Krankenkassen verdienen an pflegenden Angehörigen mit
SP-Maillard will Wildwuchs im Pflegemarkt stoppen

Der Pflegemarkt boomt. Seit pflegende Angehörige entlöhnt werden können, spriessen Spitex-Firmen aus dem Boden. Dass sich nun auch Krankenkassen an diesen beteiligen und mitkassieren, stösst SP-Ständerat Pierre-Yves Maillard und Mitte-Mann Peter Hegglin sauer auf.
Publiziert: 05.11.2024 um 18:18 Uhr
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Pflegende Angehörige haben Anspruch auf eine Entschädigung. Doch ein Teil des Geldes geht an Spitex-Firmen.
Foto: imago images/Martin Wagner

Auf einen Blick

  • Der Pflegemarkt boomt
  • Pflegende Angehörige werden entschädigt, doch Spitex-Firmen kassieren mit
  • Krankenkassen beteiligen sich an solchen Spitex-Firmen
  • SP-Ständerat Pierre-Yves Maillard will solche Beteiligungen verbieten
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

Die Gesundheitsreform über die einheitliche Finanzierung der ambulanten und stationären Leistungen (Efas) bringt Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard (56) auf Touren. In knapp drei Wochen entscheidet das Stimmvolk über die Vorlage – und der SP-Ständerat warnt unermüdlich vor einem drohenden Prämienanstieg, wird doch auch die Langzeitpflege in das neue Finanzierungsmodell überführt. 

Der Waadtländer befürchtet nun, dass die Belastung der Prämienzahlende noch weiter steigen könnte. Dadurch nämlich, dass Krankenversicherer zunehmend selber im Pflegemarkt mitmischen, wie die SonntagsZeitung berichtete.

Konkret geht es dabei um die Angehörigenpflege. Etwa Ehepartner, die ihre gebrechlichen Verwandten pflegen. Oder Kinder, die sich um ihre alten Eltern kümmern. Wären dafür professionelle Pflegefachleute nötig, würde das System kollabieren.

Spitex-Firmen kassieren ab

2019 entschied das Bundesgericht, dass Krankenkassen pflegenden Angehörigen für gewisse Pflegearbeiten eine Entschädigung zahlen müssen. Geld gibt es für die sogenannte Grundpflege – Hilfe beim Duschen, Baden und Waschen, beim An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen, beim Essen und Trinken, beim Toilettengang, beim Aufstehen, Hinlegen und Gehen sowie beim Zähneputzen.

Angehörigenpflege: Das gibt Geld vom Staat

Viele pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren möchten so lange wie möglich zu Hause leben. Immer mehr Angehörige betreuen sie dort. Aus Liebe. Aus Dankbarkeit. Oder weil sie sich die professionelle ambulante Pflege nicht leisten können. Die Zahl wird mit der steigenden Anzahl älterer Menschen noch wachsen.

Nur: Die Vereinbarkeit von Beruf und Angehörigenbetreuung ist vielfach ein Spagat. Die unbezahlte häusliche Pflege stellt Angehörige vor viele Herausforderungen. Und: Finanzielle Hilfe für Betreuende von aussen ist meist begrenzt. Einen eigentlichen «Lohn» für die Betreuung von Angehörigen wird nicht ausbezahlt. Private Pflegende leisten jährlich über 60 Millionen Stunden Pflege und Betreuung, diese Arbeit ist über 3,5 Milliarden Franken wert. Trotzdem gibt es für die Betreuung zu Hause auch staatliche Massnahmen.

Betreuungsgutschriften

Du kannst Betreuungsgutschriften bei deiner AHV-Ausgleichskasse beantragen, wenn du Angehörige pflegst. Voraussetzung dafür ist, dass die angehörige Person, die du pflegst, von einer Versicherung (AHV, IV, Unfallversicherung oder Militärversicherung) eine Hilflosenentschädigung für mittlere oder schwere Hilflosigkeit bezieht.

Diese Gutschriften sind ein fiktives Einkommen. Sie erhöhen deine Rente, werden dir aber nicht direkt ausgezahlt. Mehr Informationen findest du bei der AHV/IV.

