BLICK: Hat sich die Stimmung im Bundeshaus während der letzten Jahre verändert?
Paul Rechsteiner: Was sich vor allem verändert hat, ist die Vielfalt. Als ich vor 34 Jahren erstmals gewählt wurde, war ich einer der Jüngsten. Jetzt hat es viel mehr Junge und viel mehr Frauen. Aber auch die 1980er-Jahre waren spannend und voll von Konflikten – im Nationalrat hat es manchmal «tätscht und greblet». Die Härte der Diskussionen heute ist dagegen Zuckerwasser.
Und Sie, Herr Silberschmidt, spüren Sie einen grossen Unterschied zwischen Jung und Alt?
Andri Silberschmidt: Nein. Es kommt mehr darauf an, wie lange man schon dabei ist. Weil ich als Jungparteipräsident schon vorher national politisiert habe, hatte ich einen einfacheren Einstieg als ältere Parlamentarier, die zwar mehr Lebenserfahrung haben, aber auf nationaler Bühne zuvor nicht politisiert haben.
Haben Junge, wie die Klimajugend den Anschein macht, tatsächlich radikalere Forderungen?
Silberschmidt: Wer im Parlament auf Extrempositionen beharrt, bleibt allein. Als Politiker nimmt man eine andere Rolle ein als als Aktivist. Trotzdem merke ich im Gespräch mit Amtsälteren, dass wir Jungen frischen Wind ins Parlament bringen. In der Kommission sind wir aktiver und probieren, schnelle Lösungen zu finden.
Obwohl viele Junge im Parlament sitzen, hat man manchmal das Gefühl, die Zeit sei stehengeblieben im Bundeshaus. Beim CO2-Gesetz zum Beispiel musste sich die FDP erst mal zusammenraufen.
Silberschmidt: Das CO2-Gesetz wurde von der FDP mitgeschrieben.
Aber erst im zweiten Anlauf. Zuerst ist es auch wegen der FDP gescheitert.
Silberschmidt: Das kann man so sehen. Ich habe hier mit Menschen zu tun, die so alt sind wie meine Eltern. Das System im Bundeshaus färbt aber auch auf einen ab – positiv wie negativ. Die jugendliche Naivität und die Frische verliert man dadurch schneller, als einem lieb ist.
Was haben Sie davon gehalten, als Klimaaktivisten während der Session ein Banner von der Tribüne hielten?
Rechsteiner: Kritische Bewegungen und ziviler Ungehorsam – ich war ja auch ein Teil davon – haben die Schweiz sehr stark vorangebracht. Die Demonstrationen gegen den Fichenstaat oder das Apartheid-Regime hatten eine gewisse Militanz. Das braucht es manchmal, damit etwas in Bewegung kommt. Im Vergleich zu den Bauerndemos der Rechten war das Zeltlager auf dem Bundesplatz zivilisiert.
Silberschmidt: Für mich ist ziviler Ungehorsam nicht das Mittel, um in einem demokratischen Rechtsstaat vorwärtszukommen – manchmal ist er sogar fast kontraproduktiv. Aufgrund der FDP und der Mitte ist das CO2-Gesetz zustande gekommen. Wir müssen Verantwortung tragen – egal, ob die Leute auf der Tribüne singen oder nicht.
Herr Rechsteiner, sind Sie auch zivilisierter geworden? Sie müssen im Ständerat ja sogar eine Krawatte tragen.
Rechsteiner: Der Ständerat hat einen anderen Charakter als der Nationalrat – ausserdem bin ich inzwischen auch etwas älter geworden.
Vor 34 Jahren wurde Paul Rechsteiner (68) von den St. Galler Stimmbürgerinnen und -bürgern zum ersten Mal ins Parlament gewählt. Seitdem ist er mit dabei. Erst als SP-Nationalrat und seit 2011 als Ständerat. Niemand anderes mischt so lange schon im Bundeshaus mit. Der Rechtsanwalt erlangte vor allem durch seinen Posten als Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds nationale Bekanntheit. Dieser übte er von 1998 bis 2018 aus.
