Katholischer Pfarrer ist Stammgast am WEF – und redet den Mächtigen ins Gewissen
«Vergesst unsere christlichen Werte nicht!»

Der Davoser Pfarrer Kurt Susak mischt sich jedes Jahr unter die WEF-Elite, um den Badge-Trägern aus aller Welt ins Gewissen zu reden. Doch die katholische Kirche profitiert auch vom Jahrestreffen der Mächtigen.
Publiziert: 19.01.2024 um 00:46 Uhr
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Aktualisiert: 19.01.2024 um 10:51 Uhr
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Der katholische Pfarrer von Davos, Kurt Susak, erhält jeweils gratis Zugang zum WEF.
Foto: Thomas Meier

Die Schaufenster der zu PR-Zentralen umfunktionierten Läden an der Davoser Promenade sind noch dunkel, kein Motorenlärm übertönt das Knirschen der Schritte im Schnee, als Dekan Kurt B. Susak (45) in der Marienkirche die Gottesdienstbesucherinnen und -besucher begrüsst.

Anders als zu den Sonntagsmessen sind es nur eine Handvoll Einheimische und zwei WEF-Besucher, die sich so früh am Morgen – es ist kurz nach sieben Uhr – in der noch immer weihnachtlich geschmückten Kirche eingefunden haben, um Gottesdienst zu feiern. Dabei hat die katholische Kirchgemeinde hohen Besuch: Kardinal Peter Turkson (75) ist aus dem Vatikan ans WEF gereist und führt an diesem Morgen durch die Frühmesse.

Kardinal Turkson und Pfarrer Susak an der Frühmesse. Nur wenige Kirchengänger fanden sich so früh zum Gottesdienst ein.
Foto: Lea Hartmann

Der Kardinal schläft im Gästezimmer

Der Kardinal ist Stammgast in Davos. Fast jedes Jahr kommt er fürs Weltwirtschaftsforum in die Alpenstadt. Im Gepäck hat er eine Botschaft des Papstes. «Unser Ziel ist es, die Aufmerksamkeit auf andere Dimensionen des Unternehmertums, der Wirtschaft zu lenken. Auf das Wohl aller Menschen», erklärt der Kardinal seine Davoser Mission.

Kardinal Turkson übernachtet während des WEF im Gästezimmer des katholischen Pfarrers, ein weiterer Papst-Gesandter, Kardinal Reinhard Marx (70), kommt in der Wohnung eines anderen Mitarbeitenden unter.

Die horrenden Hotelpreise? Das könne die Kirche nicht zahlen, winkt der Kardinal ab. Den Zutrittsausweis fürs Kongresshaus, für den andere Zehn- bis Hunderttausende Franken hinblättern, erhalten die Kardinäle und der Davoser Pfarrer umsonst.

Auch die Kirche will networken

«Auch die katholische Kirche ist ein Global Player», erklärt sich Pfarrer Susak das Zuvorkommen des WEF. Zum 50-Jahre-Jubiläum des Forums vor vier Jahren hätten die Organisatoren unbedingt Papst Franziskus begrüssen wollen, erzählt er. Doch weil der Papst dann auch beim Bistum Chur hätte vorbeischauen müssen und das sicherheitstechnisch zu aufwendig gewesen wäre, habe man auf eine Reise nach Davos verzichtet, erzählt der Kardinal.

Pfarrer Susak ist jeweils zum traditionellen WEF-Bankett auf dem Eisfeld geladen, an dem auch die Bundesräte teilnehmen. Der kontaktfreudige Dekan, nie um einen Spruch verlegen, lässt sich nicht zweimal bitten. «Bei aller berechtigten Kritik: Diese Gelegenheit zum Networken, das ist auch für die katholische Kirche wichtig», sagt er.

Selfie mit Aussenminister Ignazio Cassis: Pfarrer Susak am WEF-Bankett.
Foto: ZVG

«Vergesst unsere christlichen Werte nicht»

Der gebürtige Allgäuer, seit vierzehn Jahren Pfarrer in Davos, hat am WEF schon mit dem ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton (77), der früheren deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (69) und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron (46) sprechen können. Er will aber nicht einfach Hände schütteln. Der Pfarrer möchte das WEF auch nutzen, um das Image der Kirche aufzupolieren. Nach Bekanntwerden all der Missbrauchsskandale gibt es da einiges zu tun. Zudem hat er, wie der Kardinal, auch eine geistliche Botschaft. «Ich sage den Leuten, die ich treffe: Vergesst bei allem Tun unsere christlichen Werte und Wurzeln nicht.»

Kardinal Turkson glaubt daran, dass die mahnenden Worte nicht einfach verhallen. Ja, seine Stimme sei am WEF zwar nur eine unter ganz vielen. «Doch sie stösst auf sehr viele Ohren», sagt er im Gespräch mit Blick.

Neue Kirchenglocke dank WEF-Kontakten

Nicht zuletzt nutzt die katholische Kirche Davos das WEF aber auch, um die Gemeindekasse zu füllen. So vermietet sie in dieser Zeit Räume an Unternehmen.

Und dank des Forums ist die Kirche vor einigen Jahren sogar zu einer neuen Kirchenglocke gekommen: «Ich hatte an einer Veranstaltung Krypto-Investoren kennengelernt, die nach der sympathischen Begegnung meinten, ich solle mich melden, wenn es etwas gäbe, was sie für die Kirche tun könnten. Da musste ich nicht lange überlegen», erzählt Susak bei einem Kaffee nach dem Gottesdienst. «Im Gegenzug feierte ich mit dem betreffenden Ehepaar dann die Hochzeit in Zürich.»

Schweigen und beten

Doch trotz allem, es gibt auch negative Seiten, mit denen die Kirche am WEF konfrontiert ist – und Kritik am Jahrestreffen der Weltelite. «An ein reguläres Gemeindeleben ist in dieser Woche nicht zu denken», sagt Pfarrer Susak. Die Beerdigung des ehemaligen HCD-Präsidenten Werner Kohler (†78), der Anfang Jahr verstorben ist, musste auf nach dem Forum verschoben werden, weil die Strassen in dieser Woche einfach zu verstopft sind.

Zum WEF-Beginn organisierten die Kirchen ein gemeinsames Gebet.
Foto: Sarah Frattaroli

Die Kirche sieht sich zudem als Ort, an dem in diesen Tagen jenen eine Stimme gegeben wird, die am WEF sonst keine haben. Zu Beginn des Forums luden die verschiedenen Kirchen in Davos am Montagabend zum gemeinsamen Gebet. Die Besucherinnen und -besucher klagten darin die sich öffnende Schere zwischen Reich und Arm an, zündeten Kerzen an und hielten eine Schweigeminute ab. Manchmal, da könne man angesichts des Leids und der Ungerechtigkeiten auf der Welt nur schweigen, sagte Pfarrer Susak. Und beten.

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