Sommer, Sonne – und Stau. Am frühen Samstagmorgen standen die Autos vor dem Gotthard-Nordportal. Reisende in den Süden mussten zwischen Erstfeld und Göschenen UR mit einer Wartezeit von bis zu zwei Stunden rechnen, wie der Touring Club Schweiz (TCS) mitteilte.
Die Bilder ähneln sich mittlerweile vor Ostern, Pfingsten oder den Sommerferien. Das ist nicht nur für die betroffenen Autofahrerinnen und Autofahrer mühsam. Gerade auch für die lokale Bevölkerung sind die Staus vor dem Gotthard, aber auch um die A13 beim San Bernardino ein grosses Ärgernis, da der Ausweichverkehr die Kantons- und Dorfstrassen verstopft. Politikerinnen und Politiker forderten unter anderem die Einführung einer Tunnelmaut, um das Stau-Problem in den Griff zu kriegen.
Doch davon will der Bundesrat nichts wissen – vor allem aus Sorge um den nationalen Zusammenhalt. Das macht er in einem Bericht klar, den er kürzlich veröffentlicht hat. Eine Gebühr würde zwar nützen, glaubt die Regierung. Doch sie findet es problematisch, würde das Tessin als einziger Landesteil über keine frei verfügbare, ganzjährige und wintersichere Strassenverbindung zum Rest der Schweiz verfügen. Zudem würde es für den Tessiner Tourismus «einen gravierenden Nachteil darstellen».
Er will stattdessen zu anderen Mitteln greifen, um das Urner- und das Bündnerland zu entlasten. 86 Massnahmen hat der Bundesrat geprüft, die allermeisten davon verworfen. An einigen Hebeln will man aber ansetzen.
Massnahmen, die geprüft werden
- Tröpfchenzähler bei Ausfahrten: Die Zufahrt zum Gotthard wird schon seit über 20 Jahren mit einem Tröpfchenzähler-System reguliert. Per Lichtsignal wird gesteuert, dass nicht zu viele Autos und Lastwagen den Tunnel verstopfen. Ein solches automatisiertes System könnte auch bei den Autobahnausfahrten zum Einsatz kommen. Schon heute gibt es an einigen Ausfahrten Lichtsignale, oder es kommen Verkehrspolizisten zum Einsatz. Das Bundesamt für Strassen soll nun aber eine fixe, zentral gesteuerte Lösung prüfen.
- Ausfahrten sperren: Auf der A2 Richtung Süden zieht der Bundesrat auch die komplette Schliessung von Autobahnausfahrten in Betracht. Alle Ausfahrten im Urnerland – mit Ausnahme von jener bei Altdorf – könnten in Stau-Zeiten gesperrt werden. Was die Folgen sind, soll im Rahmen eines Pilotversuchs getestet werden.
- Einfahrten sperren: An Tagen mit besonders viel Verkehr soll man umgekehrt auch nicht mehr auf die A2 auffahren können. Die Einfahrt Göschenen wird bereits heute bei Stau gesperrt, künftig sollen auch die Anschlüsse Erstfeld, Wassen und Amsteg nicht mehr zugänglich sein. Die Sperrung soll für alle gelten, auch für Anwohnerinnen und Anwohner – weil alles andere zu kompliziert wäre. Auch hier wünscht sich der Bundesrat einen Pilotversuch.
- Anpassen des Tropfensystems: Maximal 1000 Autos dürfen pro Stunde und Fahrtrichtung den Gotthard passieren – wobei ein Lastwagen gleich viel wie drei Autos zählt. Der Bundesrat ist unter Umständen bereit, diese Höchstgrenze etwas zu erhöhen, wenn die alte Tunnelröhre wieder in Betrieb ist – was ungefähr 2030 der Fall sein soll.
- Zug soll attraktiver werden: Ausserdem will der Bundesrat «vertieft» prüfen, wie man die Verlagerung von der Strasse auf die Schiene weiter vorantreiben kann. Dabei denkt die Regierung an Massnahmen, um den Zug attraktiver zu machen. Allerdings ist sie skeptisch, dass das wirklich viel bringt.
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Verworfene Massnahmen
Viele andere Massnahmen kommen für den Bundesrat nicht infrage. Nebst der Tunnelgebühr will er unter anderem die folgenden Möglichkeiten nicht weiterverfolgen:
- Slot-System: Dass man den Gotthard nur während eines bestimmten, vorher gebuchten Zeitslots durchfahren darf, hält der Bundesrat für keine gute Lösung. Diese Massnahme sei in der Praxis «untauglich», weil man beispielsweise riesige Warteräume für die Autos bräuchte, die vor dem Slot da sind.
- Teurere Vignette: Auch von einer Verteuerung der Autobahnvignette will der Bundesrat nichts wissen. Das würde vor allem Schweizerinnen und Schweizer treffen, unabhängig davon, ob sie in den Süden fahren oder nicht. Um den Ausweichverkehr zu reduzieren, sei die Massnahme nicht geeignet.
- Dynamisch zuweisbare Fahrstreifen: Um Staus schneller aufzulösen, könnte der Gotthardtunnel je nach Verkehrslage nur in die eine Richtung befahrbar sein. Die Autofahrer auf der andern Seite müssten warten oder auf den Pass ausweichen. Der Bundesrat ist aber gegen die Massnahme, weil sie aus seiner Sicht nichts gegen die Verkehrsprobleme auf der A2 bringt.
- Fahrverbote: Ebenfalls nicht infrage kommt für den Bundesrat den Erlass von Fahrverboten für gewisse Verkehrsteilnehmer. Man könnte beispielsweise an einem Tag nur Fahrzeuge mit gerader Zahl, am anderen mit ungerader Zahl auf dem Kontrollschild durchlassen. Das sei in der Praxis kaum kommunizier- und durchsetzbar, glaubt die Regierung.
- Navis anpassen: Ausweichrouten könnten aus den Navigationssystemen gestrichen werden, damit man gar nicht erst dazu verleitet wird, sie zu nehmen. Auch diese Massnahme hält der Bundesrat nicht für umsetzbar. «Anstrengungen auf internationaler Ebene zur Einflussnahme auf die angegebenen Alternativrouten in den Navigationssystemen sind bisher ergebnislos verlaufen», heisst es im Bericht.
Obwohl der Bundesrat nur wenig Stellschrauben sieht: Der Urner Mitte-Nationalrat Simon Stadler (36), der den Anstoss für die bundesrätliche Auslegeordnung gegeben hatte, zeigte sich gegenüber Blick zufrieden. «Ich begrüsse es, dass der Bundesrat weitere Massnahmen ergreifen wird, um das Problem zu lösen.» Er werde sehr genau hinschauen, was diese tatsächlich bringen. «Die dynamische Gotthard-Maut ist für mich nicht vom Tisch, denn auch der Bundesrat attestiert dieser einen positiven Effekt.»
Dieser Artikel erschien zuerst am 18. Mai 2024 und wurde am 13. Juli 2024 aktualisiert.