Wissenschaft und Industrie fordern, dass die Schweiz wieder beim europäischen Forschungsprogramm dabei sein darf. Die Politik ringt um Lösungen.
Es ist ein lauter Hilferuf der stillen Schaffer: Vertreter von Wissenschaft und Industrie beklagen in einer Resolution das ungelöste Verhältnis der Schweiz zur Europäischen Union (SonntagsBlick berichtete). Aus der Sicht der Forschung ist besonders der Ausschluss aus dem EU-Forschungsprogramm Horizon fatal. «Aufgrund ihres aktuellen Status als nicht-assoziierter Drittstaat muss die Schweiz damit rechnen, dass Spitzenforschende sowie innovative Firmen ins Ausland abwandern oder gar nicht mehr in unser Land kommen», heisst es im Schreiben. Die Absender wissen, wovon sie sprechen: Michael Hengartner ist Präsident des ETH-Rats, Novartis-Manager Matthias Leuenberger steht Scienceindustries vor, dem Verband der chemisch-pharmazeutischen Industrie, Yves Flückiger leitet den Vorstand von Swissuniversities, der Dachorganisation der Schweizer Hochschulen, und ist Rektor der Uni Genf.
Im SonntagsBlick berichtete Hengartner vom schweren Stand der Schweizer Topwissenschaftler: «Wir haben Koryphäen, die keine Kooperationsgruppen mehr führen dürfen. Das sind Kolleginnen und Kollegen, die jahrelang Captain des Teams waren und jetzt gerade noch geduldet werden.» Schweizer Forscher gerade noch geduldet, Firmen auf dem Absprung – und das in einem Land, dessen einziger Rohstoff, wie es so schön heisst, in den grauen Hirnzellen seiner Bewohner zu finden ist.
Jetzt beschäftigt sich das Parlament mit der Resolution. Diese Woche diskutierte die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) Mittel und Wege, um die Schweiz zügig an Horizon anzuschliessen.
Die SP schlug erneut einen Deal vor: Bern solle sich mithilfe der Kohäsionsmilliarde ins Programm einkaufen. Denn wer die Äusserungen der EU verfolge, merke, «dass wir um einen höheren und regelmässigen Beitrag kaum herumkommen werden», sagt SP-Nationalrat Mustafa Atici (52, BS).
«Ich wollte dem Bundesrat ein Mandat verschaffen, um mit Brüssel ins Gespräch zu kommen. Ein Türöffner, damit die Schweiz wieder bei Horizon und Erasmus mitmachen kann.» Die Kommissionsmehrheit aber lehnte Aticis Antrag ab.
«Als Bildungspolitiker tut mir der Ausschluss der Schweizer Hochschulen weh. Wenn wir nicht aufpassen, nimmt der Forschungsplatz grossen Schaden», sagt der Basler.
Der nächste Anlauf folgt. Bereits am Montag treffen sich die Mitglieder der Aussenpolitischen Kommission (APK) in Bern. Sie dürften ebenfalls über eine Verknüpfung zwischen Kohäsionsmilliarde und der Horizon-Assoziierung diskutieren. «Ich sehe, ehrlich gesagt, keinen anderen Weg, den wir derzeit einschlagen könnten», sagt SP-Aussenpolitiker Fabian Molina (31, ZH). Man könne nicht einfach stillsitzen und zusehen, wie die Forschung unter dem ungelösten Verhältnis zur EU leide. «Wenn die Schweiz bereit ist, ihren fairen Anteil an die europäische Kohäsion zu bezahlen und sich zu neuen Verhandlungen über den Marktzugang bekennt, stehen die Chancen für Horizon gut.» Eine Mehrheit in der APK scheint möglich. Dann könnte das Parlament zügig darüber befinden.
Ebenfalls nächste Woche beschäftigen sich die Bildungspolitiker des Ständerats mit gleich drei Standesinitiativen, die zügig Massnahmen für eine Vollassoziierung bei Horizon verlangen.
Der Druck auf Räte und Regierung steigt. Oder wie es Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (57, BL) formuliert: «Alle sind sich einig, dass etwas passieren muss. Und es muss rasch passieren. Auch dem Bundesrat ist bewusst, wie ernst die Lage ist.»