Vor 34 Jahren wurde Paul Rechsteiner (68) von den St. Galler Stimmbürgerinnen und -bürgern zum ersten Mal ins Parlament gewählt. Seitdem ist er mit dabei. Erst als SP-Nationalrat und seit 2011 als Ständerat. Niemand anderes mischt so lange schon im Bundeshaus mit. Der Rechtsanwalt erlangte vor allem durch seinen Posten als Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds nationale Bekanntheit. Dieser übte er von 1998 bis 2018 aus.
Silberschmidt: Apropos Krawatte: Ich habe in der FDP-Fraktion mitgeholfen, die Krawattenpflicht abzuschaffen.
Würde Sie der Ständerat trotzdem eines Tages reizen, auch wenn Sie dann wieder einen Schlips anziehen müssten?
Rechsteiner: Achtung, Fangfrage!
Silberschmidt: Ich mache keine Aussagen mehr über meine politische Zukunft, weil ich Anfang 20 auch nie gedacht hätte, mit 26 im Nationalrat zu sitzen. Wichtig ist mir, Milizpolitiker zu bleiben. Gerade als Junger noch einer Arbeit nachzugehen und nicht einfach nur Ämtli zu sammeln, scheint mir zentral. Ich will nicht ein Amt bei einer Krankenkasse annehmen, sondern unabhängig bleiben. So bringe ich vielleicht einen neuen Groove bei den Bürgerlichen rein.
FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt ist mit seinen 26 Jahren zurzeit der jüngste Parlamentarier im Bundeshaus. Vor seinem Amtsantritt im November 2019 mischte er als Präsident der Jungfreisinnigen in der Schweizer Politiklandschaft mit. Er wuchs im Zürcher Oberland auf und machte eine Banklehre mit Berufsmatura. 2018 gründete der mittlerweile in der Stadt Zürich wohnhafte Politiker zusammen mit Freunden die Gastrofirma Kaisin.
FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt ist mit seinen 26 Jahren zurzeit der jüngste Parlamentarier im Bundeshaus. Vor seinem Amtsantritt im November 2019 mischte er als Präsident der Jungfreisinnigen in der Schweizer Politiklandschaft mit. Er wuchs im Zürcher Oberland auf und machte eine Banklehre mit Berufsmatura. 2018 gründete der mittlerweile in der Stadt Zürich wohnhafte Politiker zusammen mit Freunden die Gastrofirma Kaisin.
Lassen sich Jüngere weniger schnell von einer Partei eine Meinung vorschreiben?
Silberschmidt: Für mich als Nationalrat spielt die Parteipolitik eigentlich eine grosse Rolle – man versucht ja als Partei, geschlossen zu stimmen. Wenn es aber darum geht, etwas zu bewegen, muss man Kompromisse eingehen können.
Rechsteiner: Im Ständerat steht die Parteihaltung ja weniger im Vordergrund als im Nationalrat.
Herr Silberschmidt, wie wirkt sich Ihre WG mit der Grünen-Nationalrätin Franziska Ryser und dem SVP-Nationalrat Mike Egger aus?
Silberschmidt: Ich denke, die WG sollte politisch nicht überbewertet werden. Natürlich stehen wir im Austausch, aber nach einem langen Tag im Bundeshaus geht es relativ schnell ins Bett. Aber man kann von jedem und jeder etwas lernen. Wir haben es gut zusammen in der WG.
Herr Rechsteiner, Ihr halbes Leben lang mischen Sie im Parlament mit. Hätten Sie sich mit etwas über 30 vorstellen können, mit einem FDPler und einem SVPler eine Wohnung zu teilen?
Rechsteiner: Ich glaube nicht. Mein Umfeld und meine Freunde sind nicht im Parlament – das Bundeshaus ist ein Ort für politische Auseinandersetzungen und nicht für Bezugspersonen.
Langjährige Parlamentarier haben oft viele Verwaltungsmandate – Junge weniger. Ist man da noch Volksvertreter oder schon Lobbyist?