Betreuungszulagen

Einige Kantone und Gemeinden bieten auch Betreuungszulagen für pflegende Angehörige an. Bedingungen sowie Höhe können variieren. Meist musst du dafür ein Minimum an Pflegestunden leisten, vergütet wird deine Betreuung pro Pflegetag. Auf der Website des Bundesamts für Gesundheit findest du weitere Informationen dazu.

Anstellung bei einer Spitex

In einigen Kantonen bieten Spitex-Organisationen dir als betreuenden Angehörigen die Möglichkeit, dich anstellen zu lassen. Umfang der Anstellung sowie Höhe des Lohns bestimmt der entsprechende Spitex-Betrieb. Du erhältst von diesem einen Arbeitsvertrag – inklusive Rechte und Pflichten als arbeitnehmende Person.

Deine dabei erbrachten Leistungen werden vom Spitex-Betrieb über die Krankenversicherung der gepflegten Person abgerechnet. Eine solche Anstellung ist mit Chancen und Risiken verbunden. Spitex Schweiz bietet dir hier eine Übersicht. Tobias Ochsenbein

Viele pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren möchten so lange wie möglich zu Hause leben. Immer mehr Angehörige betreuen sie dort. Aus Liebe. Aus Dankbarkeit. Oder weil sie sich die professionelle ambulante Pflege nicht leisten können. Die Zahl wird mit der steigenden Anzahl älterer Menschen noch wachsen.

Nur: Die Vereinbarkeit von Beruf und Angehörigenbetreuung ist vielfach ein Spagat. Die unbezahlte häusliche Pflege stellt Angehörige vor viele Herausforderungen. Und: Finanzielle Hilfe für Betreuende von aussen ist meist begrenzt. Einen eigentlichen «Lohn» für die Betreuung von Angehörigen wird nicht ausbezahlt. Private Pflegende leisten jährlich über 60 Millionen Stunden Pflege und Betreuung, diese Arbeit ist über 3,5 Milliarden Franken wert. Trotzdem gibt es für die Betreuung zu Hause auch staatliche Massnahmen.

Betreuungsgutschriften

Du kannst Betreuungsgutschriften bei deiner AHV-Ausgleichskasse beantragen, wenn du Angehörige pflegst. Voraussetzung dafür ist, dass die angehörige Person, die du pflegst, von einer Versicherung (AHV, IV, Unfallversicherung oder Militärversicherung) eine Hilflosenentschädigung für mittlere oder schwere Hilflosigkeit bezieht.

Diese Gutschriften sind ein fiktives Einkommen. Sie erhöhen deine Rente, werden dir aber nicht direkt ausgezahlt. Mehr Informationen findest du bei der AHV/IV.

Betreuungszulagen

Einige Kantone und Gemeinden bieten auch Betreuungszulagen für pflegende Angehörige an. Bedingungen sowie Höhe können variieren. Meist musst du dafür ein Minimum an Pflegestunden leisten, vergütet wird deine Betreuung pro Pflegetag. Auf der Website des Bundesamts für Gesundheit findest du weitere Informationen dazu.

Anstellung bei einer Spitex

In einigen Kantonen bieten Spitex-Organisationen dir als betreuenden Angehörigen die Möglichkeit, dich anstellen zu lassen. Umfang der Anstellung sowie Höhe des Lohns bestimmt der entsprechende Spitex-Betrieb. Du erhältst von diesem einen Arbeitsvertrag – inklusive Rechte und Pflichten als arbeitnehmende Person.

Deine dabei erbrachten Leistungen werden vom Spitex-Betrieb über die Krankenversicherung der gepflegten Person abgerechnet. Eine solche Anstellung ist mit Chancen und Risiken verbunden. Spitex Schweiz bietet dir hier eine Übersicht. Tobias Ochsenbein

Voraussetzung für den Lohn ist aber, dass sich die Angehörigen von einer Spitex-Organisation anstellen lassen. Dabei bekommen sie in der Regel etwa 30 bis 40 Franken Stundenlohn. Die Pflegefirmen hingegen erhalten von den Krankenkassen 52.60 Franken. Dank Zuschüssen von Gemeinden und Kantonen teils gar 80 Franken pro Pflegestunde. Die Spitex-Firmen kassieren so kräftig ab.

