auch Yorknite-Kommandant Cyril Johner. Schlüsseloperationen fänden meist nachts statt. Die Schweizer Armee müsse fähig sein, das Land zu verteidigen. Das stehe so in der Bundesverfassung. «Wir sind hier, um die Schweiz zu schützen», sagt er. «Unsere Piloten müssen daher auch die Möglichkeit haben, die nötigen Fähigkeiten zu trainieren.»

Die letzten Worte sind kaum mehr zu verstehen. Erneut donnert eine F/A-18 im Tiefflug über die Militärbasis.

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