Kriegspropaganda in Bern
Russische Botschaft verkleidet Kinder als Soldaten

Für eine Siegesfeier zum 9. Mai mussten Buben in Bern in Militäruniform posieren. Bei einer Rede zog der russische Botschafter eine Parallele zum Ukraine-Krieg.
Publiziert: 15.05.2022 um 00:55 Uhr
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Aktualisiert: 15.05.2022 um 10:29 Uhr
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Irritierende Bilder: Buben im Primarschulalter, verkleidet als Soldaten.
Foto: zvg
Fabian Eberhard

Um sein Land auf Linie zu bringen, beginnt Machthaber Wladimir Putin bei den Kleinsten. Als Russland am 9.Mai den Sieg über die Nazis im Zweiten Weltkrieg feierte, mussten teils schon Schüler in Militärkostümen posieren. Bilder von Kindergärtlern in Uniform sorgten weltweit für Empörung.

Der russische Tag des Sieges war ein Tag des Krieges – auch in Bern. Dort spielten sich bei einer Feier in der russischen Botschaft ähnliche Szenen ab. Buben im Primarschulalter mussten in Soldatenuniform auftreten.

Botschaftseigene Schule

Der Anlass fand am 6. Mai statt, drei Tage vor dem offiziellen Tag des Sieges. Organisiert wurde der Militär-Auftritt der Kinder von der botschaftseigenen Schule, die vom russischen Aussenministerium betrieben wird. Die Schülerinnen und Schüler sind Kinder von Angestellten russischer Vertretungen oder Firmen in der Schweiz.

Die Gedenkfeiern zum 9. Mai haben in Russland Tradition. Dass dabei Kinder in die Rolle von Soldaten der Roten Armee schlüpfen, ist nicht neu. Die Anlässe sind aber längst mehr als blosse Erinnerung. Putin nutzt den offiziellen Feiertag für die militärisch-patriotische Erziehung einer ganzen Generation – und für Kriegspropaganda.

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Kleidung soll «freiwillig» gewesen sein

Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine erhielt der 9. Mai in diesem Jahr besondere Brisanz. Vladimir Khokhlov, Sprecher der russischen Botschaft in Bern, sieht in den als Soldaten verkleideten Buben dennoch kein Problem. «Wir betrachten das Begehen russischer Feiertage nicht als Propaganda.» Die Teilnahme am Anlass sei freiwillig gewesen, ebenso die Wahl der Kleidung. «Nicht alle Kinder trugen Militäruniformen.» Khokhlov versichert zudem, dass der Ukraine-Krieg an der Veranstaltung kein Thema war.

SonntagsBlick-Recherchen zeigen allerdings: Während der Feier wurde durchaus ein Bezug zur Aktualität hergestellt. Und zwar vom Botschafter Sergei Garmonin persönlich. Er begrüsste das Publikum mit einer Rede, in der er auf die «entscheidende Rolle» seines Landes bei der Niederlage des Faschismus hinwies. Garmonin betonte die Notwendigkeit, die «unantastbaren Ergebnisse» von damals zu bewahren. Und er rief dazu auf, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die «gegenwärtigen Erscheinungsformen des Neonazismus» in einer Reihe von europäischen Ländern zu bekämpfen.

Molotows Enkel spricht von Krieg

Wjatscheslaw Nikonow (65) sitzt als Abgeordneter in der russischen Staatsduma. Vor allem aber ist er ein Enkel von Stalins Vertrautem und langjährigem Aussenminister Wjatscheslaw Molotow (1890–1986). Mehr sowjetischer Adel geht nicht! Nikonow geniesst in Putins Russland darum auch das handfeste Privileg, den Krieg gegen die Ukraine nicht als «militärische Sonderoperation» bezeichnen zu müssen. Molotows Nachkomme darf die Sache beim Namen nennen. In einem Interview mit Putins Lieblingszeitung «Komsomolskaja Prawda» sagte Nikonow diese Woche: «Irgendwann wird der ukrainische Widerstand brechen. Es ist schwer zu sagen, wann dies geschehen wird, da dies ein Krieg ist. Krieg ist unvorhersehbar, und keiner der grössten Strategen in der Geschichte der Menschheit hat jemals den Ausgang eines Krieges in Bezug auf bestimmte Daten vorhergesagt.»

Wjatscheslaw Nikonow (65) sitzt als Abgeordneter in der russischen Staatsduma. Vor allem aber ist er ein Enkel von Stalins Vertrautem und langjährigem Aussenminister Wjatscheslaw Molotow (1890–1986). Mehr sowjetischer Adel geht nicht! Nikonow geniesst in Putins Russland darum auch das handfeste Privileg, den Krieg gegen die Ukraine nicht als «militärische Sonderoperation» bezeichnen zu müssen. Molotows Nachkomme darf die Sache beim Namen nennen. In einem Interview mit Putins Lieblingszeitung «Komsomolskaja Prawda» sagte Nikonow diese Woche: «Irgendwann wird der ukrainische Widerstand brechen. Es ist schwer zu sagen, wann dies geschehen wird, da dies ein Krieg ist. Krieg ist unvorhersehbar, und keiner der grössten Strategen in der Geschichte der Menschheit hat jemals den Ausgang eines Krieges in Bezug auf bestimmte Daten vorhergesagt.»

Damit dürfte der russische Botschafter in erster Linie die Ukraine gemeint haben. Der Kreml rechtfertigt sein Morden seit Beginn des Krieges damit, dass das Land von Nazis befreit werden müsste.

Noch deutlicher wurde Sergei Garmonin in einem Schreiben, das am gleichen Tag auf der Website der russischen Botschaft veröffentlicht wurde. Darin behauptet er, dass der Neonazismus in der Ukraine «wieder vollständig aufgeblüht» sei. «Heute müssen unsere Kämpfer, genau wie ihre Grossväter und Urgrossväter, einen unversöhnlichen Kampf gegen den Neonazismus führen.» Wie schon vor fast 80 Jahren wüssten die Menschen genau: «Unsere Sache ist gerecht, der Sieg wird unser sein!»

Zürcherin mit Verbindung zum Moskauer Machtapparat

Die Botschaft in Bern ist längst zur russischen Propaganda-Zentrale in der Schweiz geworden. Sie verbreitet Putins Rhetorik ungefiltert über Twitter und Facebook. Gegen Kritiker gehen die Diplomaten dabei wenig diplomatisch vor. Andersdenkende werden öffentlich an den Pranger gestellt, Journalistinnen und Journalisten diskreditiert.

Eine wichtige Rolle bei der russischen Desinformationskampagne spielt auch die Zürcherin Daria F.*. Sie hat beste Verbindungen in den Moskauer Machtapparat (SonntagsBlick berichtete). F. ist internationale Sprecherin der Organisation Unsterbliches Regiment, auf dessen Initiative hin die Schülerinnen und Schüler in der Berner Botschaft Fotos von Veteranen in die Höhe streckten. Gedenken an die toten Soldaten – damals wie heute.

* Name geändert

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