Lässt die Parteispitze die Büezer im Stich?
Die Stahlwerke lassen es bei der SVP brodeln

Der Rettungsplan für Schweizer Stahlwerke sorgt für Zoff in der SVP. Der Solothurner Nationalrat Christian Imark kämpft für eine Entlastung bei den Netzkosten. Und gerät so in die Schusslinie der eigenen Parteispitze.
Publiziert: 05.12.2024 um 00:01 Uhr
|
Aktualisiert: 05.12.2024 um 07:00 Uhr
1/6
Mit seinem Rettungspaket für die Stahlindustrie stellt sich SVP-Nationalrat Christian Imark gegen die Parteilinie.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

  • SVP-Nationalrat Imark kämpft für Stahlwerk-Rettung gegen Parteilinie
  • Parteispitze kritisiert Imarks Vorgehen, sieht es als Industriepolitik
  • 500 Arbeitsplätze in Gerlafingen SO bedroht
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
RMS_Portrait_AUTOR_817.JPG
Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Bereits nächste Woche soll die Stahlwerk-Rettung ihre nächste Hürde nehmen: Am Dienstag muss der Nationalrat entscheiden, ob er dem vorgeschlagenen Päckli aus seiner Umweltkommission folgen will. So soll im Stromversorgungsgesetz eine zeitlich gestaffelte Entlastung von den Netznutzungsgebühren für die Stahl- und Aluminiumindustrie geschaffen werden.

Die beiden Architekten dieses Vorschlages: SP-Nationalrat Roger Nordmann (51, VD) und SVP-Ratskollege Christian Imark (42, SO). Als Solothurner ist das Stahlwesen für Imark auch Herzensangelegenheit: Die steigenden Netzkosten bedrohen neben der Steeltec in Emmenbrücke LU und der Walliser Alugiesserei Novelis insbesondere das Stahlwerk in Gerlafingen SO. Ihm droht nach 200 Jahren die Schliessung – 500 Stellen könnten verloren gehen. Um dies abzuwenden, spannt der SVP-Nationalrat für einmal auch mit den Gewerkschaften zusammen.

Giftpfeile aus der Fraktion

Bei seiner Partei kommt das jedoch nicht sonderlich gut an: Sie stellt sich in einer Mitteilung «gegen die staatliche Rettung von privaten Industriebetrieben». Speziell die drei Motionen, die eine Woche nach der Kommissionslösung im Nationalrat behandelt werden, lehnt die SVP kategorisch ab. Sie fordern allesamt vom Bundesrat Notmassnahmen für die gebeutelte Stahlindustrie. «Links-grün prügelt den Patienten erst ins Spital, um ihn dann für teures Geld zu behandeln», schreibt Imarks Partei in der Mitteilung. Dabei stammen zwei der drei Vorstösse von bürgerlicher Seite – einer davon gar von Imark selbst.

Ist es ein Angriff der Parteispitze gegen den abtrünnigen Solothurner? Fraktionskollege Thomas Matter (58) wiegelt ab: «Bei uns darf natürlich jeder seine eigene Meinung haben.» Trotz Verständnis für Imarks Vorpreschen hält er inhaltlich wenig davon. «Wir machen keine Industriepolitik», sagt er. «Warum sollen nun also nur die Stahlwerke entlastet werden? Warum nicht auch der Bäcker oder andere Unternehmer?»

SVP-Wirtschaftspolitiker machen Druck

Bereits letzte Woche drückte SVP-Vizepräsidentin und Ems-Chemie-Oberhaupt Magdalena Martullo-Blocher (55) im «Tages-Anzeiger» ihre Ablehnung gegen staatliche Subventionen aus. Eine Haltung, die die Nationalrätin dem Vernehmen nach auch in der Bundeshausfraktion lauthals durchzusetzen versucht.

Politisieren die SVP-Wirtschaftskapitäne damit nicht an ihrer eigenen Büezer-Basis vorbei? Denn diese beäugt den Abbau von Hunderten von Stellen vermutlich nicht so nonchalant. Für Matter kein Grund, eine solche Ausnahme umzusetzen: «Ich verstehe sehr, dass daher die Versuchung gross ist», sagt er. «Aber wenn wir mal damit beginnen, hören die Ausnahmen nicht mehr auf.»

Stattdessen empfiehlt Matter den Büezern, sich nächstes Mal an der Urne gegen die «rot-grüne» Energiepolitik zu wehren. «Nur durch diese Politik sind wir heute überhaupt an diesem Punkt angelangt.»

«Man kann immer Schuldige identifizieren, muss aber auch Lösungen bringen», erwidert Imark. Sonst gibt sich der Nationalrat jedoch versöhnlich: Auch er selbst stelle sich wie seine Partei gegen Industriepolitik. Der Vorschlag der Kommission sei eng an das geltende Umweltrecht gekoppelt und deutlich ausgereifter als seine Motion. «Gibt es dafür eine Mehrheit, würde der Vorstoss vom März obsolet», sagt Imark.

Imark will die Netzkosten für alle senken

So gehe es ihm vor allem um den Kampf gegen «überrissene Netzkosten» und den Schweizer Stoffkreislauf. Der Vorstoss vom Frühling scheint für Imark mittlerweile vor allem ein wirksames Druckmittel zu sein. Und zwar nicht nur im Parlament, sondern auch beim Bundesrat. «Wer kein Notrecht will, muss den Vorschlag der Kommission unterstützen», sagt er. «Auch für die gesamte Industrie und die Bevölkerung müssen die Netznutzungsgebühren der staatlichen Monopolbetriebe sofort gesenkt werden.» Also so, wie es auch aus der Parteispitze tönt.

Die Entlastung bei den Netzkosten, zusammen mit anderen umweltpolitischen Massnahmen, würde also sowohl für die Stahlwerke als auch den Bund entscheidende Probleme lösen, argumentiert Imark. Denn eine Schliessung von Gerlafingen käme wesentlich teurer: «Stahl Gerlafingen übernimmt bei der Netzinfrastruktur 22 Millionen Franken – dieser Betrag würde dann auf die verbleibenden Nutzer aufgeteilt», sagt der Solothurner.

Der SVP-Nationalrat ist davon überzeugt, dass sich auch seine Parteikollegen für tiefere Gebühren einsetzen werden. «Und damit zur Rettung dieser und weiterer industrieller Arbeitsplätze beitragen», sagt er. Doch ob er für nächste Woche in der eigenen Partei bereits genügend Leute für das Vorhaben gewinnen konnte, will er nicht beantworten. Dafür scheint der Druck von oben aktuell wohl doch zu gross.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?