Rechsteiner: In einer Demokratie braucht es eine Bündelung verschiedener Interessen. Natürlich habe ich als Gewerkschafter die Interessen der arbeitenden Bevölkerung vertreten, wenn es um Renten oder Arbeitsbedingungen ging.
Silberschmidt: Die letzten Abstimmungen haben gezeigt: Auch bei den Linken existiert Lobbyismus. Jede Partei fordert überall mehr Transparenz – ausser bei sich selber. Nach einem Jahr ist diese Illusion bei mir bereits verflogen. Keine Partei kann von sich behaupten, sie sei frei von irgendwelchen Interessen.
Rechsteiner: Es spielt aber eine Rolle, um welche Interessen es geht. Nehmen Sie die Konzernverantwortungs-Initiative: Ein Parteifreund von Ihnen versucht im Ständerat, NGOs zu beschneiden. Ist das im Volksinteresse? Das zeigt, dass es zweierlei Interessen gibt. Wenn sich jemand dafür einsetzt, dass Schweizer Konzerne Verantwortung über die Grenzen der Schweiz hinaus tragen müssen, ist das meiner Meinung nach ein zentrales Anliegen, das die Schweiz weiterbringt.
Silberschmidt: Es hat niemand etwas gegen dieses Engagement. Die Frage ist einfach, ob dieses mit Steuergeldern finanziert werden soll oder nicht. Es ist besonders fraglich, ob die Kirchen Propaganda betreiben sollen, obwohl sie Steuergelder erhalten.
Viele erwarten das und zahlen dafür gern Kirchensteuer. Die anderen können ja austreten.
Silberschmidt: Das können nur die Bürger, die juristischen Personen, also die Firmen, eben nicht.
Aber auch Unternehmen werden ja kaum gegen ein Engagement für die Menschenrechte sein. Oder?
Silberschmidt: Halt! Ich bin auch für Menschenrechte – und trotzdem kann ich gegen Kovi sein und das mit Steuergeldern finanzierte Engagement dafür für falsch halten.
Rechsteiner: Das zeigt nun schön, dass die wichtigen Auseinandersetzungen weniger eine Frage von Generationen, sondern mehr von Grundeinstellungen sind. Man kann die Schweizer Wirtschaft nicht einfach von den Menschenrechten abtrennen.
Silberschmidt: Zusammen mit Kollegen habe ich selber eine Firma und erfülle viele der Anforderungen, die die Linken stellen. Was wir tagtäglich an Nachhaltigkeit vorleben, ist repräsentativ für einen grossen Teil der Jungen, die das Klima retten wollen. Nur weil ich politisch nicht der Meinung bin, dass wir Weltpolizist spielen sollen, bin ich nicht grundsätzlich gegen solche Forderungen.
Rechsteiner: Das ist nett, wenn Sie diese Politik in Ihrer Firma verfolgen. Als Gewählte im Parlament ist es aber unsere Aufgabe, Gesetze zu machen. Diese werden politisch definiert und müssen sich auch an den Menschenrechten orientieren. Denken Sie an das Beispiel der Ehe für alle. Das gilt aber auch bei wirtschaftlichen Themen.
Mehr Generationengespräche
Die Ehe für alle ist bei den Jungen unbestritten, auch die Legalisierung weicher Drogen. Stimmt dieses Bild der progressiven Jugend?
Silberschmidt: Ich glaube, bei solchen Themen schon, weil wir in einer anderen Zeit aufgewachsen sind. Ich glaube auch, dass wir konstruktiver sind – Paul und ich hingegen haben uns jetzt schon wieder die Köpfe eingeschlagen.
Rechsteiner: Haben wir das? Das meinte ich vorhin mit Zuckerwasser (lacht).
Silberschmidt: Ich kann mit den meisten jungen Parlamentariern über alle möglichen Themen sprechen. Unter uns gibt es kaum Scheuklappen. Wenn ich Mike Egger sage, dass ich die Kündigungs-Initiative seiner Partei nicht unterstütze, hat er damit kein Problem. 80 Prozent der Jungen sind nicht ideologisiert.
Ist es also schwieriger für Sie, mit alteingesessenen Politikern zu sprechen?
