Auf einen Blick
- Bundesrat sieht bei Klima-Urteil kein Handlungsbedarf
- Er stellt sich damit hinter Bundesrat Rösti
- Das Justizdepartement wird dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Bericht erstatten
Es war ein Coup für die Klimaseniorinnen. Im April verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Schweiz, weil sie zu wenig für den Klimaschutz mache. Doch der Jubel währte nur kurz: Der Ständerat verabschiedete im Juni eine Erklärung, dass die Schweiz dem Urteil keine Folge leisten soll, der Nationalrat schloss sich dem an.
Nun hat der Bundesrat definitiv entschieden, wie er mit dem Urteil umgehen will. Er ist der Auffassung, dass die Schweiz die klimapolitischen Anforderungen des Urteils bereits erfülle. Diverse Massnahmen, wie etwa das im März revidierte CO₂-Gesetz und das Stromgesetz, welches das Volk am 9. Juni angenommen hat, habe der EGMR in seinem Urteil nicht berücksichtigt. «Der Bundesrat erachtet die Massnahmen als erfüllt und sieht keinen Handlungsbedarf», sagte Umweltminister Albert Rösti (57) an einer Medienkonferenz am Mittwoch. Zusätzlich kritisiert der Bundesrat den EGMR. Dieser habe die Europäische Menschenrechtskonvention zu weit ausgelegt.
Rösti gegen Jans
Damit hat Klimaminister Rösti die Fehde innerhalb des Bundesrats offenbar für sich entschieden. Er und Justizminister Beat Jans (60) hatten zuvor öffentlich über das Urteil gezankt.
Den Anfang machte Rösti in einem Gespräch bei «Talk-Täglich»: Das Urteil sei nicht vereinbar mit einer direkten Demokratie, in der Schweiz habe das Volk das Sagen. Zudem sehe er mit dem Entscheid eine Verschiebung der Gewaltenteilung, eine Stärkung der Judikative.
Kurz darauf machte Jans an seiner 1.-Mai-Rede klar, was er von Röstis Kritik hält. Er wolle den Kritikern dieses Urteils nicht «die Rösti versalzen», denn das sei kein Entscheid gegen, sondern für die Schweizer Bevölkerung. Überzeugen konnte er seine Bundesrats-Gspänli damit nicht.
In den Leitplanken des Ständerats
Der Bundesrat hatte bei der Entscheidung allerdings nur wenig Spielraum. Mit der verabschiedeten Erklärung hatten die eidgenössischen Räte der Landesregierung einen klaren Auftrag gegeben: Sie hielt fest, dass das Gericht mit dem Klima-Urteil die Grenzen der zulässigen Rechtsfortentwicklung überstrapaziert habe und es die demokratischen Entscheidungsprozesse achten müsse.
Weiter forderte das Parlament, dass der Bundesrat den Europarat darüber informiert, dass die Schweiz die Anforderungen des Urteils bereits erfülle. Oft erwähnt wurden die gleichen Massnahmen, die auch der Bundesrat genannt hat: das neue CO2-Gesetz, welches das Parlament mittlerweile verabschiedet hat. Oder das Stromgesetz, das im Juni deutlich angenommen wurde. Gerade das neue CO2-Gesetz wird jedoch von Klimaforschern als zu lasch kritisiert.
Klimaseniorin ist empört
«Ich finde es unglaublich, dass unser Bundesrat so brav der Parlamentsempfehlung gefolgt ist und das Urteil nicht umsetzten will», sagt Rosmarie Wydler-Wälti (74) Co-Präsidentin der Klimaseniorinnen. Um zu wissen, ob das Urteil erfüllt ist, müsse der Bundesrat nämlich ein CO₂-Budget erstellen – und das habe er gar nicht gemacht.
Auch Cordelia Bähr, Anwältin der Klimaseniorinnen betont: «Das Urteil ist nicht umgesetzt.» Das Argument des Bundesrats sei vorgeschoben: Das neue CO₂-Gesetz würde nämlich lediglich einer der Gründe des EGMR beheben. Die Hauptkritik, dass die Schweiz kein CO₂-Budget berechnet, bleibe auch weiterhin bestehen.
Das Justizdepartement wird dem Ministerkomitee des Europarats nun Bericht erstatten: In seinem Bericht wird es auf die jüngsten Entwicklungen in der klima- und energiepolitischen Gesetzgebung hinweisen – und damit ist die Umsetzung laut Bundesrat eben schon gegeben.