Ende 2018 mobilisierten in der Schweiz erstmals Jugendliche dafür, auf der Strasse für mehr Klimaschutz zu kämpfen. Schnell wurden daraus Tausende. Der Klimastreik war geboren. Jetzt, drei Jahre später, werden bei vielen der jungen Aktivistinnen und Aktivisten Ermüdungserscheinungen spürbar, das Pandemiegeschehen hat die Bewegung zusätzlich ausgebremst.
Die Ernüchterung ist gross. «Die Politik hat nicht wirklich auf unsere Mobilisierung reagiert», sagt Cyrill Hermann (18) vom Klimastreik. «Sie hat keine klaren Lösungen hervorgebracht, mit denen man das 1,5-Grad-Ziel noch einhalten würde.»
Dass die Politik im Hinblick auf die Klimakrise versagt, darüber sind sich in der Bewegung alle einig. Uneins sind sie, wie mit diesem Befund umzugehen wäre. Viele haben das Vertrauen in die institutionelle Politik komplett verloren. Sie wollen deshalb den Druck der Strasse erhöhen, indem sie breitere Massen mobilisieren, aber auch zu Blockaden aufrufen. Andere sehen auf dem institutionellen Weg Möglichkeiten für den Wandel – und gehen selbst in die Politik.
So auch Laurin Hoppler (20), der seit 2020 für das Junge Grüne Bündnis im Basler Grossen Rat politisiert. Oder Jelena Filipovic (29), die fürs Grüne Bündnis im Berner Stadtrat sitzt. In der Romandie haben Franziska Meinherz (30, Ensemble à Gauche) und Cloé Dutoit (25, Les Verts) ein politisches Amt inne: Meinherz ist Lausanner Gemeinderätin, Dutoit Neuenburger Grossrätin.
Und seit kurzem gehört auch Nicola Bossard (25) zu den Aktivisten aus dem Klimastreik, die den Schritt in die institutionelle Politik gewagt haben. Der Grüne sitzt seit letzter Woche im Aargauer Grossrat, wo er eine zurückgetretene Parteikollegin ersetzt. «Politik und Aktivismus haben sich für mich immer ergänzt», sagt Bossard. Für ihn sei der Gang in die Politik der nächste logische Schritt in der Entwicklung der Klimabewegung.
Gärtner mit politischen Ambitionen
Aktuell kandidiert mit Dominik Waser (24) einer der bekanntesten Köpfe der Klimabewegung für den Zürcher Stadtrat. Dem gelernten Landschaftsgärtner werden reelle Chancen ausgerechnet, am 13. Februar gewählt zu werden. Damit würde zum ersten Mal ein Aktivist aus dem Klimastreik ein Exekutivamt bekleiden. Waser selbst will sich aber nicht als Gesicht des Klimastreiks in der städtischen Politik sehen: «Ich repräsentiere jetzt nicht mehr den Klimastreik, sondern kandidiere als Grüner für dieses Amt.» Und doch: Seine Nähe zur Strasse bleibe. «Ihr habe ich mein politisches Gewissen zu verdanken und ich werde versuchen, die Forderungen des Klimastreiks zu vertreten, sollte ich gewählt werden.»
Gleichzeitig auf der Strasse und in einem politischen Amt aktiv zu sein, sei nicht einfach, sagt Martina Mousson, Politologin und Projektleiterin des Meinungsforschungsinstituts GFS in Bern. «Man muss sich in dieser Doppelrolle erst finden. Das ist ein Lernprozess, der sicher auch oft mit einer gewissen Ernüchterung einhergeht, weil man seine Ziele nicht so schnell umsetzen kann, wie man möchte.»
Jelena Filipovic weiss bereits aus eigener Erfahrung, dass die Forderungen der Klimastreikbewegung in der Politik einen schweren Stand haben. Dennoch: «Mich treibt es an, diese direkt ins Parlament zu tragen. Zumindest müssen sich die Ratsmitglieder damit auseinandersetzen und öffentlich Stellung beziehen.»
Die Ziele des Klimastreiks in der Politik zu vertreten, sei zwar aufregend, aber auch ein wenig stressig, sagt Nicola Bossard. «Wir vom Klimastreik fordern ja schliesslich Taten statt Worte von der Politik. Jetzt gilt es anzupacken.»
Kritik aus den eigenen Reihen
Die Kolleginnen und Kollegen vom Klimastreik zu enttäuschen, befürchtet Bossard aber keineswegs. «Nur weil ich jetzt Grossrat bin, haben sich die Mehrheitsverhältnisse im Aargau nicht geändert. Das ist allen bewusst.»
Wie auch immer: Das Engagement innerhalb der politischen Institutionen stösst in den Reihen des Klimastreiks nicht nur auf Begeisterung.
Die Ressourcen im Klimastreik seien ohnehin knapp, sagt Cyrill Hermann. «Darum tut es weh, wenn Personen sich wegen ihres Amts oder Wahlkampfs nicht mehr so einbringen können.» Ausserdem sei im aktuellen System sowieso kein Wandel möglich. «Man kann nicht einfach grün wählen und alles ist gut.»
Jelena Filipovic versteht die Bedenken aus der Bewegung: «Im Kampf gegen die Klimakrise versagt die Politik ja tatsächlich am laufenden Band.» Auch Dominik Waser sagt, er habe viel Vertrauen verloren.
«Aber in diesen Ämtern werden Entscheide getroffen, die schlussendlich Menschenleben beeinflussen. Es macht also einen Unterschied, wer da sitzt. Wir müssen auf allen Ebenen aktiv sein.» Und Laurin Hoppler sagt: «Ich wäre nicht in das Haifischbecken gesprungen, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass sich dort etwas bewirken lässt.»
Auch Martina Mousson sieht den Einzug einzelner Aktivistinnen und Aktivisten in die institutionelle Politik als Chance für die Bewegung. «Natürlich kann man von aussen Druck aufbauen. Aber am Ende des Tages werden die Entscheide in den Institutionen getroffen.»