Die Anti-Armee-Aktivisten bringen ihr rhetorisches Geschütz in Stellung. Denn sie fühlen sich hintergangen. Was ihnen das Parlament einst versprochen hat, droht es nun wieder rückgängig zu machen. Konkret: Das Kriegsmaterialgesetz soll wieder gelockert werden.
So hat es die nationalrätliche Sicherheitskommission am Dienstag mit 14 zu 9 Stimmen beschlossen. Genauso wie der Ständerat in der Herbstsession. «Kommt der Vorstoss auch im Nationalrat durch, werden wir sicher das Referendum prüfen», sagt Anja Gada, die politische Sekretärin der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA).
Momentan darf der Bundesrat kein Kriegsmaterial an ein Land exportieren, das in einen bewaffneten Konflikt verwickelt ist. Doch die Bürgerlichen wollen das ändern. Sie fordern, dass die Landesregierung in solchen Fällen doch Kriegsmaterial ausführen kann. Allerdings nur, wenn ausserordentliche Umstände vorliegen. Und, wenn es darum geht, die aussen- oder sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz zu wahren.
Schweizer Umgang mit Kriegsmaterialexporten sorgt für Kritik
Schweizer Kriegsmaterial in einem Bürgerkrieg
Der Bundesrat erhielte somit einen grösseren Handlungsspielraum, der ihm vor zwei Jahren noch verwehrt wurde. Damals forderte die Korrektur-Initiative strenge Regelungen für den Waffenexport, nachdem Schweizer Kriegsmaterial in verschiedenen Kriegsgebieten gelandet war. Darunter im Jemen, wo ein Bürgerkrieg tobt. Um das in Zukunft zu vermeiden, sollte dem Bundesrat ein enges Korsett übergestülpt werden.
Mit Erfolg: Das Parlament verabschiedete 2021 einen Gegenvorschlag, der die zentralen Forderungen der Initianten aufnahm. Woraufhin diese das Volksbegehren zurückzogen. «Die Streichung der Sonderregelung für den Bundesrat war eine zwingende Bedingung», sagt Anja Gada von der GSoA. Ohne diese hätten sie an der Initiative festgehalten.
Links-Grün ist empört
Doch nun solle dieses «Versprechen» gebrochen werden. «Es ist ein Trick, um ein breit abgestütztes, humanitäres Anliegen auszuhebeln», sagt Gada. Das sei für die Schweiz demokratiepolitisch äusserst fragwürdig. Und: «Mittels der Lockerung würden einzig wieder Waffenlieferungen in Länder wie die Golfstaaten ermöglicht, wo schwerwiegende Menschenrechte verletzt werden.»
Empört zeigen sich auch die Grünen. Auch die SP prangert eine Aushebelung der Volksrechte an. Die Motion diene «einzig der Profitmaximierung der Rüstungsindustrie». Das gebe sogar der Bundesrat zu, betont die Partei.
«Lockerung hilft der Ukraine nicht»
Der Bundesrat hat diesen Vorwurf stets bestritten und darauf verwiesen, dass das Völkerrecht weiterhin gelte. Ebenso müssten die Kriegsmaterialexporte in Einklang mit dem Neutralitätsrecht stehen. In einem Krieg müsste die Schweiz somit beide Parteien beliefern – oder niemanden. Daraus schliesst die GSoA: «Die Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes hilft der Ukraine gar nichts.»
Doch den Befürwortern einer Lockerung geht es gar nicht darum, Kriegsmaterial an die Ukraine zu liefern. Vielmehr wollen sie, dass die heimische Rüstungsindustrie für das Ausland weiterhin attraktiv bleibt. Ansonsten seien die Betriebe finanziell bedroht. Und das wiederum gefährde die Versorgung der Schweizer Armee mit Rüstungsgütern.
«Wir haben schon in der Parlamentsdebatte vor 2021 vor solchen Szenarien gewarnt», sagt Mauro Tuena (51), Präsident der nationalrätlichen Sicherheitskommission. Mit dem Ukraine-Krieg hätten sie sich bewahrheitet und das müsse nun korrigiert werden. «Deswegen werden noch lange keine Waffen in den Jemen geliefert», sagt SVP-Nationalrat Tuena.
Geistliche protestieren – aber sind verängstigt
Anders sieht das Thomas Wallimann-Sasaki (58). Als Präsident von Justitia et Pax, eine Laienkommission der Schweizer Bischofskonferenz, sagt er: «Die Bürgerlichen nutzen jetzt die Weltsituation aus, um die Korrektur-Initiative vollständig rückgängig zu machen.» Damals hat die Bischofskonferenz das Volksbegehren unterstützt. Kann die GSoA nun wieder auf die Geistlichen zählen? Eher nicht, meint Wallimann. «Die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche ist aufgrund der Missbrauchsfälle im Keller.» Momentan sei die Kirchenführung eher verängstigt und ziehe sich zurück.
Auch das Hilfswerk Caritas lehnt eine Lockerung klar ab. «Wir setzen alles darauf, dass das Parlament der Kommission nicht folgt», sagt Geschäftsleitungsmitglied Andreas Lustenberger (37). Ob sie allenfalls ein Referendum unterstützen, müsse aber der Vorstand erst noch entscheiden. Das heisst: Die Bürgerlichen müssen mit Widerstand rechnen. Die GSoA allein kann kein Referendum stemmen. Doch fragt sich, ob sie alleine bleibt.