«Ich wähle Sie!», ruft der Mann ihm zu, bevor er über die Zürcher Langstrasse eilt. Dominik Waser (24) bedankt sich und schaut dem Vorbeieilenden kurz hinterher. Begegnungen wie diese erlebt Waser in letzter Zeit öfter. Er sei manchmal überrascht, wenn er sehe, wer die Menschen sind, die seinen Namen auf den Wahlzettel schreiben, sagt er.
Am 13. Februar wählt die grösste Schweizer Stadt eine neue Regierung.
Ein Sonntag, an dem das linke Zürich noch linker werden könnte. Klima-Aktivist Waser hat reelle Chancen, einen Sitz im neunköpfigen Gremium zu erobern. Nur zwei Prozentpunkte lag der Grünen-Kandidat in einer Umfrage des «Tages-Anzeigers» Mitte Januar hinter FDP-Stadtrat Michael Baumer (47) – und damit zwei Prozentpunkte vom Einzug in den Stadtrat entfernt.
«Das ist ziemlich überwältigend»
«Das auf Papier zu sehen, ist ziemlich überwältigend», meint Waser. Manch eine oder einer im Freundeskreis sei vor Freude «schon biz überegheit». Der gelernte Landwirtschaftsgärtner und Mitgründer eines Unternehmens, das zweitklassiges Gemüse vor der Biogasanlage rettet, hat noch nie ein politisches Amt ausgeübt. Wasers Kandidatur war vor allem Wahltaktik der Grünen, um die Jungen zu mobilisieren.
Was Waser an Erfahrung fehlt, kompensiert er mit Selbstbewusstsein. Blick trifft den jungen Mann in einem Café im Zürcher Hipster-Kreis 5, gleich um die Ecke lebt er in einer WG. Auf den ersten Blick wirkt der junge Mann mit dem Dutt und den je nach Laune lackierten Fingernägeln zurückhaltend und brav. Doch der Eindruck täuscht.
Ohne Kompromisse
Der Klimastreik brachte Waser in die Politik. An der ersten Demo war er als Fotograf dabei. Später rückte er immer mehr selbst in den Fokus. Bei der Bundesplatz-Besetzung 2020 verhandelte er mit den Behörden. Ein Jahr zuvor sorgte der Veganer mit einem Klima-Hungerstreik für Schlagzeilen.
Fürs Klima in den Hungerstreik treten würde er heute nicht mehr, sagt er. Was allerdings nicht heisst, dass er weniger kompromisslos unterwegs wäre. Aus seiner Sicht gibt es nur zwei Möglichkeiten, mit der Klimakrise umzugehen: «Entweder du verdrängst die Fakten – oder du richtest dein Leben danach aus.» Während er spricht, klopft er mit den Fingern auf die Tischplatte, um das Gesagte zu unterstreichen. Entweder nichts tun oder alles geben. Waser gibt alles. «Ich kann gar nicht anders», sagt er.
Waser will mehr – und schneller
Diese Einstellung macht Waser zum Getriebenen. Er ist ständig auf der Suche nach dem Ort, an dem er am meisten bewegen kann. So schrieb er sich vor ein paar Jahren für ein Umweltingenieur-Studium ein. Und brach es wieder ab, um ein Unternehmen zu gründen. So begann er im vergangenen Jahr eine zweite Lehre als Landwirt. Und brach auch diese ab, um seine ganze Kraft in die Politik zu stecken. Als Umweltingenieur, Landwirt oder Unternehmer könnte er im Kleinen zwar etwas verändern. Aber das ist Waser zu wenig. Er will mehr. Und schneller. Nun soll es also die Politik sein.
Man kann Waser vorwerfen, dass er damit über eine ziemlich naive Vorstellung verfügt, wie Politik funktioniert. Kompromisslosigkeit ist keine gute Eigenschaft für einen Exekutivpolitiker. Er kontert, dass er sehr genau wisse, dass er als Stadtrat eine neue Rolle einnehmen würde. Aber er räumt ein, dass ihn die Vorstellung, Vorsteher über ein Departement mit Hunderten Mitarbeitenden zu sein, schon nervös mache. «Das ist aber auch gut so.»
Waser eckt an
Er wolle in die Regierung, weil er «das System» nicht nur von aussen kritisieren möchte. Sondern von innen heraus verändern. Im Zürich seiner grünen Träume gibt es viel weniger Autos in der Stadt, keine Gasheizungen mehr und weniger Rassismus und Diskriminierung. Dafür vegane Kantinen und einen klimagerechten Finanzplatz.
Im linken Zürich holt man mit Forderungen wie diesen viele Menschen ab. Im Zürcher Oberland, wo Waser aufwuchs, eckte er mit seiner Haltung an. Im Gartencenter, in dem er arbeitete, setzte er sich dafür ein, dass keine Pestizide mehr eingesetzt und keine Pflanzen aus dem Ausland mehr verkauft werden. Das kam bei den Kolleginnen und Kollegen nicht gut an.
Er liebt mehrere Frauen und Männer
Auch im Privaten stellt Waser vermeintlich Altbewährtes infrage. Er lebe «nicht monogam», sagt er. Das heisst: Er ist mit mehreren Personen beiderlei Geschlechts zusammen. «Die klare Kategorisierung in Freundschaften und Liebesbeziehungen macht aus meiner Sicht wenig Sinn», findet Waser.
Alles oder nichts. In der Liebe scheint das Prinzip, das sein politisches Engagement bestimmt, nicht zu gelten.