Der Angriff erfolgte in den frühen Morgenstunden. Eine Rakete traf am Mittwoch das Büro der Schweizer Stiftung für Minenräumung (FSD) in der ostukrainischen Stadt Charkiw. Sie soll laut den ukrainischen Behörden von Russland abgefeuert worden sein. Es gab keine Toten oder Verletzten.
Der Angriff trifft auch den Bund. Er ist einer der grössten Geldgeber der Stiftung. Und die Minenräumung eine der Prioritäten der Schweiz in der Ukraine.
Im Büro in Charkiw hatten rund 50 FSD-Angestellte ihren Arbeitsplatz – auch die Britin Eleanor Porritt. Sie ist Projektleiterin der FSD für die Ukraine. Blick erreicht sie vor einem Restaurant, in das sie und ihre Kollegen aufgrund des Raketenangriffs zum Arbeiten ausgewichen sind.
Frau Porritt, wie geht es Ihnen und Ihren Kollegen?
Eleanor Porritt: Alle sind geschockt. Neben den lokalen Teams sind alle internationalen FSD-Mitarbeiter, die in der Ukraine arbeiten, in Charkiw stationiert. In einem gewissen Mass sind wir uns Angriffe wie diese also gewohnt. Aber egal, wie oft man es erlebt, wird einem die Situation bei jeder Explosion wieder von Neuem bewusst.
Wie haben Sie vom Angriff erfahren?
Ich bin um 5.15 Uhr aufgewacht und dachte: Oh nein, wieder eine Explosion. Dann habe ich Nachrichten gekriegt, dass es unser Büro ist, das getroffen wurde. Das war ziemlich schockierend. Einsatzkräfte haben uns informiert, ausserdem war einer unserer Minenräumer schon früh da, weil er etwas vorbereiten wollte. Er war der Erste, der vor Ort war und uns Bescheid gab.
Was wäre, wenn es wenige Stunden später zum Angriff gekommen wäre?
Dann hätte es mit Sicherheit Verletzte gegeben und höchstwahrscheinlich Tote. Wir hatten unglaubliches Glück, dass nicht nur kein FSD-Personal, sondern auch keine Zivilisten in der Nähe waren. Und dass der Wachmann, der Tag und Nacht vor Ort ist, sich gerade in einem anderen Teil des Gebäudes befand.
Wie gross ist der Sachschaden?
Das Gebäude wurde schwer beschädigt. Der grösste Teil des Hauses ist nicht mehr nutzbar und nicht mehr sicher zu betreten. Schon seit einigen Monaten stellen wir unsere Fahrzeuge vorsichtshalber über Nacht etwas weiter weg ab, sodass nur einige wenige Autos beschädigt wurden.
Sie haben also mit einem Angriff gerechnet?
Im Februar kam es zu einem Luftschlag in der Nähe unseres Büros, bei einem Treibstoffdepot. Daraufhin haben wir unsere Sicherheitsprotokolle verschärft. Auch bei einer anderen Organisation wurde eine Reihe von Fahrzeugen beschädigt. Deshalb haben wir beschlossen, das Risiko zu minimieren – das hat sich offensichtlich ausgezahlt.
Gehen Sie davon aus, dass es sich um einen gezielten Angriff Russlands handelte?
Wir wissen das nicht, deshalb kann ich das nicht kommentieren. Wir sind eine humanitäre Organisation und sicherlich kein militärisches Ziel. Und wir sind ganz klar als solche gekennzeichnet. Ich weiss nicht, warum der Angriff erfolgte, aber für uns gibt es keinen Grund, warum wir ins Visier genommen werden sollten.
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Was bedeutet der Luftschlag für die Arbeit der FSD im Osten der Ukraine?
Ich habe das grosse Glück, mit unglaublich belastbaren, proaktiven Menschen zusammenzuarbeiten. Wir werden nun unser Büro provisorisch verlegen, bis wir ein neues Gebäude gefunden haben. Aber all die Minenräumungs- und anderen Teams werden ganz normal eingesetzt. Wir werden möglicherweise ein paar Tage verlieren, weil wir die Ausrüstung neu organisieren müssen. Ansonsten sind wir so gut wie startklar.
Gibt es Mitarbeitende, die sich aus Sorge vor weiteren Angriffen überlegen, ob sie weiterhin für FSD tätig sein wollen?
So wie ich das mitbekommen habe, sind die Mitarbeitenden nach dem Luftschlag sogar noch motivierter. Die ukrainischen Angestellten haben ein echtes patriotisches Pflichtbewusstsein für die Ukraine, und wir, die aus dem Ausland kommen, ebenfalls. Wenn überhaupt, dann würde ich sagen, dass der Angriff die Menschen wachrüttelt. Es mag Einzelne geben, die aus persönlichen Gründen beschliessen, nicht weiterzumachen. Aber im Grossen und Ganzen schweisst uns das nur noch mehr zusammen.