SP-Maillard ortet Interessenkonflikt

Mittlerweile beteiligen sich auch Krankenversicherer wie CSS oder Helsana an den Pflegeunternehmen und profitieren von entsprechenden Gewinnausschüttungen. Das ruft nun Maillard auf den Plan. «Eine solche Verbandelung führt zu einem problematischen Interessenkonflikt», ist er überzeugt.

Die Krankenkassen würden sich in einer heiklen Doppelrolle wiederfinden. «Die Versicherer verhandeln und beschliessen die Tarife und sind auch direkt an den Renditen finanziell interessiert, welche die Spitexfirmen durch diese Tarife erzielen», so Maillard. Er bezweifelt daher, dass die Krankenkassen in dieser Situation die Interessen der Versicherten vertreten würden. 

Gesundheitsreform Efas

Die Gesundheitsreform Efas (Einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen) zielt darauf ab, die Finanzierung im Schweizer Gesundheitssystem neu zu gestalten und dieses effizienter zu machen. Derzeit tragen Kantone und Krankenkassen je nach Art der Behandlung unterschiedlich viel der Kosten: Krankenkassen übernehmen die ambulanten Leistungen zu 100 Prozent, stationäre Leistungen, also mit mindestens einer Übernachtung, werden durch Kantone (55 Prozent) und Krankenkassen (45 Prozent) gemeinsam finanziert.

Efas soll diese Trennung aufheben und für eine einheitliche Finanzierung sorgen. Unabhängig davon, ob die Behandlung ambulant oder stationär erfolgt. Die Kantone sollen neu für mindestens 26,9 Prozent und die Kassen über die Prämien für höchstens für 73,1 Prozent der Kosten aufkommen.

Die Gesundheitsreform Efas (Einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen) zielt darauf ab, die Finanzierung im Schweizer Gesundheitssystem neu zu gestalten und dieses effizienter zu machen. Derzeit tragen Kantone und Krankenkassen je nach Art der Behandlung unterschiedlich viel der Kosten: Krankenkassen übernehmen die ambulanten Leistungen zu 100 Prozent, stationäre Leistungen, also mit mindestens einer Übernachtung, werden durch Kantone (55 Prozent) und Krankenkassen (45 Prozent) gemeinsam finanziert.

Efas soll diese Trennung aufheben und für eine einheitliche Finanzierung sorgen. Unabhängig davon, ob die Behandlung ambulant oder stationär erfolgt. Die Kantone sollen neu für mindestens 26,9 Prozent und die Kassen über die Prämien für höchstens für 73,1 Prozent der Kosten aufkommen.

Mit der Efas-Reform werde sich dieser Interessenkonflikt noch verschlimmern, «weil die Versicherer nicht nur das Prämiengeld, sondern auch das Steuergeld verwalten werden, das im Pflegesektor heute ungefähr die Hälfte der Kosten deckt».

Der SP-Politiker will diese Verquickung mit einer einfachen Lösung verhindern: «Die Beteiligung der Versicherer an Leistungsbringern muss verboten werden.» In der kommenden Wintersession des Parlaments wird er dazu eine entsprechende Motion einreichen. 

Mitte-Hegglin sieht Wildwuchs

Maillard ist nicht der Einzige, der sich Sorgen macht. Mitte-Ständerat Peter Hegglin (63, ZG) spricht von einem Wildwuchs an Spitex-Firmen, welche einen Grossteil der Entschädigungen abschöpfen würden. Gerade mit Blick auf die Efas-Reform – Hegglin selbst befürwortet die Vorlage – müsse der Bundesrat eingreifen, um fragwürdigen Margen einen Riegel zu schieben. Bereits in Herbstsession hat er einen Vorstoss dazu eingereicht.

Umso mehr stört er sich an der Beteiligung der Krankenversicherer an solchen Firmen. «Da müssen wir genauer hinschauen», so Hegglin. «Vielleicht braucht es nicht gleich ein Verbot, aber zumindest eine gewisse Regulierung.»

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