Silberschmidt: Nein. Mir ist es aber wichtig, dass man Ideen ohne Scheuklappen prüft, auch wenn sie früher auf dem Tisch waren.
Rechsteiner: Aber die Jungen sind untereinander natürlich auch nicht immer gleicher Meinung. Ihr Beispiel der Drogenpolitik: Im rechten Spektrum haben die Jungen eine völlig andere Position als der Rest. Geschlecht und Alter spielen eine gewisse Rolle – die politische Grundorientierung wirkt aber stärker.
Ist es schwierig als Ständerat, wenn man jüngeren Parteichefs zuhören und machen muss, was sie sagen?
Rechsteiner: Ich wurde für meine eigenen Positionen gewählt. Es ist aber kein Geheimnis, dass Mattea Meyer und Cédric Wermuth eine gewisse Gewerkschaftsnähe besitzen. Ich habe mich über ihre Wahl gefreut.
Im Ständerat hat man sich lange geweigert, per Knopfdruck abzustimmen. Jetzt sollen coronakranke Nationalräte von zu Hause aus ihre Stimme abgeben. Finden Sie das gut?
Rechsteiner: Um offen zu sein: Ich bin dagegen. Wir sind die höchste Gewalt im Staat. Diejenigen, die Verantwortung tragen, müssen persönlich zusammenkommen. Die Welt ist nicht binär in Ja und Nein aufgeteilt. Like oder Dislike werden dem politischen Prozess nicht gerecht. Es muss ein Meinungsbildungsprozess stattfinden – vor Ort.
Silberschmidt: Im Grundsatz bin ich einverstanden. Das Parlament soll wenn möglich physisch tagen. Wenn Politiker aber in behördlich angeordneter Quarantäne sind, sollten sie von zu Hause aus abstimmen dürfen. Der Volkswille darf nicht dadurch verzerrt werden, dass einige in Isolation sind. Niemand versteht, wenn wir sagen: «Sorry, Guys, wir sind als Parlament nicht in der Lage, von zu Hause aus abzustimmen, deswegen können wir nicht weiter an der Härtefallregelung arbeiten.»
Vor 34 Jahren wurde Paul Rechsteiner (68) von den St. Galler Stimmbürgerinnen und -bürgern zum ersten Mal ins Parlament gewählt. Seitdem ist er mit dabei. Erst als SP-Nationalrat und seit 2011 als Ständerat. Niemand anderes mischt so lange schon im Bundeshaus mit. Der Rechtsanwalt erlangte vor allem durch seinen Posten als Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds nationale Bekanntheit. Dieser übte er von 1998 bis 2018 aus.
Vor 34 Jahren wurde Paul Rechsteiner (68) von den St. Galler Stimmbürgerinnen und -bürgern zum ersten Mal ins Parlament gewählt. Seitdem ist er mit dabei. Erst als SP-Nationalrat und seit 2011 als Ständerat. Niemand anderes mischt so lange schon im Bundeshaus mit. Der Rechtsanwalt erlangte vor allem durch seinen Posten als Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds nationale Bekanntheit. Dieser übte er von 1998 bis 2018 aus.
FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt ist mit seinen 26 Jahren zurzeit der jüngste Parlamentarier im Bundeshaus. Vor seinem Amtsantritt im November 2019 mischte er als Präsident der Jungfreisinnigen in der Schweizer Politiklandschaft mit. Er wuchs im Zürcher Oberland auf und machte eine Banklehre mit Berufsmatura. 2018 gründete der mittlerweile in der Stadt Zürich wohnhafte Politiker zusammen mit Freunden die Gastrofirma Kaisin.
FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt ist mit seinen 26 Jahren zurzeit der jüngste Parlamentarier im Bundeshaus. Vor seinem Amtsantritt im November 2019 mischte er als Präsident der Jungfreisinnigen in der Schweizer Politiklandschaft mit. Er wuchs im Zürcher Oberland auf und machte eine Banklehre mit Berufsmatura. 2018 gründete der mittlerweile in der Stadt Zürich wohnhafte Politiker zusammen mit Freunden die Gastrofirma Kaisin.