Verdoppelung seit 2012
Am Gotthard zeichnet sich ein neuer Staurekord ab

In diesem Jahr werden sich die Autos am Gotthard voraussichtlich länger stauen denn je. Dies zeigt eine exklusive Auswertung des SonntagsBlicks. Noch grössere Engpässe gibt es allerdings im Unterland.
Publiziert: 03.12.2023 um 00:28 Uhr
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Aktualisiert: 03.12.2023 um 12:28 Uhr
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Es gibt Stau, und es gibt den Gotthard. 2023 stauten sich die Autos bis zu 22 Kilometer.
Foto: imago images/Andreas Haas
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Lisa AeschlimannReporterin & Blattmacherin

Am Karfreitag um 13 Uhr meldet der TCS 22 Kilometer Stau vor dem Gotthard – Zeitverlust von bis zu 3 Stunden, 40 Minuten. Zwei Monate später, am 4. Juni, staut sich die Blechlawine vor dem Südportal auf 20 Kilometern. Der zuständige Polizeikommandant spricht von einem «sehr hohen Verkehrsaufkommen Richtung Süden». Am 22. Juli, einem Samstag in den Sommerferien, wächst die Kolonne auf 16 Kilometer. Zeitverlust: fast drei Stunden.

Das sind nur drei von etlichen Superstaus am Nadelöhr Gotthard. Allein im Juli war der Tunnel wegen Pannen oder Unfällen 36-mal gesperrt.

Bis Ende Oktober 2023 gab es in Richtung Süden 1463 Stunden Stau, nach Norden gar 1513 Stunden. Das zeigt eine exklusive Auswertung von Viasuisse im Auftrag des SonntagsBlicks. Hochgerechnet aufs ganze Jahr dürften Staustunden auf der A 2 pro Fahrtrichtung zwischen 1500 und 1700 Stunden liegen – ein neuer Höchstwert. Und dies, nachdem bereits im letzten Jahr Rekordstaus gemessen wurden. Gegenüber 2012 haben sich die Staustunden am Gotthardtunnel gar verdoppelt.

Stau an zusätzlichen Wochenenden

Verantwortlich dafür war gemäss Bundesamt für Strassen (Astra) die weitere Zunahme des Freizeit-, Feiertags- und Ferienverkehrs in den Süden. Am meisten staute es jeweils an Frühlingsfeiertagen wie Ostern, Auffahrt oder Pfingsten sowie in den Reisemonaten Juli und August.

Doch mehr und mehr steht die Kolonne vor dem Tunnel auch abseits der Spitzentage still. «2022 fielen Stausituationen vermehrt ab Mitte März bis Mitte Oktober an allen Wochenenden an», heisst es im neusten Verkehrsflussbericht des Astra. Auch 2023 hält dieser Trend an.

Sprecher Thomas Rohrbach sagt: «Wir stellen fest, dass die Reisezeiten flexibler werden.» Reisende starteten vermehrt schon am Donnerstag in die Ferien, hier ist die Stauzunahme besonders hoch. Andere reisten erst am Montag oder Dienstag zurück – wohl in der Hoffnung, den Stau so zu vermeiden. Keine gute Idee: «Sie kommen dann dem Wirtschaftsverkehr unter der Woche in die Quere.»

Kapazität bei 1000 Fahrzeugen pro Stunde

Trotz Staurekord hat das Verkehrsaufkommen nur moderat zugenommen. Während im Juli 2019 750'000 Fahrzeuge durch den Tunnel fuhren, waren es im Juli 2022 etwas über 810'000. Wie geht das zusammen? Die Kapazität des Tunnels ist begrenzt auf 1000 Fahrzeuge pro Stunde. Oft genügen wenige Fahrzeuge mehr, oder ein Moment der Unachtsamkeit, und es kommt zum Stillstand.

Mehr Stau am Gotthard bedeutet für die direkt betroffenen Urnerinnen und Urner vor allem eins: mehr Ausweichverkehr. Die Autofahrer, die den Stau umfahren wollen, sind längst zur Plage geworden: Sie verstopfen nicht nur das Dorf Wassen, sondern gefährden auch den Einsatz von Blaulichtorganisationen auf der Kantonsstrasse und behindern den ÖV.

Ende Juli initiierten das Astra und die Urner Kantonspolizei ein Pilotprojekt. Ab einem Stau von mehr als fünf Kilometern wird nicht nur die Autobahneinfahrt Göschenen, sondern neu auch die in Wassen gesperrt – vordrängeln mittels umfahren geht also nicht mehr. Ab einem Stau von mehr als acht Kilometern gilt auf der A 2 zudem automatisch Tempo 80.

Jede dritte Staustunde zwischen Gubrist und Winterthur

Der Gotthard ist jedoch nicht das einzige helvetische Sorgenkind, der Staurekord am Tunnel reiht sich ein in eine generelle Entwicklung: Unsere Strassen sind zunehmend verstopft. 2022 wurden auf den schweizerischen Nationalstrassen insgesamt 39'900 Staustunden registriert – ein Wert, der sich seit 2010 mehr als verdoppelt hat.

Sorgen machen dem Astra neben der A 2 am Gotthard mittlerweile alle grösseren Schweizer Städte – Zürich, Basel, Bern, Genf, Luzern, St. Gallen, Lugano TI und Bellinzona TI – sowie die A 1 zwischen Aarau und Solothurn. Gemäss Verkehrsflussbericht verschlechterte sich in diesen Abschnitten die «Angebotsqualität» gegenüber dem Vorjahr deutlich. Jede dritte gemessene Staustunde in der Schweiz entfällt auf den Abschnitt der A 1 zwischen Gubrist und Winterthur ZH.

Maut soll kommen

Obwohl der Verkehr insgesamt – wie am Gotthard – nur leicht zugenommen habe, seien die Staustunden massiv gestiegen, sagt Rohrbach. Seine Erklärung: Viele Abschnitte liefen im «labilen Bereich», am Limit also. «Es braucht im dichten Verkehr nur wenig – einen Spurwechsel im falschen Moment, der eine Bremswelle auslöst – und der Verkehr kommt zum Erliegen.»

Die neuen Massnahmen zur Verkehrslenkung in Uri jedoch hätten sich bewährt. Der Ausweichverkehr habe abgenommen. Schwieriger, so Rohrbach, sei es mit den Staus: «Der Gotthard ist ein Nadelöhr und wird es auch mit der zweiten Röhre bleiben.»

Bürgerliche Politiker in Bern haben ohnehin andere Pläne: Sie wollen den Verkehr mit einer Maut drosseln. Je mehr Verkehr, desto teurer das Ticket, so die Idee. In der Bevölkerung hätte diese Maut gemäss einer Umfrage eine grosse Mehrheit. Die Idee wurde schon 2014 im Parlament diskutiert – und deutlich verworfen. Doch: Auch der Bau der zweiten Röhre für den Gotthard-Strassentunnel wurde zweimal abgelehnt, bevor der Wind dann drehte und das Volk die Vorlage 2016 annahm.

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